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Soziale Arbeit

Ukrainische Geflüchtete: Sprache und Kinderbetreuung stellen die höchsten Hürden bei der Arbeitsintegration dar

Trotz Schutzstatus S harzt es bei der wirtschaftlichen Integration der Geflüchteten aus der Ukraine.

Ukrainische Mutter beim Deutsch-Unterricht: Mit dem Erlernen der lokalen Sprache verbessern Geflüchtete ihre Chance am Schweizer Arbeitsmarkt. (Bild: Keystone)

Als am 11. März 2022 in der Schweiz der Schutzstatus S aktiviert wurde, waren die Erwartungen an die Integration der Geflüchteten aus der Ukraine hoch. Denn nach ihrer Registrierung konnten sie von vereinfachten Zugängen zum Arbeitsmarkt profitieren, ausserdem verfügten viele von ihnen über ein höheres Ausbildungsniveau. Inwiefern trug dies zu einer schnelleren wirtschaftlichen Integration der mittlerweile rund 65 000 ukrainischen Geflüchteten mit Schutzstatus S in der Schweiz bei?

Die Monitoring-Studie eines wissenschaftlichen Teams der ZHAW Soziale Arbeit unter der Leitung von Miryam Eser Davolio ist die erste Untersuchung in der Schweiz, um Antworten auf diese Frage zu finden. Zwischen November 2022 und Juli 2024 führten die Forscherinnen mit knapp 400 Personen zwei Online-Befragungen sowie 34 vertiefende Interviews zu ihrer Lebenslage und ihrer sozialen, kulturellen und beruflichen Integration durch. Unter den Befragten waren vier Fünftel weiblichen und ein Fünftel männlichen Geschlechts. Geografisch ist die Studie auf den Kanton Zürich fokussiert, es gab aber auch Teilnehmende aus anderen Kantonen, sodass die Ergebnisse für die gesamte Schweiz von Bedeutung sein dürften.

Soziale Kontakte, Spracherwerb und Arbeitssuche

Die Ergebnisse des Monitorings zeigen, dass viele Geflüchtete relativ gut vernetzt sind und regelmässigen Kontakt mit Schweizer:innen haben – dies im Rahmen der Gastfamilien, aber auch über Freiwillige, die Schule der Kinder und den Besuch von Sprachkursen. Freunde und Verwandte bilden die zweitgenannte Quelle nach den Jobinseraten, die den berufstätigen Ukrainer:innen bei der Suche nach der Arbeit behilflich waren. Ferner halfen auch die direkte Kontaktaufnahme zum Arbeitgeber, Inserate in sozialen Medien sowie die Hilfe der Gastfamilie.  

Gleichzeitig bekunden die meisten befragten Geflüchteten bei der wirtschaftlichen Integration Schwierigkeiten. «Das ist eine Erfahrung, die sie mit anderen Flüchtlingspopulationen in der Schweiz teilen», sagt Studienleiterin Miryam Eser Davolio und vergleicht mit anderen europäischen Ländern: Während im September 2023 in Lettland 66% der Geflüchteten aus der Ukraine einen Job gefunden hatten und in den Niederlanden 55%, waren es zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz lediglich 20%. Dass sich die Schweiz im hinteren Feld befindet, liege vor allem am Zeitaufwand für das Erreichen des erforderlichen Sprachniveaus der Landessprache, denn in Deutschland und Österreich ist der Prozentsatz der durchschnittlichen Arbeitsintegration ähnlich tief. Im Rahmen der hier diskutierten Studie konnten jedoch deutliche Fortschritte beim Erlernen der Sprache festgestellt werden: die Zahl der Geflüchteten, die die lokale Sprache auf einem mittleren oder fortgeschrittenen Niveau im Jahr 2023 beherrschten, verdoppelte sich im Jahr 2024. 

Hohe Arbeitsmotivation, mangelnde Kinderbetreuung und Unsicherheit der Arbeitgeber

Die fehlenden oder unerschwinglichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten erweisen sich als eine der zentralen Hürden im Kontext der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sowie beim Erlernen der Sprache seitens der geflüchteten Frauen mit Kindern. Ferner nehmen Geflüchtete eine Skepsis von Arbeitgebenden hinsichtlich Perspektiven und Verbleib in der Schweiz wahr. Oftmals werden ihre Diplome nicht anerkannt oder die Arbeitsbedingungen sind prekär, sodass sie im Vergleich zur öffentlichen Unterstützung unattraktiv sind. Insgesamt verbesserte sich die Erwerbsquote über den Befragungszeitraum hinweg jedoch: Während 2023 in der Schweiz nur eine:r von fünf Geflüchteten mit S-Status im Erwerbsalter trotz der hohen Arbeitsmotivation erwerbstätig war, waren es Mitte 2024 mittlerweile eine:r von vier Geflüchteten. Einer der positiven Aspekte ist auch die hohe Motivation der Ukrainer:innen zur Arbeitsaufnahme und die Bereitschaft, auch Stellen unter ihrem Qualifikationsniveau anzunehmen. 

Psychische Belastung und Einschulung der Kinder

Die physische und psychische Verfassung war trotz kriegsbedingter Belastungsfaktoren bei der Erstbefragung im März 2023 einigermassen gut, doch zeigte sich im April 2024 eine deutliche Verschlechterung der psychischen Gesundheit der Befragten.

Laut der Studienleiterin kann die soziale Integration in der Schweiz diese Belastungsfaktoren nicht ausgleichen: «Das Leben in prekären Bedingungen mit unsicheren Zukunftsaussichten, die fehlende berufliche Integration, die Zerrissenheit der Familie auf zwei Länder und der Krieg in der Ukraine machen den Betroffenen zu schaffen». Nach Auskunft der befragten Eltern gilt dies nicht für ihre geflüchteten Kinder, die durch die Ausbildung in der Schweiz stärker eingebunden sind. Obwohl die schulische Integration der ukrainischen Kinder insgesamt als erfolgreich einzuschätzen ist, berichteten die Befragten über Schwierigkeiten ihrer Kinder Freundschaften in der Schule zu knüpfen. 

Diese Ergebnisse, welche viele Detailergebnisse auf unterschiedlichen Ebenen einschliessen, sollen einen Beitrag zur öffentlichen und sozialpolitischen Diskussion rund um soziale Integration und Erwerbsbeteiligung von ukrainischen Geflüchteten leisten. «Mit unseren Empfehlungen möchten wir Verbesserungen der Integrationspolitik anstossen», sagt Eser Davolio, «denn wirtschaftliche Integration ist für Geflüchtete nicht nur auf materieller Ebene relevant, sondern ermöglicht ihnen auch mehr sozialen Austausch und stabilisiert sie in ihrer psychischen Gesundheit.»