Ergebnisse Workshop mit Lehrpersonen
Im Workshop A1 (Mai 2021) wurden in Zusammenarbeit mit Praktiker/innen des Deutsch- bzw. sprach- und allgemeinbildenden Unterrichts (ABU) didaktische Konsequenzen, Optionen und Empfehlungen erarbeitet und diskutiert.
Herausforderungen
Generell wurden drei zentrale Herausforderungen festgestellt: Die erste Herausforderung besteht darin, dass vielen Schüler:innen basale Kompetenzen in der mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenz fehlen; diese Lernenden drohen in den Sachfächern und in der Ausbildung sehr schnell den Anschluss zu verlieren, weil sie sprachlich nicht folgen könnten.
Die zweite ergibt sich aus der Heterogenität der Lernenden in Bezug auf ihre Sprachbiographien und sprachlichen Fähigkeiten. Die Lehrpersonen sehen sich mit der Situation konfrontiert, innerhalb der recht knappen Unterrichtszeit die sprachlich schwachen Berufslernenden (Schreibkompetenzprofil 1) und zugleich die relativ starken (Schreibkompetenzprofil 2 und 3) in ihren Klassen zu fördern, das heisst sowohl die ein- wie auch die mehrsprachigen Lernenden, von denen manche die deutsche Sprache erst relativ spät als zusätzliche Sprache erworben haben. Schule und Schulklassen seien heute generell mehrsprachig und sprachlich heterogen, dies stelle eine komplexe Herausforderung dar.
Die dritte zentrale Herausforderung betrifft die Förderung der Selbstwirksamkeit der Lernenden in der beruflichen Bildung, die sich aufgrund ihrer Lernbiografien im Lesen und Schreiben von Texten selbst negativ einschätzen bzw. beurteilen.
Stark vereinfacht lässt sich sagen, dass profilübergreifend, also für alle Berufslernenden vier grundlegende «Baustellen» identifiziert werden können (s. auch unten Optionen):
- Alle Lernenden können und sollen daran arbeiten, die Struktur ihrer Texte zu optimieren, die Inhalte zu schärfen, um allgemein die Wirkung ihrer Texte auf die jeweiligen Adressatinnen bzw. Adressaten zu optimieren. Auch die Vermittlung von Schreibstrategien zum Planen, Schreiben und Überarbeiten von Texten trifft ein breites Bedürfnis.
- Mit Blick auf die schwächeren Lernenden (Schreibkompetenzprofil 1) ergeben sich drei weitere grundlegende Förderaspekte: Einerseits muss im Kontext des schulischen Unterrichts trotz Bewertungs- und Benotungsansprüchen neben der Benotung der Schreibprodukte auch Platz sein für individuelles Feedback zu Schreibprozessen. Zweitens muss mit Blick auf die unterschiedlichen Anforderungen in verschiedenen Ausbildungsberufen die Relevanz des Kriteriums «sprachliche Richtigkeit» reflektiert werden (durch die Lehrperson wie durch die Schüler:innen). Und drittens müsse – damit zusammenhängend – das Bewertungskriterium der «Textwirkung» aus der Perspektive des Adressaten stärker gewichtet werden, damit spezifische Ansprüche an «Textqualität», wie zum Beispiel die Textgliederung oder die Illustration durch Beispiele, nicht als abstrakte Normen, sondern als tatsächliche «Hebel» der Wirksamkeit des eigenen Schreibens verstanden und erfahren werden.
Optionen
Mit den Lehrpersonen zusammen wurde eine Liste von Optionen zusammengestellt, die hier stark verkürzt und vereinfacht wiedergegeben werden:
- In Bezug auf die Reflexion der Bewertungskriterien von Schreibprodukten kann die Verständlichkeit in den Mittelpunkt gestellt und die Textwirkung als übergeordnetes Kriterium eingebracht werden. Das erlaubt es, je nach Kontext die sprachliche Richtigkeit nicht überzubewerten und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Text aus mehr besteht als nur aus Orthografie und dass man gegebenenfalls auch mit Einschränkungen in Bezug auf die sprachliche Richtigkeit beim Schreiben etwas erreichen kann.
- In Bezug auf die Zugänge zum Schreiben kann eine mündliche Vorentlastung oder Voraktivierung – von Wortschatz, Redemitteln, Inhalten und Argumenten – dem eigentlichen Schreiben vorgeschaltet werden, auch kollaborativ. Dabei können kurze Textsorten das Verfassen eines längeren, komplexen Schreibprodukts vorbereiten.
- Gerade kürzere Texte mit Alltagsrelevanz generieren erfahrungsgemäss positive Schreiberfahrungen, beispielsweise das Verfassen eines Kündigungsschreibens für einen Miet- oder Telefonvertrag, das Verfassen eines Bewerbungsschreibens etc.
- Auch Feedback, das ressourcenorientiert und konstruktiv formuliert wird, kann zum Aufbau von Selbstwirksamkeit beitragen. Dabei kann in einem ersten Schritt Feedback zur kommunikativen Wirkung gegeben werden, das u.a. Wagnisse anerkennt, wie zum Beispiel die Verwendung schwieriger Wörter oder komplexer Sätze. In diesem Kontext können Lernende auch angeleitet werden, Peer-Feedback zu geben, und lernen, ihre Texte selbst zu überarbeiten, also den Schreibprozess zusätzlich zum Schreibprodukt zu fokussieren.
- Spracharbeit kann und sollte schliesslich nicht, zumindest nicht ausschliesslich, isoliert in kontextfreien Übungen geleistet werden, da in dem Fall den Lernenden häufig der Transfer des Gelernten ins spontane Schreiben nicht gelingt. Vielmehr sollte die Arbeit an Wortschatz, Strukturen, Textsorten etc. im Rahmen eines Themas kontextualisiert und an der tatsächlichen Schreibaufgabe orientiert sein – also dann stattfinden, wenn sie im Schreibprozess Sinn macht.
Dafür bietet sich eine szenario-basierte, integrierte Lese- und Schreibförderung an, innerhalb derer eine reale Problemstellung Anlass für funktionales Lesen und problemlösendes Schreiben gibt. Das Szenario setzt dabei einen konkreten Adressaten; es wird also nicht nur für die Lehrperson/die Note geschrieben, Adressatenorientierung und Textwirkung stehen dabei natürlicherweise im Zentrum.