Klima- und Energiekultur
Drängende Fragen von Ressourcenknappheit und Klimawandel werden am IKE aus einer generalistischen Berufsauffassung heraus stets ganzheitlich und unter Einbezug von architektonisch-konstruktiven, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren behandelt.
Architektur Klima Atlas
Beteiligte:
Astrid Staufer, Co-Leiterin IKE
Jürg Graser, Dozent IKE, Projektleitung
Christian Meier, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Damaris Baumann, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Architektur, Energie und Klima
Unsere komfortable Lebensweise beruht auf zügellosem Konsum von fossiler Energie mit entsprechend hohem CO2-Ausstoss. Dieser ist mitverantwortlich für den fortschreitenden Klimawandel, der bedrohlich unsere Lebensgrundlagen in Frage stellt und das Ökosystem Erde aus dem Gleichgewicht bringt.
Das Projekt Architektur Klima Atlas ergründet die vielfältigen Abhängigkeiten und Zusammenhänge von Bauen und Klima. Es präsentiert eine historische Aufarbeitung von Energie- bzw. Klimabeiträgen namhafter ArchitektInnen, erläutert Beispiele aus der Praxis und legt die Resultate der am IKE entwickelten Methode Messen und Modellieren dar.
Der Blick in die Vergangenheit belegt, dass sich ArchitektInnen in allen Epochen mit Klima und Energie auseinandergesetzt und dabei architektonisch und technisch interessante Lösungen gefunden haben. Der Blick in die aktuellen Entwicklungen der Baubranche zeigt, dass ArchitektInnen in Zukunft für den Dialog mit den PlanungspartnerInnen vermehrt nicht nur gestalterisch-konstruktives, sondern ebenso technisch-energetisches Wissen benötigen, um eine zukunftsfähige Architektur zu gestalten.
Planungsstrategien
Den grössten Einfluss auf den Energieverbrauch und den CO2-Fussabdruck haben Bauträger und ArchitektInnen zu Beginn des Entwurfsprozesses: angefangen beim Raumprogramm, über die Kompaktheit des Baukörpers, die Bauweise, den Fensteranteil bis hin zur Haustechnik. Untergeschosse und Fundation haben hohe Anteile an Grauer Energie. Die schlüssige Konstruktion und klare Raumwirkung fördern eine lange Nutzungsdauer. Wird eine Bauteiltrennung von Beginn weg eingeplant, ist später eine Wiederverwendung möglich. Auch die Zusammenarbeit des Planungsteams und die gesetzlichen Rahmenbedingungen beeinflussen den Energieverbrauch in Umsetzung und Betrieb.
Strategien der Energiegewinnung
Die Sonneneinstrahlung bietet dem Leben auf der Erde ein unerschöpfliches Energiereservoir. In Gebäuden kann ihre Verwertung aktiv oder passiv erfolgen. Die passive Nutzung – das Zusammenspiel des Öffnungsverhaltens und der Wärmespeicherung in der Gebäudemasse – ist zusammen mit dem Feuer die älteste Strategie der Wärmeenergiegewinnung. Seit einem halben Jahrhundert findet die aktive Nutzung der Sonnenenergie Eingang in die Architektur. Anfangs als einzelne Elemente auf das Dach oder an die Fassade gehängt, bekleiden Paneele heute ganze Gebäude. Energiefragen haben Auswirkungen auf Einzelbauten, betreffen aber immer auch ganze Systeme und müssen auf allen Ebenen betrachtet werden. Der Begriff «Energielandschaft» beschreibt die vorhandenen regionalen Energiequellen und die Auswirkung der benötigten Infrastruktur auf die Umgebung.
