Wer jüngere Fachkräfte beschäftigt, muss innovatives Personalmanagement betreiben
Qualifizierten Nachwuchs finden und ihn langfristig halten: Diese Aufgabe fordert soziale Einrichtungen zunehmend heraus. In einem gemeinsamen Projekt erarbeiten die ZHAW Soziale Arbeit und Praxispartner:innen nachhaltige Lösungen.
Das Problem ist erkannt und in vielen Branchen virulent, im Sozialwesen aber ganz besonders: Mit dem Ausscheiden geburtenstarker Jahrgänge aus dem Erwerbsleben verlieren soziale Organisationen derzeit wertvolles Wissen und jahrzehntelange Erfahrung. Der demografische Wandel verschärft das Problem: Immer weniger junge Arbeitskräfte drängen auf den Markt.
Hinzu kommt, dass die neue Generation andere Werte und damit andere Erwartungen mitbringt. Neben mehr Mitsprache und einer Trennung von Job und Privatleben fordert der Nachwuchs flexible Arbeitsmodelle wie etwa Homeoffice oder mobiles Arbeiten. Diese neuen Ansprüche führen häufig zu Spannungen zwischen den Generationen und erschweren sowohl das Recruiting wie auch die Personalführung zusätzlich.
Projekt zu innovativer Personalentwicklung
Klar ist: Soziale Institutionen müssen sich verändern, wenn sie weiterhin qualitativ hochwertige Dienstleistungen erbringen wollen. Während in der Privatwirtschaft viele Unternehmen mit Employer Branding und New Work bereits innovative Strategien der Personalentwicklung umsetzen, zögern viele soziale Einrichtungen und öffentliche Verwaltungen im Sozialwesen noch.
Hier setzt das Projekt «Innovative Personalentwicklung in Sozialen Institutionen» (IPSI) der ZHAW Soziale Arbeit an. In der derzeit laufenden Pilotphase, die im Frühsommer startete, entwickelt ein Team der Fachhochschule gemeinsam mit dem Geschäftsbereich Schutz und Prävention der Sozialen Einrichtungen und Betriebe (SEB) Zürich und der Organisation Offene Jugendarbeit Zürich (OJA) neue Konzepte für die jeweilige Personalpolitik. «OJA und Schutz und Prävention der SEB bewegen sich mit ihren Angeboten in dynamischen Feldern der Sozialen Arbeit, die für Mitarbeitende hoch interessant sind, hinsichtlich der Arbeitsbedingungen aber gewisse Herausforderungen mit sich bringen, wie unregelmässige Arbeitszeiten oder eine Konzentration der Aktivitäten aufs Wochenende. Diese Gegebenheiten lassen sich nicht verändern. Mit IPSI versuchen wir innerhalb des vorgegebenen Rahmens, Entwicklungspotenzial zu eruieren und kollaborative Lösungsideen zu erarbeiten und umzusetzen.», sagt Co-Projektleiterin Daniela Wirz.
Perspektive der Studierenden
Die Ideen werden in Workshops erarbeitet. Mithilfe von kreativen Methoden wie Design Thinking werden Ansätze entwickelt, die den Bedürfnissen der beteiligten Institutionen entsprechen.
An den Workshops nehmen neben dem wissenschaftlichen Personal und den Praxisvertreter:innen auch drei Studierende der ZHAW teil – also der nächste Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt. Eine von ihnen ist Désirée Zünd. «Trotz meiner jungen Praxiserfahrung stiess meine Perspektive auf grosses Interesse», sagt die Masterstudentin. Diese Offenheit zu erfahren, sei für sie sehr wichtig, sagt Zünd: «Es zeigt, dass das Sozialwesen den Fachkräftemangel ernst nimmt und nach Lösungen sucht, die mit den Bedürfnissen der jungen Generationen vereinbar sind.»
Begeisterung weitergeben
Auch die Sichtweise potenzieller zukünftiger Arbeitgeber:innen zu erfahren, ist für Studierende wertvoll. Zum Beispiel jene von Anne Terrier, langjährige Mitarbeiterin bei der OJA und Leiterin Mobile Jugendarbeit Zürich. Sie erinnert sich: «Ich bin einst mit Herzblut in die Jugendarbeit eingestiegen.»
Diese Begeisterung wolle sie nun weitergeben und zeigen, wie man sich mit Gleichgesinnten vernetzen kann – ein Faktor, der einen sowohl im Berufsalltag während kritischer Phasen stärkt wie auch einen grossen potenziellen Wissensgewinn on the job bietet. Terrier ist überzeugt: «Als attraktiver Arbeitgeber muss man verstehen, wie junge Arbeitnehmende ticken und wirklich hinhören, wie man sie rekrutieren kann. Man muss herausfinden: Welche Erwartungen haben sie? Was brauchen sie, damit sie gern bei uns arbeiten?»
