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Soziale Arbeit

Chefin auf Augenhöhe

Die Sorgen anderer ernst zu nehmen, lernte Audrey Hauri von ihrer Mutter. Heute ist sie federführend beim Lösen sozialer Probleme in Glarus.

Nach dem Studium absolvierte Audrey Hauri einen Einsatz in einer betreuten Wohneinrichtung: «Ich wollte richtig anpacken.» (Fotos: Noelle Guidon)

Von Joel Bedetti 

Die Mutter war Beizerin. Das hat Audrey Hauri geprägt. Denn die Beiz war nicht bloss Gasthaus, sondern auch informeller Sozialdienst von Niederurnen, diesem kleinen Dorf im Glarner Unterland. «Viele der Männer tranken dort nicht nur Bier. Sie berichteten auch von ihren Sorgen», erinnert sich Hauri.

Das ist wohl einer der Gründe, weshalb die 44-Jährige so ziemlich das Gegenteil des bunkerähnlichen Gebäudes repräsentiert, in dem sie arbeitet: Partizipativ und auf Augenhöhe begegnet die Leiterin der Sozialen Dienste des Kanton Glarus jenen, die mit ihr zu tun haben. In breitem Glarner Dialekt erzählt sie, wie sich dieser informelle Sozialdienst ihrer Mutter auch in Gastfreundlichkeit äusserte. Das durfte eine Gruppe junger Musiker aus Ghana erleben, die 1976 nach einem Auftritt in der Nähe mit leeren Taschen im Dorf strandeten. Sie konnten für ein paar Wochen bleiben. Einer blieb gleich ganz – und heiratete die Wirtin. Zwei Jahre später wurde Audrey geboren.

Nach der Matura schrieb sich Hauri für das Studium Sozialarbeit und Sozialpolitik an der Universität Freiburg ein. Bereits in der Schule setzte sie sich gern für andere ein. Ein Jahr nach Studienbeginn starb ihr Stiefvater, mit dem ihre Mutter inzwischen zusammenlebte. Hauri zog nach Glarus zurück, um der Mutter zur Seite zu stehen. Das Studium setzte sie an der ZHAW fort. Es war praxisnäher ausgerichtet als das Unistudium. Hauri absolvierte darum auch gleich einen Einsatz in einer betreuten Wohneinrichtung: «Ich wollte richtig anpacken.»  

Mutige Glarner:innen

Nach dem Studienabschluss, Hauri war inzwischen Mutter geworden, baute sie ab 2006 im Teilpensum die kantonale Schuldenberatung auf und ab 2011, zusammen mit Kolleg:innen, die Schulsozialarbeit in der Gemeinde Glarus. Ein Jahr später stimmte die Landsgemeinde der Einführung der Schulsozialarbeit im ganzen Kanton zu. Im konservativen Glarus, erklärt Hauri, kämen Neuerungen später an als etwa in Zürich.

Dafür seien die Entscheidungswege kurz und die Menschen mutig: «Man nimmt das Telefon in die Hand, und schon bewegt sich was.» Das motivierte Hauri, den konsekutiven Master in Sozialer Arbeit an der ZHAW anzuhängen. Ausschlaggebend für die Wahl der Hochschule war der modulare Aufbau. «Das erlaubte mir, Studium, Beruf und Familie zu vereinbaren.»

Bald wusste Hauri, worauf sie sich fokussieren wollte: Als Schulsozialarbeiterin hatte sie immer wieder feststellen müssen, dass im Austausch mit Lehrpersonen und Schüler:innen die Eltern zu kurz kamen. Für ihre Masterarbeit führte sie darum Interviews mit Schulsozialarbeitenden sowie mit Müttern von Schüler:innen, denn: «Eltern sind Expert:innen der Lebenswelt ihrer Kinder.» Das Fazit ihrer Arbeit: Schulsozialarbeit kann als Brückenbauerin Eltern und Schule zusammenbringen. Die Eltern sollen partizipieren und dadurch Ängste ablegen können. Hauris Vorschlag: neue Formen der Begegnung ermöglichen. Also beispielsweise Schulbazare und Elterncafés durchzuführen, statt einzig auf Elterngespräche zu setzen.  

Alles ist möglich

Noch vor Studienende stieg Hauri zur Leiterin der Sozialen Dienste auf. Sie stand nun 40 Mitarbeitenden vor und verantwortete Bereiche von der Sozialhilfe über die Schulsozialarbeit bis zur Bewährungshilfe. Der Master habe ihr Selbstbewusstsein gegeben für Verhandlungen mit Politiker:innen, aber auch den Umgang mit anderen Amtsträger:innen, etwa Jurist:innen. «Sozialarbeitende werden manchmal als aufopfernde Helfer:innen gesehen, dabei sind wir Expert:innen für soziale Probleme und arbeiten evidenzbasiert.» Um auch fürs System-, Marketing- und Ressourcen-Management gerüstet zu sein, absolvierte sie kürzlich eine Ausbildung in Nonprofit Management.

Die Abschlussarbeit steht gerahmt auf einem Regal in ihrem Büro. Es ist das neue Leitbild der Sozialen Dienste von Glarus. «Kein Wort darin ist von mir», sagt Hauri und lacht. «Aber ich begleitete den Prozess, in dem mein Team gemeinsam Haltungen, Werte und Normen diskutierte und den Text verfasste.» Kaum war die Ausbildung zu Ende, stand der nächste Karriereschritt an. Ihr Vorgesetzter, der Leiter der Hauptabteilung Soziales, geht in Rente und sie übernimmt seine Aufgaben. Dazu gehört auch der Bereich Asyl. Damit wird sie ab Juni die grösste Flüchtlingskrise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg für den Kanton Glarus meistern müssen. Das bedeutet viele lange Arbeitstage. Doch das sei sie sich gewohnt, sagt Audrey Hauri.

Nachdem sie alles erzählt hat, hält sie kurz inne. Als man sich beeindruckt zeigt von ihrem Lebenslauf, lächelt sie. «Ich habe immer viel von mir verlangt. Ich bin Frau, ich habe die Hautfarbe, die ich habe. Man könnte von doppelter Benachteiligung reden.» Aber so denke sie nicht, im Gegenteil: «Als Schulsozialarbeiterin hatte ich das Gefühl, ein Vorbild für Kids mit Migrationshintergrund zu sein. Sie sahen: Alles ist möglich.» 

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