«Von Kitas und ihren Mitarbeitenden wird immer mehr gefordert»
Franziska Widmer leitet die Fachstelle Qualität in Zürcher Kitas. Die ZHAW-Dozentin gibt Auskunft über das neue Angebot für Fachkräfte der frühkindlichen Bildung und Betreuung.
Interview: Regula Freuler
Sie leiten die neu gegründete Fachstelle mit verschiedenen Programmen zur Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten der Stadt Zürich. Was ist das Ziel der Fachstelle?
Franziska Widmer: In der Stadt Zürich gibt es 340 Kitas, und man kann davon ausgehen, dass rund jedes zweite bis dritte Kind in der Stadt eine besucht. Die meisten werden von privaten Trägerschaften geführt, aber 95 Prozent von ihnen haben einen Kontrakt mit der Stadt, um Familien subventionierte Plätze anzubieten. Letztes Jahr hat die Stadt beschlossen, noch stärker auf die Sicherstellung und Weiterentwicklung der Qualität in diesen Einrichtungen zu fokussieren und bietet seit 2023 die Mitfinanzierung von drei Massnahmen an: für Weiterbildungen und Prozessbegleitung in der Qualitätsentwicklung, für Weiterbildungen in der Säuglingsbetreuung und für die Förderung der Ausbildung und Integration von HF-ausgebildeten Fachkräften. Die Fachstelle, welche die ZHAW Soziale Arbeit in Kooperation mit der OST – Fachhochschule Ostschweiz gegründet hat, gilt der ersten dieser drei Massnahmen, nämlich der Qualitätsentwicklung.
Welche Art von Weiterbildungen und Prozessbegleitungen stehen im Angebot?
Tatsache ist: Es gibt sehr grosse Unterschiede zwischen den Kitas, was Qualitätsentwicklung angeht. Daher bieten wir drei verschiedene Module an, sodass für alle Kitas etwas dabei ist. Ein Modul richtet sich an Kitas, die erst relativ wenig im Bereich Qualitätsentwicklung unternommen haben. In diesem Modul arbeiten Kitaleiter:innen daran, wie sie eine Qualitätsentwicklung überhaupt einführen können. Wir behandeln in diesem Modul im Wesentlichen die Ebenen Management, Konzept und Personal. Das Modul dient ausserdem sehr stark der Vernetzung von Kitaleitungen, die vom Austausch profitieren können.
«Zunehmend gibt es Stimmen aus Praxis und Forschung, die einen landesweit geltenden Bildungsauftrag für Kitas wünschen. Für die Chancengerechtigkeit wäre das ein grosser Schritt.»
Franziska Widmer, Dozentin und Forscherin am Institut für Kindheit, Jugend und Familie
Und wie sieht es mit der pädagogischen Ebene aus?
Dafür haben wir Modul B entworfen. Dort geht es um Qualitätsfragen zu acht verschiedenen Themenbereichen wie Bildung, Elternzusammenarbeit oder den Einsatz von neuen Medien. Für dieses Modul melden sich Kitagruppen als Team an – je vollständiger eine Gruppe teilnehmen kann, desto besser, denn so können die Teams eine gemeinsame Haltung entwickeln. Kitamitarbeitende verfügen in der Regel bereits über viel pädagogisches Wissen. Im Modul B geht es darum herauszufinden, wo man seine Prioritäten setzen will, damit dieses Wissen ergänzt, vertieft und ins Tun umgesetzt wird.
Was hält die Fachstelle für diejenigen Kitas bereit, die sich schon mit Qualitätsentwicklung auseinandergesetzt und vielleicht ein Konzept vorliegen haben?
Modul C richtet sich an solche Kitas. Hier geht es in erster Linie um ein Feedback, das wir ihnen geben. Einerseits honoriert die Stadt mit ihrer Unterstützung das bereits getätigte Engagement dieser Kitas, andererseits soll eine Fachstelle involviert sein, welche die Qualitätsentwicklung überprüft.
Müssen die Kitas in der Stadt Zürich dieses Angebot nutzen?
Nein, es ist freiwillig, und – das ist sehr wichtig – für alle Informationen und Daten, die in den Modulen ausgetauscht werden, besteht eine Schweigepflicht.
Die Finanzierung von Kitas wird gesellschaftspolitisch in der Schweiz immer wieder diskutiert, die pädagogische Qualität hingegen fast nie. Warum?
Wenn man über Geld spricht, spricht man immer auch über die inhaltlichen Ansprüche. Das kann man gar nicht trennen. Auf politischer Ebene wird immer wieder in Frage gestellt, dass es Kitas überhaupt braucht, weil die frühe Kindheit doch eine private Angelegenheit der Familie sei. Auf Expert:innen-Ebene hingegen gibt es ganz klar Diskussionen und Forderungen, gerade wenn man an gesellschaftliche Herausforderungen wie die Sicherstellung eines guten Aufwachsens für alle Kinder, Chancengerechtigkeit, Gleichberechtigung und Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen denkt.
Das alte Motto «sicher, sauber, satt» reicht nicht mehr aus.
Der Betreuungsauftrag, der sich in diesem Motto wiederfindet, ist allen klar, die in einer Kita arbeiten. Zunehmend gibt es aber Stimmen aus Praxis und Forschung, die einen landesweit geltenden Bildungsauftrag für Kitas wünschen. Für die Chancengerechtigkeit wäre das ein grosser Schritt. Der «Orientierungsrahmen für frühkindliche Erziehung, Betreuung und Bildung» geht zwar über den reinen Betreuungsauftrag hinaus, aber es handelt sich dabei lediglich um eine Empfehlung, um ein nationales Referenzdokument. In allen Kantonen beziehungsweise Gemeinden wird die Frage des Bildungsauftrags anders umgesetzt. Für den Kanton Zürich gibt es jedoch seit Mai 2020 die «Verordnung über die Tagesfamilien und Kindertagesstätten (V TaK)». Sie enthält auch eine Verpflichtung zur Qualitätssicherung hinsichtlich Umsetzung und Entwicklung des Konzepts.
Wo sehen Sie die grössten Entwicklungspotenziale für Kitas in Bezug auf Qualitätsentwicklung?
Ich bin sehr gespannt zu erfahren, wo die Kitas stehen und welche Herausforderungen sie nennen. Was wir natürlich schon sehr gut wissen: Zum einen wird von Kitas und ihren Mitarbeitenden immer mehr gefordert, zum anderen sind keine zusätzlichen Ressourcen da, um allen Anforderungen gerecht zu werden auf eine Weise, wie man das als Fachperson möchte. Meine Vermutung ist, dass wir viel über dieses Spannungsfeld diskutieren werden, und ich hoffe, dass die Weiterbildungen und Prozessbegleitungen zusammen mit den von der Stadt zusätzlich finanzierten Personalressourcen dazu beitragen, hier gute Wege und Lösungen zu finden.
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Fokusthema Aufwachsen, Erziehung und Bildung