Zu den Ergebnissen der ersten Workshops gehört, dass die beteiligten Praxisorganisationen Themenfelder festgelegt haben, die sie nun als nächstes ausarbeiten wollen. Dies sind etwa flexible, selbstbestimmte Arbeitspläne, die den Bedürfnissen der jüngeren Generationen nach mehr Flexibilität und Work-Life-Balance gerecht werden. Weitere Beispiele sind ein modernes Spesenreglement sowie die Entwicklung von Massnahmen zur Förderung und Prävention der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden.
Interne Widerstände adressieren
Trotz des optimistischen Ansatzes, der in den Workshops zu spüren war, stehen die Projektbeteiligten auch vor Herausforderungen, die es in der Zusammenarbeit in ihren Organisationen zu bewältigen gilt. Einer davon ist der interne Widerstand gegen Veränderungen, der vor allem bei langjährigen Mitarbeitenden auftreten kann. «Sie haben in ihrer institutionellen Laufbahn schon viele Veränderungsprozesse erlebt und sind gegenüber Änderungen gelegentlich skeptisch, weil sie wie eine Kritik am Bisherigen aufgefasst werden können», sagt Co-Projektleiter Kontantin Kehl. Diese Arbeitskräfte müssen von der Notwendigkeit und den Vorteilen neuer Arbeitsmodelle oder Entlohnungsstrukturen überzeugt werden.
Als weitere Herausforderung wurden Spannungen zwischen den Generationen identifiziert. Hierbei ist der Umgang mit unterschiedlichen Erwartungen und Kommunikationsstilen entscheidend, um konstruktive Lösungen zu erzielen.
Auch Ressourcenknappheit ist für Veränderung alles andere als förderlich. Zeit, finanzielle und personelle Ressourcen sind aber gerade in vielen sozialen Einrichtungen knapp bemessen. Daher muss sichergestellt sein, dass die notwendigen Ressourcen für die Implementierung der Prototypen, die in den Projektworkshops erarbeitet werden, zur Verfügung stehen.
Ziel: Prototypen erarbeiten
«Ein kritischer Moment ist die Umsetzung der in den Workshops entwickelten Lösungen in die Praxis», sagt Co-Projektleiterin Daniela Wirz. «Ein erfolgreicher Transfer erfordert nicht nur das Engagement der Führungskräfte, sondern auch die Bereitschaft zur kontinuierlichen Anpassung und Überprüfung der eingeführten Massnahmen.»
Das Ziel der Zusammenarbeit in IPSI ist es, dass die beteiligten Institutionen am Ende der Workshops jeweils ein bis zwei Prototypen für umsetzbare Lösungen erarbeitet haben, die direkt in den Arbeitsalltag integriert werden können. Im Mittelpunkt steht dabei die Etablierung einer nachhaltigen Personalpolitik, die auch die jüngeren Generationen mit einbezieht und damit den bestehenden und zukünftigen Fachkräften ein attraktives und gesundes Arbeitsumfeld bietet – eine dringende und zukunftsweisende Aufgabe für den Sozialbereich.
Projekte mit Bezug zur Fachkräftesituation
Projekt «IPSI»
Nach Abschluss der Pilotphase wird das Projekt Innovative Personalentwicklung in Sozialen Institutionen (IPSI) im Herbst 2024 auf vier weitere soziale Institutionen ausgeweitet, um ein nachhaltig verbessertes Personalmanagement in der gesamten Branche zu fördern.
Möchten Sie über das Projekt auf dem Laufenden gehalten werden oder ebenfalls einen Workshop mit uns durchführen? Dann melden Sie sich bei Projektleiter Konstantin Kehl oder Stv. Projektleiterin Daniela Wirz, die Ihnen gerne im Gespräch weitere Informationen geben und Fragen klären.
Projekt «Lösungsansätze zum Fachkräftemangel im Sozialbereich»
Beschäftigt Sie die Fachkräftesituation im Sozialbereich? Im Projekt Lösungsansätze zum Fachkräftemangel im Sozialbereich wird in enger Kooperation mit Praxisorganisationen im Kanton Zürich eruiert, welche Themen die Organisationen rund um den Berufs- und Quereinstieg in die Soziale Arbeit herausfordert und wie man diesen Herausforderungen seitens Praxis und Hochschule begegnen kann.
Erste Ergebnisse werden Ende 2024 kommuniziert. Nehmen Sie gerne mit Projektleiter Peter Streckeisen oder Stv. Projektleiterin Daniela Wirz Kontakt auf.