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Soziale Arbeit

Nichtbezug Sozialhilfe: Warum viele Menschen auf ihr Geld verzichten

Trotz prekärer Lebenslage machen viele Ausländerinnen und Ausländer von ihrem Recht auf Sozialhilfe keinen Gebrauch. Was sind ihre Gründe? Hat die Corona-Pandemie dieses Verhalten geändert? Wir haben Fachpersonen bei Behörden und NGO befragt.

Von Gisela Meier, Eva Mey und Rahel Strohmeier Navarro Smith

«Die Lage wird sich weiter verschärfen, und es wird vor allem Ausländerinnen und Ausländer mit niedrigem Lohn treffen», lautet die Einschätzung einer Sozialarbeiterin aus der wirtschaftlichen Sozialhilfe auf die Frage, wie die Covid-19-Pandemie das Phänomen Nichtbezug von Sozialhilfe beeinflussen wird. Die Corona-Krise hat gezeigt, wo unsere soziale Sicherung schlecht greift und an ihre Grenzen stösst. Dies gilt insbesondere für den Nichtbezug von Sozialhilfe – eine Problematik, die in der Sozialen Arbeit schon länger mit Sorge beobachtet wird. Betroffen sind dabei insbesondere Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung B oder C, die trotz prekärer Lebenslagen unterhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimums die ihnen zustehende materielle Hilfe bewusst nicht beantragen.  

Welche gesetzlichen Mechanismen und individuellen Gründe stecken hinter diesem Phänomen? Wie wird derzeit in der Sozialen Arbeit damit umgegangen? Und wie wirkt sich der Nichtbezug auf die betroffenen Personen aus? Diesen Fragen sind wir anhand von Interviews mit Fachpersonen aus staatlichen und nicht-staatlichen Behörden- und Fachstellen des Sozial- und Migrationsbereichs im Kanton Zürich nachgegangen.

Kontakt wird abgebrochen

Bisherige Untersuchungen zeigen, dass häufig prozessuale und strukturelle Gründe zum Nichtbezug von Sozialhilfe führen. Sie liegen etwa in komplizierten Anmeldeverfahren oder in der restriktiven Definition von Anspruchskriterien.

Für die ausländische Bevölkerung kommt eine erhebliche Hürde hinzu: die zunehmende Verschränkung kaum vorstellbar, wie es die Familien schaffen, unter den gegebenen Bedingungen finanziell durchzukommen. Doch im Falle eines Kontaktabbruchs könne keine persönliche Hilfe mehr geleistet werden. Viele Fachpersonen sowohl von staatlichen wie nicht-staatlichen Organisationen schildern, dass die Angst vor ausländerrechtlichen Konsequenzen enorm gross sei, wobei deren Berechtigung nie ganz sicher sei.

Erstens werden die gesetzlichen Vorgaben kantonal unterschiedlich umgesetzt. Zweitens scheint es erhebliche Ermessensspielräume auf der Ebene der einzelnen Fallentscheide zu geben. So spielt es eine Rolle, wie die Meldepflicht in den jeweiligen Gemeinden seitens der Sozialhilfe konkret umgesetzt wird; das kantonale Migrationsamt evaluiert und bewertet dann seinerseits den Sozialhilfebezug im Rahmen der aufenthaltsrechtlichen Abklärungen.

Hohe Dunkelziffer

Dazu kommt, dass die Dokumentation zu ausländerrechtlichen Entscheiden noch lückenhaft und wenig zugänglich ist, was diese sowohl für Betroffene als auch für Fachpersonen noch weniger vorhersehbar macht und auf beiden Seiten grosse Unsicherheiten hinterlässt. So wird zum Beispiel nicht differenziert erfasst, aus welchen Gründen eine Aufenthaltsbewilligung entzogen wird. Je nach institutionellem und kommunalpolitischem Kontext variiert der Zeitpunkt, wann eine Meldung erfolgt, erheblich. Im Extremfall wird eine Meldung bereits nach dem ersten Kontakt mit dem Sozialdienst getätigt – auch ohne tatsächlichen Bezug finanzieller Leistungen.

Es gibt auf nationaler Ebene noch keine gesicherten Zahlen darüber, wie viele Migrantinnen und Migranten aus Furcht vor ausländerrechtlichen Konsequenzen das Sozialamt meiden oder welche Personengruppen, beispielsweise in Bezug auf Alter oder Familienform, besonders betroffen sind. Jedoch gehen Fachpersonen unisono von einer hohen Anzahl unbekannter Fälle aus: «Die Dunkelziffer ist eben besonders dunkel.»

Wege aus der Abwärtsspirale

Einigkeit besteht unter den für die Studie Befragten auch bezüglich der gravierenden Folgen. So mögen kurz- und mittelfristig die privaten Netzwerke oder vorübergehende Angebote seitens Staat und NGO aushelfen. Längerfristig jedoch drohen Verschuldungs- und Prekarisierungsspiralen, in deren Verlauf irgendwann der soziale Rückzug erfolgt, die Wohnsituation unsicher wird und physische und/oder psychische Probleme zunehmen. Wenn Kinder da sind, können sich die Probleme in mehrfacher Hinsicht und mit potenziell nachhaltigeren Folgen verschärfen.

Die derzeit ergriffenen Massnahmen in Form von finanziellen Unterstützungsleistungen jenseits der regulären Sozialhilfe können zwar helfen, eine solche Abwärtsspirale hinauszuzögern. Doch kann eine Situation nicht befriedigen, in der Menschen, die zum Teil schon viele Jahre in der Schweiz leben, ein Grundrecht – nämlich das Anrecht auf finanzielle Hilfe in Notlagen – nicht in Anspruch zu nehmen wagen, weil sie ihre Aufenthaltssicherheit nicht riskieren möchten. In einem grösseren Folgeprojekt möchten wir die zunehmende Verschränkung der Sozial- und Migrationspolitik und ihre Auswirkungen aus Sicht der Betroffenen vertieft analysieren und damit Licht ins Dunkel auch langfristiger Folgen des Nichtbezugs von Sozialhilfe bringen. Fallentscheiden viel Ermessensspielraum.