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Soziale Arbeit

Mehr als Psychohygiene

Supervision ist ein bewährtes Beratungsformat. Dies scheint den Effekt zu haben, dass sich darin wenig tut. Doch wo liegen denn überhaupt ihre Möglichkeiten und wie lassen sie sich in Zukunft besser ausschöpfen?

von Stephan Scharfenberger und Hansjürg Lusti

Wir beschäftigen uns als Supervisoren und Ausbildner seit zwanzig Jahren mit Supervision. In beiden Rollen fragen wir uns, ob sich Auftraggebende, Supervisanden und Supervisorinnen des Potenzials von Supervisionen bewusst sind und ob dieses umfassend genutzt wird. Unserer Einschätzung nach stagniert die Nachfrage im Vergleich zu anderen Beratungsformaten. Supervision unterliegt einem zunehmenden Marktdruck: Die anfragenden Institutionen stehen unter Kostendruck, die zur Verfügung stehenden Mittel werden teilweise auf andere Beratungsformate wie Führungscoaching und Organisationsentwicklung umgelagert. Die vor zehn bis zwanzig Jahren aktuelle Auseinandersetzung mit der Frage, ob Supervision eine Profession sei und wie sie sich profilieren kann, scheint weitgehend erloschen. Viele Supervisorinnen und Supervisoren haben für sich entschieden, auch das trendige Coaching anzubieten. Konzeptionell tut sich wenig, die Anfragenden scheinen eine sehr klare Vorstellung davon zu haben, wozu eine Supervision dient. Welchen Herausforderungen kann und muss sich das Format vor diesem Hintergrund stellen?

Ein Format ohne Entwicklung?

Supervision hat sich als Beratungsformat in sozialen und sozialnahen Aus- und Weiterbildungen sowie in Dienstleistungen für solche Organisationen bewährt. Hat sich das Format daher ‒ vor allem angesichts der starken Konkurrenz durch Coaching und Organisationsentwicklung ‒ in seinem bewährten Terrain eingeigelt und fristet so als Specie rara in kleinen Biotopen unausrottbar sein Dasein? Sicher ist: Das Sein und mögliche Werden oder Absterben des Formats steht zur Diskussion. Wie nutzbringend ist Supervision für Kundinnen und Kunden wirklich und kann sie mit Einzelnen, Teams und Organisationen tatsächlich Antworten finden auf drängende Herausforderungen sowie nötige innovative Entwicklungen unterstützen oder gar initiieren oder dient sie lediglich der Strukturerhaltung und der Psychohygiene? Will man Fragen nach der Zukunft und dem Potenzial von Supervision beantworten, gilt es, den Kontext zu betrachten, in dem sie stattfindet.

Potenziale für die Supervision

Viele Supervisionsformen und -aufträge sind wenig konturiert, was sie diffus und potenziell enttäuschend werden lässt. So vereint beispielsweise «Teamsupervision» eine Vielzahl von oft ungeklärten Veränderungswünschen, impliziten Hoffnungen und individuellen Erwartungen. Zusätzlich wird der institutionellen Rahmung wenig Beachtung geschenkt. Die beteiligten Expertinnen und Experten bringen ihre spezifischen Vorerfahrungen, ihre berufliche Sozialisation, ihre aktuelle Befindlichkeit und ihre professionellen Selbstverständnisse in die Supervision ein. Entsprechend vielfältig und unterschiedlich sind die Erwartungen: Beziehungsförderung, Klärung der Zusammenarbeit, Schutz, Veränderung «von unten», Unterstützung gegen «schwierige» Teamkolleginnen und -kollegen, Hilfe bei Arbeitsbelastung und -bewältigung, konkrete Tipps bei komplexen Fällen, Antworten im Sinne von Best Practices und Standards. Eine Klärung dieser Unterschiedlichkeiten setzt einen eigenen reflexiven (Vor-)Supervisionsprozess vor Beginn der thematischen Supervision voraus. Doch ein sorgfältiger Auftragsklärungsprozess wird meist nur murrend mitgemacht, denn «es ist ja klar, worum es geht».

Komplexe Spannungsfelder aktiv bearbeiten

Supervision hat immer mit (hidden) Agendas der Führungskräfte und Auftraggebenden zu tun, die sich oft von den Interessen der Mitarbeitenden unterscheiden. Diese Divergenz wird zum Teil bei der Auftragserteilung thematisiert und so in den reflexiven Prozess einbezogen, zum Teil nur vage angedeutet und zum Teil gänzlich unterschlagen. Positive Erwartungen werden eher offen formuliert: «Helfen Sie uns, die Organisation zu verbessern», «Stärken Sie die Mitarbeitenden». Beanstandungen können eher indirekt daherkommen: «Es geht auch um die Entwicklung der fachlichen und sozialen Kompetenzen von einzelnen Mitarbeitern, da gibt es doch gewisse Unterschiede.» Supervision kann die eigenen Ausgangsbedingungen und Erfolgsaussichten verbessern, wenn die zugrundeliegenden Motive berücksichtigt und sorgfältig geklärt werden. Die Schnittmenge von Supervision, Führungscoaching und Organisationsberatung birgt für solche Situationen viel Potenzial, jedoch auch das Risiko zusätzlicher Diffusität.

