«Wohnen kann nicht losgelöst vom Arbeiten betrachtet werden»
Die Mehr-Generationen-Wohnprojekte gehören zum Innovativsten auf dem Schweizer Wohnungsmarkt. Für den Direktor des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen, Stephan Mäder, greifen diese Modelle dennoch zu kurz.
Interview mit Departementsleiter Stephan Mäder
Architektur und Städteplanung spielen eine grosse Rolle, wenn es darum geht, wie «Generationenbeziehungen» gelebt werden. Was müsste sich ändern?
Aktiv geändert werden muss wenig. Es ändert sich schon vieles von alleine. Die Chaos-Metropolen der Welt, Mexiko, Kairo, Mumbai, Rio, Istanbul, entwickeln und verändern, sich stark ohne gezielte Lenkung und generieren prototypische Modelle.
Und in der Schweiz? Hier wird doch alles geregelt.
Hier kann nur schwer grundlegend Neues entstehen. Der Bauboom der letzten Jahre hat zu einer Reduktion der architektonischen Qualität geführt. Alles wirkt ziemlich saturiert und gleichzeitig überbestimmt. So sind zum Beispiel die Vorschriften für Energie, Schallschutz und feuerpolizeiliche Auflagen kostentreibend und innovationshemmend. Überall sieht man nur Probleme, die kaum als Chancen wahrgenommen werden.
Ist Mehrgenerationenwohnen das Wohnen der Zukunft?
Das muss sich zeigen. Wohnen ist ein Teil des Lebens, eigentlich ein Menschenrecht, das nicht losgelöst vom Arbeiten gesehen werden kann. In diesem Sinne ist das Mehrgenerationenwohnen nur eine Teillösung für eine Gruppe von Menschen. Eigentlich müssten die Programme noch weitergehen. Das Bauernhaus oder ein Landgasthof waren Orte, wo Arbeiten, Wohnen und Freizeit eine Einheit bildeten. Diese ganzheitliche und umfassende Idee vom Leben müsste man genauer anschauen und in Projekten neu interpretieren.
«Wir erlauben uns eine teure Individualität: 50 Prozent der Wohnungen in der Schweiz werden von ein oder zwei Personen bewohnt.»
Stephan Mäder, Hochschulleitungsmitglied der ZHAW
Bisher wurde vermehrt für Individuen gebaut, statt generationenübergreifend.
Gebaut wurde aber nicht sehr individuell, sondern Stangenware. Das Image, das Werber von Besitzern von Einfamilienhäusern suggerieren, ist: ein glückliches Ehepaar mit zwei Kindern, einem Buben und einem Mädchen in der Primarschule, alle bleiben so, wie sie sind, weil sie nie älter werden. Die Realität ist anders. Die Kreditgeber blenden aus, dass es Patchworkfamilien, Alleinerziehende oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften gibt. Kommt hinzu, dass es in den Zentren schwierig ist, Wohnungen zu finden. Wohnen ist sehr teuer geworden. Viele Leute in der Schweiz arbeiten bis Ende August für ihre Krankenkasse, Versicherungen, Miete und Steuern, bevor sie dann noch was für sich erwirtschaften, etwas, das sie für Lebensmittel oder Ferien ausgeben könnten. Angesichts der hohen Fixkosten reicht ein Einkommen für eine Familie fast nicht mehr aus. Beide Elternteile müssen einem Beruf nachgehen. Deshalb braucht es auch andere Modelle des Zusammenlebens.
Wäre also Mehrgenerationenwohnen ein Thema, mit bezahlbarem Wohnraum, wo der Babysitter gleich nebenan wohnt. Es wird ja auch vielerorts ausprobiert in Überbauungen wie der «Giesserei» in Winterthur oder der Genossenschaftssiedlung «Kalkbreite» in Zürich.
Diese Projekte sind eindrückliche Bauten von engagierten Architekten, die zum Teil an der ZHAW auch unterrichten. Die Hochschule ist auch am Rande beteiligt an einem Projekt der Genossenschaft «zusammen_h_alt», welche Alterswohnungen über den künftigen Unterrichtsräumen des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen realisiert. Kürzlich schrieb aber die «NZZ», dass der Grat zwischen Fürsorge und Kontrolle bei solchen Projekten sehr schmal ist. Man muss sich in diesen Strukturen wohlfühlen, denn man gibt einen Teil der Individualität preis, muss vielleicht aufs Auto verzichten und Verpflichtungen für die Gemeinschaft übernehmen. Man bekommt auch etwas dafür zurück, vielleicht mehr Luxus und Fürsorge, als man sich alleine leisten könnte, aber man muss dieses Miteinander wollen.
Sie gehen Ende Januar in Pension, was wollen Sie künftigen Architektengenerationen mit auf den Weg geben?
Meine Botschaft an die Studierenden ist, dass es sich lohnt, hart zu arbeiten, eigene Wege zu verfolgen. Dass man die Befriedigung in der Arbeit und nicht in der Freizeit finden soll. Es zahlt sich zwar nicht immer aus, eine eigene Meinung zu haben, ohne diese wäre aber das Leben für einen selbst eintönig und man könnte gegen aussen wenig bewirken. Und noch etwas ist mir ein Anliegen: Man kann die Sterne melken, solange man mit den Füssen im Dreck steht.
Zur Person
Stephan Mäder (65) ist Direktor des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen sowie Hochschulleitungsmitglied der ZHAW. Von 1985 an war er zehn Jahre Dozent an der Architekturabteilung des damaligen Technikums Winterthur, anschliessend Leiter des Studiengangs Architektur. Im Rahmen der Gründung der Fachhochschule baute er den gesamten Leistungsauftrag der Fachhochschulen (Bachelor-, Masterstudiengänge, Weiterbildung, Forschung & Entwicklung, internationale Kontakte) an der ZHAW auf. Ende Januar geht er in Pension.
Lesen Sie mehr zum Thema «Generationenbeziehungen» in der September-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact. Sie erscheint am 21. September 2016.