Strategien der Reduktion
Bei der Planung von Gebäuden minimieren präventive Massnahmen Transmissions-, Lüftungs-, und Verteilverluste. Das wirksamste Mittel ist die Wärmedämmung. Eine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung reduziert Wärmeverluste bei der Raumlufterneuerung, kurze Wege bei der Leitungsführung die Verteilverluste. Low Tech, der Verzicht auf Haustechnik, kann ebenfalls zu einer Reduktion der Betriebs- und Grauenergie beitragen. Dem Kühlen kommt wegen der Klimaerwärmung auch in unseren Breitengraden eine immer grössere Bedeutung zu. Begrünte Flachdächer verdunsten Wasser. Bäume haben eine doppelte Kühlfunktion, indem sie nicht nur Wasser verdunsten, sondern gleichzeitig Schatten spenden.
Nutzerverhalten
NutzerInnen sind von den planerischen Entscheidungen in der Regel ausgeschlossen. Trotzdem übernehmen sie beim Betrieb des Gebäudes eine aktive Rolle ein und manipulieren das Raumklima für das eigene Wohlbefinden. Sie senken den Energieverbrauch durch angemessenes Handeln beziehungsweise treiben ihn durch unsachgemässes Verhalten in die Höhe. Die Bildung der NutzerInnen und der interaktive EInbezug von digitaler Haustechnik sind Möglichkeiten, das Raumklima zu steuern und zu verbessern. Die Nutzerbildung wird zur Architekturaufgabe.
Stoffkreisläufe
Die Graue Energie spiegelt die Biografie des Materials wider. Woher stammt es, welche Energiemengen hat es bis zur Ankunft auf dem Bauplatz bereits konsumiert? Die globale Güterherstellung basiert auf fossilen Energieträgern. Langlebigkeit, Erhalten und Umbauen sind Strategien der CO2-Vermeidung. Die 5R refuse, reduce, reuse, repair und recycle sollen berücksichtigt werden. Eine Voraussetzung ist die Systemtrennung in der Konstruktion, nur trennbare Baustoffe können wiederverwendet werden. Am wenigsten CO2 emittiert ein Bauteil, das vor Ort weiterverwendet wird.
Messen und Modellieren
Die kombinierte qualitative und quantitative Analyse exemplarischer Bauten aus unterschiedlichen Bauperioden in der Forschungsarbeit «Wider Klischees – Messen und Modellieren von Energieflüssen im sich wandelnden Fokus der Baukultur» bildet die wissenschaftliche Grundlage für eine Reihe von Überlegungen und Thesen zur Beziehung von Architektur, Energie und Klima. Dieser Katalog von ausgewählten Beispielen wird im Fach Constructive Research laufend erweitert. Der Katalog zeigt die enge Verflechtung von Architektur und Energie und vermittelt die nötige Datengrundlage, um im Entwurf nicht nur architektonisch, sondern auch klimatisch bessere Entscheidungen zu treffen.
Bauteilwiederverwendung
Beteiligte
Andreas Sonderegger, Co-Leiter IKE
Eva Stricker, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Projektleitung
Guido Brandi, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Wiederentdeckung der Wiederverwendung
Das Institut Konstruktives Entwerfen des Departements Architektur der ZHAW untersucht seit 2018 in Forschung und Lehre das architektonische und baukulturelle Potenzial, das die Wiederentdeckung der Wiederverwendung freisetzt. Denn anders als das «klassische» Recycling von Baustoffen ist die Wiederverwendung ganzer Bauteile und Konstruktionselemente eine genuin architektonische Nachhaltigkeitsstrategie, die den Entwurfsprozess massgeblich mitprägt und die das Potenzial in sich trägt, eine eigene Architektursprache hervorzubringen.
Zirkulär Konstruieren
Zirkulär Konstruieren heisst, aus Bauteilen mit unterschiedlicher Vorgeschichte und Lebensdauer längerfristig erneuerbare und gleichzeitig architektonisch präzise Konstruktionen zu entwickeln. Dabei ist der Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen Permanenz und Austauschbarkeit von Bauteilen besondere Beachtung zu schenken. Im Lehrmodul Constructive Research vertiefen wir mit Studierenden ihre Semesterentwürfe mit einer konstruktiven Detailstudie, die sich mit eben dieser Herausforderung auseinandersetzt und nach spezifischen konstruktiven Ausdrucksformen des Zirkulären Bauens sucht.