Das grosse Ganze im Blick behalten

Supervision wird oft als isolierte Massnahme behandelt. Sie wird als tradierte, wenig reflektierte und fokussierte Massnahme bestellt und nicht mit anderen in der Institution aktuellen Aktionen verknüpft wie der Einführung neuer Arbeitskonzepte, Führungscoachings, Weiterbildungen oder Qualitätssicherung. Dies führt zu einem Gefühl ritualisierter Beliebigkeit und verschenkt das Potenzial von strategisch ausgerichteten und stringent koordinierten Entwicklungsmassnahmen. Das Ergebnis ist punktuell hilfreiche Unterstützung im Einzelfall, aber fehlende Nachhaltigkeit für die Mitarbeitenden und die Organisation sowie ihre Kundinnen und Kunden. Der Nutzen von Supervision kann deutlich verbessert werden, wenn sie mit andere Themen und Aktivitäten koordiniert wird. Dabei ist die Herausforderung für Supervisorin und Supervisor sowie Organisation, Aufwand und Abgrenzung passend zu gestalten.

Professionalität, Reflexion und Wirkung

Die Definition von Supervisions-Aufträgen stützt sich zu wenig auf professionelle Kriterien. Die Wahl der Supervisorin oder des Supervisors wird oft zu stark von Sympathie, Supervisionserfahrung, Branchenkenntnis und dem Anwenden bewährter Kommunikationsrituale abhängig gemacht. Ein explizites Anforderungsprofil sowohl für die Supervision als auch die Supervisorin oder den Supervisor könnte schon vor Beginn des Beratungsprozesses viel bewirken. Gleichzeitig sind Supervisorinnen und Supervisoren gefordert, in professionellen Situationen mit hoher Komplexität und hohem Druck Reflexionsmöglichkeiten (Zeiten, Gefässe, Kompetenzen) zu finden. Ein wichtiges Thema ist die Wirkung von Supervisionen, die oft zu wenig thematisiert wird. Supervisions-Auswertungen sind nicht selten Happiness-Überprüfungen. Die Frage, welche Wirkung eine Supervision erzielen soll, und die Überprüfung dieser Effekte wird oft vage gehandhabt, ja stösst auf Unwillen. Supervisorinnen und Supervisoren, aber auch die entsprechenden Beratungsformate sollten ihr Nutzenversprechen klarer formulieren und einlösen.

Alt bewährt, aber nicht ausgedient

Bei allen Herausforderungen darf etwas nicht vergessen werden: Supervision funktioniert. Und zwar allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie stattfindet und dazu einlädt, die eigene Situation zu präsentieren sowie vertieft und anders darüber zu reflektieren. Doch es trifft auch zu, dass das Format mehr Potenzial hat, als im Moment ausgeschöpft wird. Soll eine Weiterentwicklung gelingen, muss eine gute Balance gefunden werden zwischen bewährten Supervisionsritualen und dem selbstreflexiven Herausfordern und Hinterfragen der Routine. Auftraggebende müssen davon überzeugt werden, dass sich eine umfassende und präzise vorgängige Auftragsklärung lohnt. Diese beinhaltet nicht nur den aktuellen Bedarf, sondern auch konkrete Zielsetzungen und Nebenwirkungen, eine differenzierte Analyse des Kontexts sowie die bewusste und intelligente Vernetzung mit anderen Initiativen in der Institution. Die Herausforderungen für alle Beteiligten sind vielfältig: Es gilt, nutzbringende Formatverschränkungen zu praktizieren. Führungsthemen und -problematiken müssen konstruktiv in Supervisionsprozesse eingebunden werden, Themen der Organisationsentwicklung berücksichtigt werden, ohne sich anderen Formaten anzubiedern und eigene Grenzen zu vergessen oder diffus zu werden. Experimentierfreudigkeit soll zur Verbesserung der Beratungsqualität eingesetzt und die damit verbundenen Risiken sollen bearbeitet werden. Die Ergebnisse der Supervision können nicht für sich allein stehen, sondern müssen in den Q-Zyklus der Organisation eingebunden werden. Weiteres Potenzial besteht in nicht sozialen/pädagogischen Berufswelten und umgekehrt im Nutzen neuer Erkenntnisse aus «fremden» Feldern wie innovative Führungs- und Organisationskonzepte und Kooperationsmodelle. Für die Zukunft ist nicht zuletzt entscheidend, dass die Supervision ihre besondere Reflexionskompetenz selbstbewusster lebt und «verkauft». Dadurch kann die moderne Supervision ein explizites und ganzheitliches Versprechen von Nutzen und Qualitätsbewusstsein in den Mittelpunkt stellen – für Mensch und Organisation.

Tagung «Zukunft der Supervision: Reflexionen, Visionen, Entwürfe»

Am 31. August und 1. September 2017 organisieren die ZHAW Soziale Arbeit und das isi – institut für systemische impulse in der Limmathall in Zürich eine Tagung zu diesem kontroversen Thema. Die Tagung bietet vielfältige Impulse aus verschiedenen fachlichen Perspektiven und eine spannende Plattform für Vernetzung.

Weitere Informationen und Anmeldung