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Architektur, Gestaltung
und Bauingenieurwesen

Fenster Wiederverwenden

Untersuchung des Wiederverwendungs-Potentials von Fenstern am Beispiel eines Ersatzneubaus des Baugenossenschaft im Gut, Zürich.

Masterthesis Michelle Schneider
Herbstsemester 2023

Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Marc Löliger, Andreas Sonderegger
Koreferenten: Franz Romero, Marco Graber
Fachexperten: Tobias Metzger, Christian Meier

 

Vorwort der Dozierenden

Die Klimakrise ist im Bewusstsein der Architektinnen und Architekten angekommen. Auf der Suche nach Möglichkeiten, die immense Abfallproduktion und den beträchtlichen CO2-Ausstoss bei der Erstellung von Neubauten zu verringern, sind neue Wege aufzuzeigen. Die vorliegende Masterthesis betrachtet dabei das grosse Potenzial, das in der Wiederverwendung von Fenstern liegt. Dazu formuliert Michelle Schneider zu Beginn der Arbeit einige überzeugende Argumente - Fenster sind ein extrem energieintensives Bauteil: bei der Herstellung von 1 m2 Dreifachverglasung wird bis zu dreimal so viel CO2 in die Atmosphäre entlassen wie bei der Produktion von 1 m2 Betondecke. Fenster sind mit verhältnismässig wenig Aufwand auszubauen, die Fensterflügel können sogar einfach ausgehängt werden.- je nach Exponierung der Fassade kann eine wiederverwendete Zweifachverglasung auch im Betrieb energetisch sinnvoller sein als eine neue Dreifachverglasung. 

Die entwerferische Untersuchung erfolgt auf der Grundlage des siegreichen Wettbewerbsbeitrags der Arbeitsgemeinschaft Lütjens Padmanabhan Architekten und Caruso St John Architects für einen Ersatzneubau der Genossenschaft Im Gut an der Gutstrasse in Zürich. Der fiktive Projektvorschlag soll eine Hülle aus wiederverwendeten Bauteilen von geplanten Abbrüchen in einem Radius von rund zwei Kilometern erhalten. Akribisch werden in den nächsten Jahren vorgesehen Abbrüche in der näheren Umgebung aufgenommen und von vier Siedlungen die daraus frei werdenden Fenster mit allen Massen und den wichtigen bauphysikalischen Eigenschaften katalogisiert. Schon die unglaubliche Menge von mehr als 4000 Fenstern zeigt den Handlungsbedarf auf. Wichtig ist dabei auch die Erkenntnis, dass eine grosse Anzahl der Fenster aufgrund der Normierung der Erstellungszeit der dreissiger bis (in die) sechziger Jahre viele gleiche Masse aufweisen und auch die im Laufe der Jahre bei Sanierungen eingesetzten Zweifachverglasungen diese standardisierten Masse übernommen haben. 
Beeindruckend ist die wissenschaftliche Vorgehensweise von Michelle Schneider. Alle katalogisierten Fenster werden bezüglich eines optimalen Wiedereinbaus bewertet und ein Aufbereitungsvorschlag ausgearbeitet. Der Aufwand für den Ausbau, die Instandsetzung und die Lagerung aller katalogisierten Fenster wird sorgfältig dargestellt und mit einem Preisschild versehen. Sozusagen als Beifang werden auch die zugehörigen Fensterläden in die Untersuchung einbezogen.
Der eindrückliche Katalog dient als Grundlage für eine tiefgreifende architektonische Auseinandersetzung über die Bedingungen einer Hülle aus wiederverwendeten Bauteilen. Dabei werden räumliche Untersuchungen (Fenster als Raum), konstruktive Erkenntnisse (Umgang mit Massdifferenzen und Prinzipien der Rückbaubarkeit) und bauphysikalische Eigenschaften (unterschiedliche Eignung von Fenstern nach Ausrichtung der Fassade) in einer Vielzahl detaillierter Darstellungen und Berechnungen gleichwertig zueinander in Beziehung gesetzt und ideale Einbausituationen formuliert. Anhand der Fallstudie der Genossenschaft Im Gut wird eine architektonische Umsetzung der Wiederverwendung von Fenstern und Fensterläden konstruktiv detailliert und bis hin zu Fragen von Montage und Toleranzaufnahme exemplarisch dargestellt. Eine abschliessende vergleichende Kostenberechnung von «neuer» und «wiederverwendeter» Fassade zeigt, dass eine Fassade aus Re-Use Teilen nicht teurer als eine konventionelle Bauweise ist.
Michelle Schneider deckt mit der vorliegenden Arbeit das grosse Potenzial der Wiederverwendung von Fenstern beispielhaft auf. Das neue Kleid aus alten Bauteilen transportiert die Geschichte der ursprünglich am Ort und in der Nachbarschaft bestehenden Häuser in eine überraschend zeitgemässe Fassade. Die Untersuchung überzeugt dabei gleichermassen in ihrer analytischen, konstruktiven und architektonischen Tiefe und liefert eine umfassende und fundierte Grundlage, um den dringend notwendigen politischen Prozess der Auseinandersetzung mit dem wertvollen Bestand unseres Gebäudeparks weiter anzustossen.