Wie es Kindern geht, deren Mutter oder Vater im Gefängnis ist
Im Auftrag des Bundesamts für Justiz hat ein Forschungsteam der ZHAW Soziale Arbeit und der HETS Lausanne die Situation von Kindern und Eltern mit einem inhaftierten Elternteil untersucht. Der Forschungsbericht zeigt, dass vor allem eine bessere Beziehungspflege ermöglicht werden sollte.
2. Juni 2023
Die Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil fand lange Zeit in der Deutschschweiz nur wenig Beachtung. Zu diesem Ergebnis kamen Forschende der ZHAW Soziale Arbeit in Zusammenarbeit mit der Haute École de travail social et de la santé Lausanne HETSL. Ihr Forschungsbericht wurde kürzlich dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) vorgelegt und beinhaltet umfassende Empfehlungen zur Verbesserung der Beziehungspflege zwischen Kindern und ihren inhaftierten Elternteilen.
So kamen die Forschenden zu dem Schluss, dass in vielen Haftanstalten kinderfreundliche und flexible Kontaktmöglichkeiten und Eltern-Kind-Nachmittag fehlen. Ausserdem gibt es keine Statistiken über die Anzahl von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil oder Studien über die Auswirkungen der Inhaftierung auf die Kinder gibt.
Schweiz hinkt hinterher
Ist ein Elternteil lange abwesend, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder haben. Die UNO-Kinderrechtskonvention fordert daher ihre Vertragsstaaten auf, die Beziehungspflege von Kindern zu einem inhaftierten Elternteil zu fördern. Eine frühere Überprüfung des UNO-Kinderrechtsausschusses ergab jedoch, dass in der Schweiz nicht genügend Informationen zu diesem Thema vorlagen. Daher beauftragte der Bundesrat die Verwaltung mit einer umfassenden Analyse.
Das Bundesamt für Justiz (BJ) beauftragte daraufhin eine externe Studie zur Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil. Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie erstellte das EJPD einen Bericht, der von Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen und Fachverbänden positiv aufgenommen wurde. Heute wurde der Bericht dem Bundesrat vorgelegt.
Von privaten Initiativen abhängig
Obwohl sich die Voraussetzungen in den letzten Jahren verbessert haben, um die Beziehungspflege zwischen Kindern und ihren inhaftierten Elternteilen zu ermöglichen, besteht weiterhin Handlungsbedarf. Der Bericht des EJPD erkennt an, dass die Sensibilisierung der Akteur:innen für dieses Thema zugenommen hat. Einige Vollzugsanstalten verfügen bereits über kinderfreundliche Besuchs- und Begegnungsmöglichkeiten oder planen, solche in zukünftige Bauprojekte zu integrieren. In verschiedenen Vollzugseinrichtungen existieren auch Elterngruppen für Inhaftierte, die sich mit der eigenen Elternrolle und der Stärkung der Beziehung zu den Kindern befassen.
Die Förderung der Beziehungspflege von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil ist jedoch grösstenteils von privaten Initiativen abhängig. In der Westschweiz bietet die Stiftung «Relais Enfants Parents Romands» (REPR) ein flächendeckendes Unterstützungsangebot für Angehörige von Inhaftierten und deren Kinder an. Im Tessin ermöglicht die Anlaufstelle «Pollicino» innerhalb der Strafvollzugsanstalt La Stampa den Angehörigen und dem inhaftierten Elternteil einen Ort zum Austausch. In der Deutschschweiz fehlen vergleichbare Angebote.
Empfehlungen der Forschenden
Gestützt auf diese Erkenntnisse enthält der Forschungsbericht mehrere Empfehlungen. Dazu gehört, das die Gesellschaft für dieses Thema weiter gefördert werden sollte. Ebenso wichtig wäre ein stärkeres Bewusstsein bei den involvierten Behörden wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Vollzugsbehörden, um die möglichen Auswirkungen der Inhaftierung eines Elternteils auf die Kinder zu berücksichtigen. Das Ziel ist es, die Perspektive der Kinder in allen Phasen - von der Verhaftung über den Strafprozess bis hin zur Vollstreckung - zu berücksichtigen. Bei Neu- und Umbauten von Vollzugsanstalten sollen zudem die Bedürfnisse der Kinder konsequent miteinbezogen werden.
Im Forschungsbericht wird ausserdem empfohlen, die Forschung zu diesem Thema zu intensivieren und landesweit Statistiken zu erstellen. Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden im Bereich des Straf- und Massnahmenvollzugs sowie des Kindesschutzes sollen gefördert werden. Die interkantonalen Konferenzen erkennen ebenfalls den Handlungsbedarf und prüfen entsprechende Massnahmen. Das Bundesamt für Justiz plant im Herbst 2023 einen interdisziplinären Austausch, um ein nationales Netzwerk zur Verbesserung der Arbeit mit den Angehörigen von inhaftierten Personen aufzubauen.
Kontakt
- Prof. Dr. Patrik Manzoni, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, ZHAW Soziale Arbeit, Tel. 058 934 88 71, E-Mail patrik.manzoni@zhaw.ch
- Prof. Dr. Daniel Lambelet, HETS Lausanne, Unité de formation continue, Tel. 021 651 62 26, E-Mail daniel.lambelet@hetsl.ch
- Regula Freuler, Leiterin Kommunikation und Marketing, ZHAW Soziale Arbeit, E-Mail regula.freuler@zhaw.ch