Wie Sozialberatung trotz Social Distancing funktioniert
In einem Forschungsprojekt untersucht das Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe, wie Sozialarbeitende ihre Klientel übers Telefon oder über Online-Kontakt unterstützen können. Es sind noch Teilnehmende gesucht.
Da ist zum Beispiel Andrea Gärtner. Die Sozialarbeiterin der Caritas Zürich unterstützt Menschen in Notlagen. Während des Shutdowns im Frühjahr musste sie vorübergehend auf telefonische Beratung umstellen. Sie ist froh, dass sie ihre Klientinnen und Klienten seit Mai wieder in ihrem Büro im Zentrum Krokodil, einem Treffpunkt für Familien aus Schwamendingen, empfangen kann – natürlich unter Einhaltung der Hygiene-Massnahmen.
«Organisatorisches wie gewisse Abklärungen kann man gut via E-Mail erledigen. Aber viele Themen, um die es in der Beratung selbst geht, sind sehr privat», sagt Gärtner. Die Pandemie hat die Probleme verschärft, die zweite Welle drängt die Menschen in Existenznöte. Manchmal fliessen Tränen. Doch übers Telefon kann man keine Taschentücher reichen. Dazu kommen sprachliche Hürden. Fast alle Leute, die sich bei der Sozialarbeiterin melden, haben einen Migrationshintergrund.
Ein grosser Vorteil für die Betroffenen ist der Standort der Caritas-Aussenstelle: Sie befindet sich in Zürichs Kreis 12, der in der Stadt am stärksten von Armut betroffen ist, mitten im Quartier. Wer in ländlicheren Gebieten wohnt, muss längere Wege auf sich nehmen für eine Sozialberatung. Doch gerade jetzt gilt es, wann immer möglich zu Hause zu bleiben. Viele Beratungsstellen führen darum weiter telefonische und Online-Angebote.
Chancen und Risiken ausloten
Welche Erfahrungen sie damit im Shutdown gemacht haben oder noch machen, will ein Forschungsteam des Instituts für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe herausfinden. Im laufenden Forschungsprojekt «Bilanzierung neuer Online-Gesprächssettings in der Sozialberatung unter Social-Distancing-Bedingungen: Potenziale, Herausforderungen und Risiken » befragen wir Sozialarbeitende in qualitativen Interviews zu Online-Gesprächssettings. Das können Video-Konferenzen, telefonische Beratungen, Kontakte per WhatsApp oder schriftliche Beratungen per E-Mail sein.
Wir haben festgestellt, dass das Bedürfnis eines Erfahrungsaustausches unter Sozialarbeitenden gross ist. Ziel des Projektes ist daher, bisher unerkannte Potenziale herauszuarbeiten sowie Risiken und Schwierigkeiten zu identifizieren, um die Erkenntnisse für die Praxis der Sozialen Arbeit nutzbar zu machen.
«Neben den vielen Schwierigkeiten, die sich durch die Beratung auf Distanz ergeben, haben wir aber auch von positiven Seiten erfahren.»
Miryam Eser Davolio, Projektleiterin und ZHAW-Dozentin
Ein zentrales Anliegen ist herauszufinden, wie und welche Adressatinnen und Adressaten man mit Online-Gesprächssettings erreichen kann und welche nicht – und warum nicht. Was gilt es beispielsweise bei fremdsprachigen oder betagten Personen zu berücksichtigen? Bei welchen Personengruppen können Online-Beratungsgespräche besonders produktiv genutzt werden? Welches sind die grössten Risiken? Gibt es ethische Bedenken?
Neben den vielen Schwierigkeiten, die sich durch die Beratung auf Distanz ergeben, haben wir aber auch von positiven Seiten erfahren. Dazu gehört etwa die Ersparnis einer langen Anfahrt. Wann wiegt ein solcher Vorteil schwerer als die persönliche Begegnung? Auch das möchten wir von den Projektteilnehmenden wissen.
Online-Angebote beibehalten
Ebenso hat sich in unseren ersten Interviews mit Sozialarbeitenden bereits abgezeichnet, dass manche Beratungsgespräche über elektronische Medien niederschwelliger gestaltet werden können. So haben Beratungsgespräche in kürzeren Abständen als sonst üblich stattgefunden, und der Aufwand bezüglich Koordination mit weiteren Beteiligten war durch das Online-Setting deutlich geringer.
Trotzdem bevorzugen die meisten Sozialarbeitenden Face-to-Face-Beratungsgespräche. Sie können sich aber durchaus vorstellen, dass Mischformen – also online und persönlich vor Ort – auch nach Aufhebung der Social-Distancing-Massnahme etabliert werden.
Vom Datenschutz bis zur Gesprächsführung
Diese ersten Ergebnisse zeigen uns, dass es sich um ein äusserst relevantes Thema in der Sozialen Praxis handelt. Die Fragen, die sich hierbei stellen, reichen von technischen Belangen und Datenschutz über die Art der Kommunikation und Gesprächsführung bis hin zur Beziehungsgestaltung und Kooperation. In vielen Sozialen Diensten und Beratungsangeboten werden jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt.
Damit wir eine möglichst grosse Bandbreite unterschiedlicher Erfahrungen einbeziehen können, führen wir weitere Gesprächsrunden mit interessierten Sozialarbeitenden im Dezember und Januar 2021 durch. Der Auswertungsbericht ist für Ende Februar 2021 geplant. Dieser wird allen Beteiligten zugestellt.
Ebenso möchten wir die Erkenntnisse einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich machen und sie in die Praxis tragen. Damit hoffen wir, einen Beitrag zur aktuellen Diskussion zu leisten.
Forschungsprojekt: Weitere Teilnehmende gesucht
Welche Erfahrungen machen Sozialarbeitende mit Online-Gesprächssettings in der Sozialberatung, seien dies Video-Konferenzen, Mail, Telefon oder WhatsApp? Welche Potenziale entdecken sie, und welche Risiken gilt es dabei zu beachten? Diesen Fragen geht ein Forschungsteam des Instituts für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe nach, um durch Diskussionsrunden mit interessierten Sozialarbeitenden eine Bilanzierung der Erfahrungen für die Praxis der Sozialberatung nutzbar zu machen.
Sind Sie in der Sozialberatung tätig und konnten bereits Erfahrungen mit Online-Gesprächssettings sammeln? Dann würden wir uns freuen, wenn Sie an unserer Studie teilnehmen. Die Termine für Online-Gruppendiskussionen (in 3er-Gruppen) werden via Doodle vereinbart und dauern eineinhalb Stunden. Dabei werden Fragen zu Gesprächsführung, Kommunikation, Beziehungsaufbau, technischen und ethischen Fragen sowie zur Bilanzierung gestellt.
Bei Interesse wenden Sie sich bis 11. Januar 2021 an die Projektleiterin Miryam Eser Davolio, Telefon 058 934 88 76, E-Mail mirjam.eserdavolio@zhaw.ch.
Im Projektteam: Claudia Kunz Martin, Gisela Meier und Kushtrim Adili, Institut Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe ZHAW Soziale Arbeit