Angebaute Raumschichten
Synergie zwischen substanzieller Ertüchtigung und verdichtetem Wohnraum
Masterthesis Patrick Rickli
Frühlingssemester 2024
Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Ron Edelaar
Koreferenten: Franz Romero, Marco Graber
SIA-Masterpreis Architektur 2024, Nominierung
Vorwort der Dozierenden
Viel zu häufig müssen Wohnbauten in großem Maßstab Ersatzneubauten weichen, da eine Sanierung zu aufwändig oder gar nicht erst erstrebenswert erscheint. Vor dem Hintergrund der dringlichen gesellschaftlichen Verpflichtung zum ressourcenschonenden Bauen ist der Berufsstand des Architekten hier besonders gefordert. Diese Fragestellung betrifft vor allem Gebäude aus den 1960er- und 1970er-Jahren, welche in Betonvorfabrikation erbaut wurden und deren statische Struktur, analog dem Kartenhausprinzip, einer potentiellen Anpassung der bestehenden Grundrisse entgegensteht. Aus heutiger Sicht eignen sich die für Familien ausgerichteten Wohnungsgrundrisse durch die demografische Verschiebung hin zu überwiegenden Einzel- und Paarhaushalten nicht mehr gleich gut.
Zudem wurden Wohnsiedlungen aus dieser Zeit in kurzer Zeit errichtet und, befeuert durch den ökonomischen Druck der Ölkrise und den schweizerischen Etablierungsversuch der Vorfertigung von Bauteilen, auf Effizienz ausgelegt. Dies führte dazu, dass Decken und Wände ihren Anforderungen entsprechend spezifisch dimensioniert wurden und ein in sich kohärentes System bilden. Durch die heutigen Anforderungen aus Normen und Gesetzen bilden zeitgenössische Ertüchtigungen eine substanzielle Herausforderung.
Am Beispiel der durch Peter Steiner entworfenen Häuser am Triemlifussweg in Zürich geht Patrick Rickli mit seiner Masterthesis der exemplarischen Fragestellung nach, wie diese in Göhner-Typologie stehenden Wohngebäude saniert und auf zeitgemäße Standards des städtischen Wohnens adaptiert werden können. Durch den Entscheid, die im Aufriss hügelartig in den abfallenden Hang gelegten und in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Zeilen ost- und westseitig zu erweitern, erkennt man zunächst eine bereits bekannte Typologie: angebaute Schichten mit klimatischen Pufferräumen wie beispielsweise von Lacaton & Vassal mit Druot und Hutin in Bordeaux. Allerdings wird mit der größeren Tiefe nicht automatisch die Wohnfläche erweitert, sondern eine innere Verdichtung und möglichst hohe Flächeneffizienz angestrebt, um letztendlich mehr Wohnungen anbieten zu können.
Aus dem minutiösen Studium der Ambitionen und Bauweisen der damaligen Zeit sowie der bestehenden Gebäudestruktur resultieren Strategien und Ideen zur «freien» Verwendung des Vorhandenen. Die tragenden Schottenwände sind nicht länger einschränkend, sondern Potential für eine Drehung der Bewegungsrichtung in den Wohnungen. Aus Zwei- können Dreispänner entwickelt werden, einhergehend mit einer Verlagerung in Richtung Ein- oder Zweipersonenhaushalte und einer Optimierung der Flächeneffizienz. Diese Verdichtung wird mit der Neupositionierung der Lifte entspannt, welche halbgeschossig versetzte gemeinschaftliche Räume ermöglichen. Die neue Fassadenschicht funktioniert nach dem Prinzip des Exoskeletts und ist für eine optimale Belichtung der tiefen Grundrisse mit einem entsprechend höheren Fensteranteil konzipiert. Die Frage der Aussteifung der ehemaligen Kartenhäuser wird mit charakteristischen Kreuzen zeichenhaft versinnbildlicht und fügt der Geschichte der Gebäude auch im Ausdruck ein weiteres Kapitel an.
Die Thesisarbeit von Patrick Rickli stellt eine reife, durch großen Erfindungsreichtum geprägte, aber gleichzeitig beeindruckend praxistaugliche Entwurfsrecherche dar. Mit dem erarbeiteten Sanierungskonzept können anstelle von 109 neu 152 Wohnungen angeboten werden, wobei der Wohnflächenverbrauch pro Kopf von 31 m² auf 27 m² sinkt. Zugleich ist seine Arbeit durch eine ausgeprägte inhaltliche Kohärenz bestimmt, welche alle Ebenen des Entwurfs durchzieht. Die Eingriffe in die bestehende Substanz erreichen eine Befreiung von alten baulichen Zwängen und ermöglichen die Adaptierbarkeit eines an sich starren Systems. Die Masterthesis von Patrick Rickli ist ein eindrücklicher und inspirierender Beitrag zur Frage des ressourcenschonenden Bauens mit dem Erhalt und Weiterbauen einer vielerorts dem Abbruch geweihten Gebäudetypologie.