ZHAW-Alumna wird Bundesrätin
Mit Karin Keller-Sutter wird erstmals eine Absolventin der ZHAW in den Bundesrat gewählt. Als Absolventin der Dolmetscherschule ist sie Alumna des ZHAW-Departements Angewandte Linguistik. Wir gratulieren herzlich zur Wahl.
Die Wahl war glanzvoll, im ersten Wahlgang mit 154 Stimmen. 63 Prozent aller 244 eidgenössischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben Karin Keller-Sutter zur Bundesrätin gewählt. Damit ist sie die erste Alumna der ZHAW, die ins höchste Schweizer Exekutivamt gewählt wird. Ihr politisches Format, ihre Dossier-Festigkeit und ihre beeindruckenden Sprachkenntnisse haben KKS, wie Karin Keller-Sutter im Bundeshaus genannt wird, entscheidend zur Wahl verholfen. Ihre Dankesrede hielt die ausgebildete Dolmetscherin, die am 22. Dezember ihren 54. Geburtstag feiert, auch gleich in allen Landessprachen.
Wie kam diese beispielhafte Politkarriere zustande?
Prägend waren die Diskussionen am Stammtisch der familieneigenen Beiz im sankt-gallischen Wil, die KKS schon als Teenager eins zu eins mitbekommen hat. Der Vater sympathisierte, wie damals die meisten Wiler, mit der konservativen und auf ein traditionelles Frauenbild ausgerichteten CVP.
Die aufgeweckte Tochter rebelliert dagegen auf ihre Art. Mehr Frauenpower, folglich will sie liberaler als die CVP sein. Namentlich die Diskussion um die Fristenlösung politisiert sie. Eine Frau, findet sie, soll selber bestimmen können, wie sie mit einer Schwangerschaft umgehen will.
Zudem schockiert sie der damals omnipräsente Drogenkonsum, der auch in Wil angekommen war. Spritzen in Toiletten und öffentlichen Parks, das ging gar nicht. Entsprechend engagiert sich Karin Keller schon mit 23 parteipolitisch und tritt den Jungfreisinnigen bei. 1992, mit 28, wird sie ins Stadtparlament von Wil gewählt.
Ausbildung zur Dolmetscherin
Beruflich findet sie bereits im Teenageralter zu den Sprachen. Die Eltern schicken sie mit 15 nach Neuenburg. Sie absolviert dort die Matura und wechselt an die Dolmetscherschule nach Zürich. Dazwischen schiebt sie noch ein Auslandsemester in Montreal ein, wo sie auch politische Wissenschaften studiert, was sie danach in London bei einem einjährigen Sprachaufenthalt wiederholt.
In der politischen Arbeit fällt Karin Keller bald durch Zielstrebigkeit, Sachkompetenz und starke Argumente auf. Ihre Politkarriere entwickelt sich im Schnellzugtempo, eine Karriere «geradezu klassischen Zuschnitts» wie der «Tages-Anzeiger» einmal festhält. 1996 wird sie in den Kantonsrat gewählt, ein Jahr später sitzt sie auf dem Präsidentensessel im Stadtparlament. Die Sensation dann nur drei Jahre später: Im Jahr 2000, mit gerade mal 36, gelangt sie in den St. Galler Regierungsrat, wo sie das Justiz- und Polizeidepartement übernimmt. Mit ihren unzimperlichen Entscheidungen gegen Fussball-Hooligans wird sie bald als «Eiserne Lady» von St. Gallen bekannt. Was das Einhalten von «law and order» bewirken kann, hatte sie damals in London mitbekommen, als Margaret Thatcher Premierministerin war. Mit ihrer Durchschlagskraft hatte Thatcher einen nachhaltigen Eindruck bei KKS hinterlassen. «Thatcher», findet sie einmal in einem Interview, «hätte den Nobelpreis für Politik verdient.»
Auch in der Migrationspolitik vertritt KKS eine eher harte Linie. Vor allem aber bringt sie als ihre erste Vorlage das kantonale Gesetz gegen häusliche Gewalt durch, was manche konservativen Männer zu giftigen Kommentaren über die junge Frau veranlasst. Immerhin – das Gesetz wird danach praktisch schweizweit in allen Kantonen übernommen.
2010 dann die erste politische Niederlage: Mit ihrer Bundesratskandidatur scheitert sie knapp. Für die Nachfolge von Bundesrat Rudolf Merz schafft sie es zwar auf das Zweierticket der FDP, indes, das Parlament gibt ihr einen Korb und zieht den Rivalen Johann Schneider-Ammann vor. Einmal mehr bewahrheitete sich: Wer nicht National- oder Ständerat ist, sondern als Regierungsrat antritt, hat kaum Chancen, in den Bundesrat gewählt zu werden. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier wählen, wen sie gut kennen.
Wahl in den Ständerat
Ein Jahr später, im Oktober 2011 führt die Karriere KKS definitiv nach Bern, dieses Mal als Ständerätin. Sie vereinigt fast 65 Prozent aller St. Galler Stimmen auf sich. Geschickt löst sie sich von der Justiz- und Polizeiarbeit und wendet sich der Wirtschaft zu. Ihre liberale Überzeugung: «Eine Wirtschaft, die sich eigenverantwortlich und so frei wie möglich bewegen kann, schafft auch mehr Wohlstand, als wenn sie eingeengt wird.»
Kaum im Ständerat wird sie Mitglied der einflussreichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK). Hier legt sie den Grundstein für ihre Wahl in den Bundesrat: Niemand, der ihr nicht absolute Dossiersicherheit zubilligt. Das schafft nur, wer sich tief und lang hineinkniet und Akten studiert. In den Kommissionen holen sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Renommée. Auf Fragen zu jedwelchen Themen formuliert sie präzise Antworten. Nie wirkt sie anbiedernd, ihre kühle Distanziertheit verbunden mit absoluter Sachkenntnis macht es anderen schwer, gegen sie zu bestehen. «Für die Partei und für das Land ist Karin ein absoluter Glücksfall» sagt Ständerat Philipp Müller, der ehemalige FDP-Parteipräsident.
Dreifaches politisches Leitmotiv
Für ihr politisches Handeln hat sie sich ein dreifaches Leitmotiv zurechtgelegt, an dem sie sich orientiert: Privat vor Staat, Erwirtschaften vor Verteilen und Freiheit vor Gleichheit.
Inwieweit sich KKS damit im Bundesrat durchsetzen kann, wird sich weisen. In Interviews hat sie mehrfach betont, es störe sie, dass der Bundesrat nicht einheitlicher auftrete. Sie will dafür sorgen, dass Themen im Bundesrat so lange ausdiskutiert werden, bis eine klare, gemeinsame Haltung vorliegt. «Die wöchentlichen Bundesratssitzungen sind nicht dazu da, dass jeder Departementsvorsteher die Kollegen über seine Geschäfte orientiert, sondern dass sich der Bundesrat als Gremium zu einer gemeinsamen Position durchringt.»
Gerade in der Frage des Rahmenabkommens mit der EU hat das Gremium in den letzten Monaten nicht geglänzt. Egal welches Departement sie erbt, sie will sich zu allen Themen einbringen. Man kann davon ausgehen, dass sie mit den sogenannten Mitberichten zu Vorlagen anderer Bundesräte und mit ihrer Analysefähigkeit im Siebener-Gremium für eine gesunde Unruhe sorgen wird.
Autor: Markus Gisler, Bern