Projekt "La Machine"
Raphael Bitzi entwickelt aus ehemaligen Verbunddecken ein lastabtragendes, raumgreifendes Innenwand-System, das er mit neuen, hybriden Deckenelementen aus Stahl und Holz kombiniert. Dazu werden die ehemaligen Decken in Streifen zerschnitten und, um 90° gedreht, zu Doppelelementen gefügt. Die einstige Deckenuntersicht wird zur Wandverkleidung, der Überbeton der Decke übernimmt neu den vertikalen Lastabtrag. Beleuchtung, Akustikelemente, sowie Heiz- und Elektroleitungen werden in den neuen Hybriddecken untergebracht.
Projekt "Hebelstabwerk"
Thomas Papritz entwickelt aus vorgefundenen Stahlträgern ein Hebeltragwerk, das die Klassengeschosse strukturiert. Die Träger – in ihrer Dimension nicht ausreichend, um die benötigte Gebäudetiefe zu überspannen – werden zum Flächentragwerk gefügt, das den Lastabtrag über präzise gesetzte Stützen ermöglicht. Er schafft damit eine prägende Deckenordnung, die die Raumstruktur selbstverständlich bestimmt und gleichzeitig subtil auf die Wiederverwendung des Baumaterials verweist.
Fallstudie K.118
Mit der Aufstockung des Kopfbaus der Halle118 am Winterthurer Lagerplatz hat Baubüro in situ in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Hochschule das derzeit grösste Gebäude der Schweiz realisiert, das mehrheitlich aus wiederverwendeten Teilen gebaut ist. Dieses einmalige Pilotprojekt wurde im Rahmen einer Kooperation des ZHAW Instituts Konstruktives Entwerfen und Baubüro in situ wissenschaftlich ausgewertet. In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden mit interdisziplinären Fachleuten architektonisch-konstruktive Fragen ebenso wie die energetischen, ökonomischen, prozessualen und rechtlichen Aspekte der Wiederverwendung im Bauen untersucht. Die ausführliche Dokumentation und Analyse des Fallbeispiels verfolgt das Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse öffentlich zugänglich und nutzbar zu machen und so einer vielversprechenden Praxis auf den Weg zu helfen.
Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen
Die Ergebnisse aus Forschung und Lehre wurden zusammen mit individuellen Beiträgen im Buch Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen (Park Books, 2021) veröffentlicht: Den Hintergrund bildet ein ausführlicher Gastbeitrag von Ákos Moravánszky, der die Architekturgeschichte der Bauteilwiederverwendung beleuchtet. Im nachfolgenden Hauptteil nehmen vier Kapitel einen je eigenen Blickwinkel auf das Thema der Wiederverwendung ein: Die Reportage K.118 dokumentiert den Entstehungsprozess des Projekts aus der «Innenperspektive» der unmittelbar Beteiligten. Der Kulturanthropologe und Stadtforscher Michel Massmünster hat sie zu diesem Zweck begleitet und seine Beobachtungen journalistisch dokumentiert. In einer Serie von Essays erörtern Angehörige des ZHAW Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen relevante architektonische und konstruktive Aspekte und Strategien der Bauteilwiederverwendung und des Zirkulären Bauens, die über die konkrete Fallstudie hinausgehen. Die angehängten Projektportraits ergänzen jeden Beitrag mit einer Dokumentation der diskutierten Beispiele, die auch als Referenzsammlung dienen kann. Die Debatte mit Akteuren der Wiederverwendung sowie mit potentiellen Bauherrschaften und Vertretern der Architekturlehre richtet den Blick auf wichtige Einzelaspekte. Dabei kommen auch die Fachleute zu Wort, die die wissenschaftliche Auswertung im Rahmen des ZHAW Forschungsprojekts begleitet haben. Deren Ergebnisse wiederum sind im Kapitel Fallstudie K.118 in doppelseitigen Textgrafiken dokumentiert, als praktische Arbeitshilfe für alle, die mit wiederverwendeten Bauteilen arbeiten möchten.