ZHAW-Forschende machen Arztrechnungen verständlicher
Damit Patienten ihre Arztrechnungen besser kontrollieren können, haben ZHAW-Forschende untersucht, wie diese verständlicher formuliert und übersichtlicher dargestellt werden könnten. Die Forschungsresultate fliessen in eine Software ein, welche die Arztrechnungen laienverständlich «übersetzt».
In der Schweiz werden etwa 70 Millionen Heilkostenrechnungen pro Jahr verschickt, also im Schnitt etwa neun Rechnungen pro Person. Patientinnen und Patienten können die Arztrechnungen aber nur kontrollieren und allenfalls etwas beanstanden, wenn der Rechnungstext verständlich ist. Seit der Einführung der detaillierten Abrechnung nach Tarmed (siehe Kasten) wimmelt es in Arztrechnungen jedoch nur so von unverständlichen Begriffen. Nun hat eine ZHAW-Forschergruppe vom Departement Angewandte Linguistik untersucht, wie Arztrechnungen verständlicher formuliert und übersichtlicher dargestellt werden könnten. Dieses Projekt wird von der Kommission für Technologie und Innovation KTI gefördert. In Zusammenarbeit mit der Suva und der ELCA Informatik AG soll eine Software entwickelt werden, die Tarmed-Arztrechnungen in drei Landesprachen verständlich «übersetzt». Damit soll das Gesundheitssystem ein Stück weit finanziell entlastet werden.
95 Prozent der Fälle abdecken
«Aktivierte partielle Thromboplastinzeit» für 8.70 Franken steht zum Beispiel auf der Position einer Arztrechnung. Das ist selbst für Hobbymediziner unverständlicher Fachjargon. Zum einen haben die ZHAW-Linguisten nun solche schwierigen Begriffe wie auch Medikamentennamen laienverständlich «übersetzt», und zum anderen haben sie ein neues Kategoriensystem mit einer übersichtlichen Anordnung für die Rechnungen geschaffen. Nun werden ärztliche Leistungen nicht mehr alle nacheinander detailliert in achtzehn Spalten einer einzigen Liste aufgeführt, sondern gruppiert und gewichtet. Damit ist der Punkt «Aktivierte partielle Thromboplastinzeit» neu unter der Hauptkategorie «Labor» als «Blutuntersuchung» zu finden. Es sollen nicht alle 4000 Tarmed-Begriffe, die gesamte Spezialitätenliste des Bundes sowie die rund 20 000 Medikamente laienverständlich übersetzt werden. Die ZHAW-Forschenden wollen aber die häufigsten übersetzen und damit etwa 95 Prozent der Fälle abdecken. Bei den restlichen fünf Prozent handelt es sich um Spezialfälle, die nur sehr selten vorkommen. Im Anschluss an die drei Tarmedsprachen Deutsch, Französisch und Italienisch soll eine englische Version bereitgestellt werden.
Recherche in Onlineforen
Zu Beginn wollten die Forschenden herausfinden, wieviel Laien verstehen. «Das erstaunlichste Ergebnis war, dass Patienten zwar nicht über eine Fachsprache im engeren Sinne verfügen, aber über einen Laienfachwortschatz, der die Krankheitserfahrung sehr gut auf den Punkt bringt», erklärt ZHAW-Projektleiter Felix Steiner. Krebspatienten würden zum Beispiel Wörter wie «Knubbel» verwenden, wenn noch keine Diagnose durch Expertinnen und Experten gestellt ist. Dieser Laienfachwortschatz wurde in Onlineforen – bei Krankheitsbildern wie Herz-Kreislauf-, Krebs- oder psychischen Erkrankungen – quantitativ erforscht und bildete für das Verständlichmachen der Rechnungen eine wichtige Grundlage. «Es hat uns darin bestätigt, dass wir auf einer zweiten Verständlichkeitsebene recht spezifisch sein können», so Steiner. Dass also nach einer Kategorie wie zum Beispiel «Untersuchung» durchaus Begriffe stehen können wie «Kapillarblut» oder «Venenpunktion».
«Das erstaunlichste Ergebnis war, dass Patienten zwar nicht über eine Fachsprache im engeren Sinne verfügen, aber über einen Laienfachwortschatz, der die Krankheitserfahrung sehr gut auf den Punkt bringt»
Felix Steiner, Projektleiter
Kategorien bieten Orientierung
Die Untersuchung der Onlineforen zeigte auch, dass Laien hochgradig erfahrungsgetrieben sind bei ihrer Lektüre. Beim Lesen einer Arztrechnung wird beispielsweise ein ganzes Handlungsskript – also Abläufe wie zum Beispiel die Begrüssung, das Abhören der Lungen oder die Blutabnahme fürs Labor – zum Arztbesuch aktiviert. Basierend auf diesem Wissen definierten die Forschenden acht Kategorien für die Leistungen: Untersuchungsgespräche, Untersuchung, Leistungen in Abwesenheit des Patienten, Material, Pauschalen, Medikamente und Labor. Tests im ZHAW-Usability-Labor zeigten, dass diese Bezeichnungen meist gut verstanden werden. Schwieriger mit dem Verständnis wird es nur bei abstrakten Themen wie zum Beispiel «Pauschalen» oder «In Abwesenheit des Patienten».
Endprodukt ist eine App
Letztlich fliessen die Forschungsresultate in eine neuentwickelte Software, welche voraussichtlich ab Ende 2016 die unverständlichen Tarmed-Arztrechnungen automatisch in einen laienverständlichen Text übersetzt sowie Leistungen übersichtlich zusammenfasst, gruppiert und gewichtet. Die laienverständlichen Arztrechnungen können einerseits online als PDF-Format generiert werden. Oder per Smartphone kann eine Tarmed-Arztrechnung abfotografiert werden, die dann dank einer App automatisch laienverständlich übersetzt und für die Lektüre am kleinen Bildschirm dargestellt wird.
Tarmed
Seit 2004 rechnen Ärztinnen und Ärzte nach dem Tarifsystem Tarmed ab. Es umfasst mit mehr als 4000 Positionen fast alle ärztlichen und arztnahen Leistungen in der Arztpraxis und im ambulanten Spitalbereich. Der Tarif legt fest, wie viel ein Arzt für eine bestimmte Leistung in Rechnung stellen darf. Jeder Leistung ist je nach zeitlichem Aufwand, Schwierigkeit und erforderlicher Infrastruktur eine bestimmte Anzahl von Taxpunkten zugeordnet. Bei Tarmed geht es um viel Geld und darum ist die Bewertung der einzelnen Positionen auch immer wieder Thema der Politik. Im Moment führt der Bundesrat Gespräche mit Tarifpartnern, um sich auf eine neue Tarifstruktur zu einigen.
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Kontakt
- Dr. Felix Steiner, Co-Leiter Forschungs- und Arbeitsbereich Fachkommunikation und Wissenstransfer, ZHAW Departement Angewandte Linguistik, Telefon 058 934 60 97, E-Mail felix.steiner@zhaw.ch
- Abraham Gillis, Public Relations, Corporate Communications ZHAW, Telefon 058 934 75 75, E-Mail medien@zhaw.ch