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Soziale Arbeit

Beteiligungskultur im Alter: Immer am Ball bleiben

Ein reges Sozialleben stärkt und verlängert die Selbständigkeit älterer Menschen. In einem Projekt der ZHAW wird untersucht, wie man in Alterssiedlungen die Beteiligung fördern kann.

Von Sylvie Johner-Kobi, Barbara Baumeister und Kushtrim Adili

«Als ich vor elf Jahren hier anfing zu arbeiten, stellte ich immer wieder fest, dass einige Mieterinnen und Mieter einander gar nicht kennen.» Christina Müllers Stimme hört man heute noch das Erstaunen von damals an, als sie die Teilzeitstelle einer Siedlungsassistentin in der Soodmatte antrat. Die Siedlung mit 49 Mietwohnungen für Menschen ab 60 Jahren wurde im Jahr 2000 von der Stiftung für Altersbauten in Adliswil gebaut.

Soziale Kontakte anzuregen, ist nur eine von Müllers Aufgaben. Sie plant die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen gemeinsam mit den Mieterinnen und Mietern. Zudem berät sie diese individuell mit dem Ziel, dass sie so lange und so selbständig wie möglich in der Soodmatte wohnen können. Müller fördert die Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe innerhalb der Bewohnerschaft. Ihre Arbeit findet Anklang. «Immer wieder lassen die Menschen hier durchblicken, dass sie die Vorteile einer Teilhabe an gemeinschaftlichen Aktivitäten erkennen und schätzen», sagt die Sozialarbeiterin.

Bedarf an Siedlungsassistenzen steigt

Siedlungsassistenzen sind ein neueres Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit. Wie wichtig sie im Altersbereich sind, stellen wir, ein Team des Instituts für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe, in unserem Forschungs- und Entwicklungsprojekt fest. Beteiligt sind eine ländliche, zwei städtische sowie zwei Siedlungen in Agglomerationsgemeinden. In zwei Siedlungen sind Sozialarbeitende angestellt, um Beteiligungsprozesse anzustossen. In den restlichen drei Siedlungen gibt es keine solchen Fachpersonen.

Doch der Bedarf an nachbarschaftsorientierten Stellen steigt. Laut Bundesamt für Statistik leben die meisten älteren Menschen in der Schweiz in einem Privathaushalt. Im Jahr 2016 waren dies 96 Prozent der Personen über 65 Jahre. Alterswohnungen und -siedlungen gehören zu dieser Haushaltsform, und sie werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dies zeigt der neuste «Age Report» der Age-Stiftung und der Fondation Leenaards.

Etwas anreissen

Partizipation von älteren Menschen im Wohnumfeld wird als zentraler Aspekt gesehen, um deren Lebensqualität zu erhöhen. Sie kann verschiedene Stufen beinhalten. Im Projekt verwenden wir ein Modell mit vier Stufen: Informiert werden, Anhörung von Betroffenen, Mitbestimmen oder Mitentscheiden sowie Selbstorganisation oder Selbstverwaltung. Insbesondere in den beiden Siedlungen mit Siedlungsassistenz werden alle vier Stufen der Partizipation gelebt, während bei den anderen beiden meist nur die Partizipationsstufe eins sichtbar ist.

Wobei auch dort teilweise Elemente der Selbstorganisation wie in Form von Nachbarschaftshilfe erkennbar sind. «Es muss jemand da sein, der etwas anreisst, sonst leben alle für sich», sagte ein Mieter der ländlichen Siedlung im Interview mit uns. Bisherige Projekte und Studien bestätigen: Es braucht Kontaktpersonen vor Ort wie Siedlungsassistenzen, Hauswartinnen und Hauswarte mit erweitertem Aufgabenprofil. Denn selbst den ersten Schritt der Kontaktaufnahme wagen so manche neu Zugezogene nicht auf Anhieb.

Kritik aushalten

Es gibt aber auch andere Gründe für soziale Zurückhaltung: Wer an Veranstaltungen teilnimmt oder solche mitorganisiert, exponiert sich. Das wurde in den Interviews öfters thematisiert. Man möchte involviert sein, aber nicht zu sehr. «Das geht so rassig mit Rumerzählen», sagte eine Frau. Niemand wird gern zum Mittelpunkt von Gerede. Auch eine gewisse Spontaneität will man sich offen halten. Anders gesagt: Nähe ist wichtig, Privatsphäre und Freiwilligkeit aber genauso. Wer mithilft oder mitorganisiert, muss damit klarkommen, wenn Veranstaltungen nicht genutzt oder kritisiert werden. Man darf nicht unbedingt mit Dankbarkeit rechnen.

In den fünf Siedlungen spielt die architektonische Gestaltung eine grosse Rolle. Sitzbänke und Gemeinschaftsräume stellen wichtige Rahmenbedingungen dar. In einer der Siedlungen plant das Projektteam deshalb, zusammen mit den Mieterinnen und Mietern den Gemeinschaftsraum mit neuer Möblierung und anderem aufzuwerten. Einen solchen Raum, das Soodmatte Stübli, gibt es seit sechs Jahren. Er ermöglichte schon zahlreiche Aktivitäten. In der Soodmatte stellen ausserdem auch Laubengänge eine Art Begegnungszone dar, wo es regelmässig zu einem spontanen Schwatz kommt. Manchmal braucht es nicht viel, damit Begegnungen zustande kommen.

Projekt «Förderung einer Beteiligungskultur im organisierten Wohnen» (2020-2023)

In einem laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekt geht ein Team des Instituts für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe der Frage nach, wie in verschiedenen Alterssiedlungen insbesondere bei schwer erreichbaren Gruppen Partizipationsaktivitäten zustande kommen und welches förderliche sowie hinderliche Faktoren für Partizipation sind. Die Mieterinnen- und Mieterperspektive steht dabei im Vordergrund.

Im Grundlagenteil wird der «State oft the Art» von partizipativen und Peer-to-peer-Ansätzen in ähnlichen Settings aufgearbeitet (Modul 1) sowie die Bedürfnisse der Mieterinnen und Mieter erhoben (Modul 2). In einem Umsetzungsteil werden in fünf Alterssiedlungen mit älteren Mieterinnen und Mietern sowie Mitarbeitenden gemeinsam Mitwirkungsaktivitäten geplant, umgesetzt und evaluiert (Modul 3), mit dem Ziel, eine Beteiligungskultur zu implementieren. Aus den daraus gesammelten Erfahrungen resultiert ein «Methodenkoffer Partizipation» (Modul 4). Das Projekt wird von der Age-Stiftung gefördert.

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