Damit das Stromnetz mit der Energiewende klarkommt
Mit einem Ausbau der Photovoltaik könnten bisherige Stromkonsumenten künftig vermehrt selber zu Produzenten werden, sogenannte Prosumer. Das ZHAW-Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering (IEFE) hat untersucht, wie gut das bestehende Stromnetz dafür gerüstet ist und wo Verbesserungsbedarf besteht.
Die Schweiz will weg von Atomstrom. Bis 2050 sollen rund 20 Prozent des elektrischen Stroms durch Photovoltaik (PV) erzeugt werden, was ungefähr 12 GWp ausmacht. So gewünscht der Ausbau von erneuerbaren Energien auch ist, er stellt das Stromnetz vor grosse Herausforderungen. Denn wo bislang Strom in eine Richtung floss – zum Beispiel vom AKW zum Konsumenten – zeichnet sich nun Gegenverkehr ab. Die einzelnen Haushalte werden vom reinen Konsumenten zu Teilzeit-Produzenten – immer dann, wenn die PV-Anlage auf dem Dach mehr Strom produziert, als im Moment lokal benötigt wird. Im Rahmen des Projekts Smart Energy Regions der European Cooperation in Science and Technology (COST) untersuchte das ZHAW-Institut für Energiesysteme und Fluid-Engineering (IEFE) anhand eines realen Niederspannungsnetzes, wie gut das bestehende Stromnetz für diese neue Belastung gewappnet ist.
Beispielquartier in Zürich
Als Beispielquartier diente den Forschenden ein städtisches Gebiet nahe der Stadt Zürich. Rund 300 Häuser sind durch 110 Hausanschlusspunkte mit einem Transformator verbunden. Für die Untersuchung erstellten sie anhand von gemessenen Daten und Werten ein Netzmodell mit Last- und Erzeugungsprofilen für die einzelnen Anschlusspunkte. Die Simulation liefert Werte im Abstand von 15 Minuten, damit nicht nur saisonale Schwankungen, sondern auch Veränderungen im Tagesverlauf ersichtlich sind. Die Simulationsdaten verglichen die Forschenden anschliessend mit effektiven Messwerten und konnten eine hohe Übereinstimmung feststellen. Im Modell erstellten sie dann verschiedene Szenarien, die von einem unterschiedlich grossen PV-Ausbau ausgehen.
Szenario «Maximal» und «Mittel»
Für die Ausbauszenarien griffen sie auf das Solarkataster des Kantons Zürich zurück. Für das Szenario «Maximal» berücksichtigten sie sämtliche Dachflächen, die laut dem Kataster als gut oder sehr gut geeignet gelten; für das Szenario «Mittel» nur die sehr gut geeigneten Flächen. Das mittlere Szenario stellt die Infrastruktur noch nicht vor unlösbare Aufgaben. Benjamin Schlatter, der die Untersuchung seitens IEFE leitete, erklärt: «Rund 43 Prozent der Jahresenergie werden gemäss diesem Szenario mit PV abgedeckt. An sehr sonnigen Tagen fliesst in der Tat Strom über den Transformator von der Nieder- zur Mittelspannungsebene hin. Die Spannungslimits werden eingehalten und Leitungen sowie Transformatoren werden nicht überlastet.»
Spannungsverletzung und Überlastung
Beim maximalen Szenario werden über ein Jahr betrachtet insgesamt 83 Prozent des Energieverbrauchs im Quartier mit PV abgedeckt. Dabei kommt es ohne geeignete Gegenmassnahmen zu Spannungsverletzungen und zur Überlastung des Transformators. Benjamin Schlatter erklärt: «Mit dem Einbau eines regelbaren Ortsnetztransformators (RONT) liessen sich die Spannungsverletzungen verhindern.» Eine Überlastung des Transformators würde dazu führen, dass dieser sich notfallmässig ausschaltet und die Versorgung nicht mehr gewährleisten kann. Wie das trotz hohem PV-Anteil zu verhindern wäre, untersuchten die Forschenden in einem weiteren Schritt.
Lösungsansätze
Hierzu untersuchten die Forschenden mehrere Möglichkeiten: Einerseits Batteriespeicherung, andererseits eine Kombination aus Active Power Curtailment (APC) und Demand Side Management (DSM). Der Batterielösung geben die Forschenden momentan wenig Chancen, wie Benjamin Schlatter erklärt: «Eine Batterie, welche nur die überschüssige, den Transformator überlastende Energie speichern kann, wäre sehr gross und daher sehr teuer.» Ohne grosse Investitionen in die Infrastruktur käme APC aus. Dabei werden die Spitzen gebrochen, indem der Wechselrichter an der PV-Anlage die überschüssige Energie gar nicht erst ins Netz einspeist. Im Falle des Beispielquartiers führt dies jedoch zu einem Verlust von rund 21 Prozent.
Kombination mit Demand Side Management
Weil das Abriegeln von erneuerbarer Energieerzeugung nur eine Notlösung sein kann, ermittelten die Forschenden flankierende Massnahmen. So kann der Verlust um rund zwei Prozent verringert werden, wenn die Nennleistung des Transformators gezielt punktuell überschritten wird. Das ist in dem Rahmen möglich, in dem der Transformator nicht überhitzt. Besonders vielversprechend ist die zusätzliche Kombination mit DSM. Steuerbare Energieverbraucher wie Boiler, Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge und Klimaanlagen werden immer dann angesteuert, wenn die Produktion den Konsum übersteigt. In weiteren Studien wird nun untersucht, wie sich die verschiedenen Lösungsansätze am gewinnbringendsten kombinieren lassen.