Wie lösungsorientierte Gesprächsführung gelingt
Als Sozialarbeitende sind wir häufig mit der Erwartung konfrontiert, komplexe Situationen zu klären. Mit der lösungsorientierten Gesprächsführung können wir unsere Adressat:innen dabei unterstützen, die eigenen Ressourcen zu erkennen und wirksame Lösungen zu entwickeln.
Fokus auf Ziele und Lösungen
Im Zentrum der lösungsorientierten Gesprächsführung steht die Annahme, dass es hilfreicher ist, über Lösungen zu sprechen als über Probleme. Daher lenken wir das Gespräch bewusst auf die Zukunft und auf das, was unsere Adressat:innen erreichen möchten. Wir fokussieren auf ihre Ressourcen, um konkrete, positive Veränderungen zu bewirken. Dabei schlagen wir keine Lösungen vor, sondern regen die Adressat:innen dazu an, eigene Lösungswege zu entwickeln und zu erkennen.
Die lösungsorientierte Gesprächsführung konzentriert sich also nicht auf die Analyse von Problemen, sondern auf
- die Klärung von Zielen,
- die Entwicklung von Lösungen, um diese Ziele zu erreichen sowie
- die Aktivierung von Ressourcen zur Umsetzung dieser Lösungen.
Die Vorstellungskraft aktivieren
Eine lösungsorientierte Intervention ist die sogenannte Wunderfrage. Sie hilft unseren Adressat:innen, ihre Ziele zu klären und sich vorzustellen, wie die Lösung ihres Problems aussehen könnte. Dazu lenken wir die Aufmerksamkeit unserer Adressat:innen darauf, was alles anders wäre, wenn ihr Problem gelöst wäre. Die konkrete Fragestellung lautet:
«Stellen Sie sich vor, Sie gehen heute Abend zu Bett und über Nacht geschieht ein Wunder. Das Problem, das Sie belastet, ist verschwunden. Woran würden Sie am nächsten Tag merken, dass das Problem gelöst ist? Was wäre dann anders?»
Hypothetische Lösungen
Die Wunderfrage ist ein leicht verständliches Beispiel für das Prinzip der hypothetischen Lösung: Sie fragt nicht nach Lösungen für ein Problem, sondern überspringt den Schritt der Lösung und zielt direkt auf die Beschreibung des Zielzustandes und der damit verbundenen Veränderungen. Das gleiche Prinzip wird auch in anderen Varianten verwendet:
- «Angenommen, wir würden heute im Gespräch eine tolle Lösung für Ihr Problem finden. Was würde sich dadurch in Ihrem Leben verändern?»
- «Angenommen, wir hätten Videoaufnahmen eines typischen Tagesablaufs von Ihnen, und zwar aus der Gegenwart, in der das Problem noch besteht, sowie aus der Zukunft, in der das Problem nicht mehr besteht. Wie würden sich diese unterscheiden?»
Ausnahmen und Unterschiede
Kein Problem besteht ständig, konstant und ohne Ausnahmen. Gerade diese Ausnahmen können wir nutzen, um funktionierende Lösungen zu erkennen oder zu entwickeln. Wir fragen gezielt nach Situationen, in denen das Problem weniger ausgeprägt war oder gar nicht vorhanden war: «Gab es Momente, in denen das Problem nicht so stark war? Was war in diesen Momenten anders?».
Zusammengefasst besteht die Intervention darin,
- die Ausnahme zu erkennen,
- zu verstehen, wie diese Ausnahme hergestellt wird, und
- diese unbewusste Lösung als bewusste, zielgerichtete Lösung in Zukunft einzusetzen.
Würdigungen
Ein weiteres zentrales Element der lösungsorientierten Gesprächsführung sind Würdigungen. Eine Würdigung ist eine positive Beachtung oder Hervorhebung einer Handlung oder einer Eigenschaft von Adressat:innen. Indem wir diese besonders anerkennen, schaffen wir ein Klima der Wertschätzung, das die Zuversicht der Adressat:innen stärkt und sie ermutigt, eigene Lösungen zu entwickeln.
Wichtige Punkte zum Formulieren von Würdigungen:
- Sie sollten ehrlich und authentisch sein
- Sie sollten individuell sein, nicht allgemein formuliert
- Sie sollten zum augenblicklichen Gesprächsmoment passen
- Sie sollten nicht wertend oder benotend sein.
Reframing
In der lösungsorientierten Gesprächsführung gibt es einen weiteren Ansatz, um eine Situation zu verbessern: die Umdeutung, auch Reframing genannt. Indem etwas Bestimmtes aus einer anderen Perspektive oder in einem anderen Bezugsrahmen betrachtet wird, erhält es eine positive Bedeutung. Anstatt eine Eigenschaft oder ein Verhalten als negativ zu bewerten, interpretieren wir es neu als potenzielle Ressource oder Stärke. Diese Technik hilft den Adressat:innen, eingefahrene Denkmuster zu durchbrechen und neue Lösungsmöglichkeiten zu entdecken.
Reframing funktioniert im Prinzip wie folgt: «Angenommen, Sie würden denken, dass Ihr Kollege gedankenlos und oberflächlich ist und nicht, dass er Sie bewusst schikaniert – was würde das für Sie ändern?»
Klaus Mayer
Fachpsychologe für Psychotherapie und Rechtspsychologie. Jahrzehntelange Praxis in der Psychiatrie und der Justiz. Seit 2013 Dozent am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention für die Masterstudiengänge Psychosoziale Beratung in der Sozialen Arbeit sowie Delinquenz, Forensik und Resozialisierung.