Missbräuchliche Klagen gegen Journalist:innen in der Schweiz
Eine ZHAW-Studie untersucht die Gefahren von SLAPP-Klagen für die Schweizer Medienbranche. Sie zeigt, wie sogenannte «missbräuchliche Klagen» Journalist:innen einschüchtern oder mundtot machen sollen. Auch wenn die wenigsten Redaktionen direkt davon betroffen sind, ist jeder Fall einer zu viel. Trotz ihrer Seltenheit birgt das als SLAPP bezeichnete Phänomen erhebliche Gefahren für den Journalismus. Die Mehrheit der befragten Rechtsexpert:innen und Chefredaktor:innen bevorzugt dennoch brancheninterne Lösungen gegenüber rechtlichen Massnahmen.
Erhoben werden missbräuchliche Klagen, sogenannte SLAPPs («strategic lawsuits against public participation»), in der Regel durch finanzstarke und einflussreiche Personen oder Organisationen. Die Studie liefert erstmals Erkenntnisse zu Häufigkeit, Dynamik, Betroffenen, Kläger:innen und zu möglichen Effekten auf den Journalismus in der Schweiz.
Das Forschungsteam um Vinzenz Wyss von der ZHAW hat dazu Leitfadeninterviews mit 19 Rechtsexpert:innen, Chefredaktor:innen sowie Branchenvertreter:innen geführt. Zusätzlich nahmen 142 Medienschaffende in Leitungspositionen an einer Onlineumfrage teil. Die Studie wurde vom BAKOM im Rahmen des Nationalen Aktionsplans in Auftrag gegeben.
Die Befunde zeigen, dass nur wenige Redaktionen in der Schweizer Medienbranche Erfahrungen mit SLAPP-Klagen haben. Allerdings sind viele Befragte besorgt, dass SLAPPs die journalistische Arbeit durch finanzielle und zeitliche Belastung erheblich erschweren können. Sie sehen ausserdem die Gefahr eines «chilling effects», eine Art Selbstzensur, und eines möglichen Verlust der journalistischen Watchdog-Funktion.
Laut der Studie ist bei Rechtsexpert:innen das Bewusstsein zu wenig angekommen, dass SLAPPs «mitten ins Herz» des Journalismus zielen, sagt Studienautor Vinzenz Wyss. «Anders als in anderen Bereichen haben SLAPP-Klagen oder deren Androhung zur Folge, dass der Journalismus in der Ausübung seiner Kernfunktion beeinträchtigt wird; nämlich in der Erwartung, aufgrund investigativer Recherchen auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.»
Die Mehrheit der befragten Rechtsexpert:innen ist allerdings auch der Ansicht, dass bestehende Gesetze – insbesondere die Zivilprozessordnung (ZPO) – ausreichen würden, um gegen SLAPPs vorzugehen. Einige der Befragten und insbesondere Medienvertreter:innen schlagen dennoch rechtliche Massnahmen vor, darunter eine Reduzierung der finanziellen Belastungen für Medien sowie die frühzeitige Durchsetzung des Rechtsschutzes gemäss Artikel 59 ZPO.
Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive werden starke Bedenken hinsichtlich der Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen rechtlichen Massnahmen geäussert. Einige Befragte sehen die Lösung daher vor allem in brancheninternen Massnahmen, darunter der Zugriff auf gemeinsam genutzte Rechtsressourcen, einen Fonds, den verstärkten Wissens- und Erfahrungsaustausch sowie die Sensibilisierung von Medienpolitik und Öffentlichkeit.
Verantwortlich für die Studie ist Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der ZHAW.
Hier geht es zur Studie:
https://digitalcollection.zhaw.ch/handle/11475/30121?pk_vid=7bc571cf8ecef7ce17103388339a7edd
Kontakt:
Prof. Dr. Vinzenz Wyss
Telefon: +41 58 934 77 76
E-Mail: vinzenz.wyss@zhaw.ch