«Kampf um Nachhaltigkeit wird auf dem Teller entschieden»
Am Standort Wädenswil wird viel geplant, renoviert und gebaut. Einen Leuchtturm bildet das neue Laborgebäude, das die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln unter einem Dach vereint.
Urs Hilber, Direktor und Delegierter für Nachhaltige Entwicklung der ZHAW, erläutert, wieso die Ernährung für die Nachhaltigkeit zentral ist und welche Rolle dabei die Mitarbeitenden, die Infrastruktur sowie die Strategie des ZHAW-Departements Life Sciences und Facility Management spielen.
Herr Hilber, was werden wir künftig essen?
Die entscheidende Frage ist doch: Können wir künftig zehn Milliarden Menschen innerhalb der planetaren Grenzen gesund ernähren? Es geht. Aber wir müssen ein paar Dinge ändern. Wesentlich ist die Reduktion des Konsums von tierischen Produkten, dafür auf pflanzlich basierte Ernährung setzen. Zudem werden zu viele Lebensmittel verschwendet, kommen also bereits gar nicht erst auf den Tisch oder verschwinden danach im Abfall.
Das neue Laborgebäude auf dem Campus in Wädenswil steht ganz im Zeichen der Zukunft des Essens. Was erwarten Sie davon?
Der neue sogenannte «Future of Food»-Campus soll ein Leuchtturm werden für Forschung und Bildung. Er ist die neue Heimat unseres Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation, aber nicht nur. Hier wollen wir unsere gesamten Kompetenzen im Bereich Ernährung bündeln – für alle, die hier Innovationen erforschen und zum Tragen bringen, die sich durch ein Studium eine aussichtsreiche Zukunft eröffnen oder durch Weiterbildung einen Karriereschritt machen. Mit dieser einmaligen Infrastruktur werden wir zusammen mit der Lebensmittelindustrie gesellschafts- und wirtschaftsrelevante Herausforderungen angehen.
Als Delegierter für Nachhaltige Entwicklung der ZHAW stehen Sie in der Verantwortung. Wie färbt dies auf die Strategie des Departements Life Sciences und Facility Management ab?
Ich wurde zwar mit der Aufgabe betraut, das strategische Programm für nachhaltige Entwicklung aufzubauen und zu leiten. In der Verantwortung stehen aber alle – von der Hochschulleitung über die Dozierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden bis hin zu den Studierenden. Als Teil der ZHAW leistet das Departement Life Sciences und Facility Management mit seinen strategischen Themen Umwelt, Ernährung und Gesundheit einen wichtigen Beitrag. Wer, wenn nicht wir als Hochschule, soll dafür Sorge tragen, dass auch die Kinder unserer Kinder noch eine lebenswerte Welt erleben werden? Ich bin stolz darauf, dass wir uns an der ZHAW genau diesen Fragen stellen.
Der Standort in Wädenswil birgt vermutlich die grösste Themenvielfalt der ZHAW. Wie wichtig ist die Infrastruktur?
Die Mitarbeitenden sind unser wichtigstes Gut. Damit exzellente Forschende aber auch bei uns arbeiten wollen und herausragende Arbeit leisten können, braucht es erstklassige Infrastruktur wie Technika, Labore oder auch High Performance Computing. Und über diese verfügen wir. Ich habe einige Forschungsinstitutionen auf der ganzen Welt kennengelernt und kann zu Recht behaupten, dass wir exzellente Arbeits- und Studienbedingungen zu bieten haben. Leider wird einem dies oft erst beim direkten Vergleich bewusst. In der Tat decken wir eine grosse Themenbreite ab, was uns nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell vor Herausforderungen stellt.
Jetzt haben wir über die Infrastruktur gesprochen. Welche spezifische Kultur wird von den Mitarbeitenden gelebt?
Als ich vom Fachhochschulrat gewählt wurde, stand die Weiterentwicklung der Forschung im Zentrum. Dieses Ziel haben wir erreicht. Danach haben wir uns der Lehre gewidmet und neue Studiengänge geschaffen, die nicht nur neu sind, sondern innovativ und vernetzt mit anderen Departementen. Dies gelingt mit einer Kultur, die als praxisnah, kreativ, leidenschaftlich und reflektiert beschrieben werden kann. Die Pflege dieser Kultur benötigt aber ausreichende finanzielle Mittel. Sie benötigt Vertrauen in die Mitarbeitenden und erfordert, dass Vorgesetzte mehr vorsehen als vorstehen. Mit unserer gelebten Vielfalt stossen wir aber vor allem auch an finanzielle Grenzen. Das ist schmerzhaft, und ich bin gespannt, wie wir kulturell damit umgehen.
Wädenswil ist ein wunderschöner Standort. Allerdings wächst das Departement stetig, und bereits jetzt sind Mitarbeitende und Institute teilweise dezentral auf dem Campus verstreut. Wie wird mit diesem Wachstum umgegangen?
Kennen Sie die beiden Nachhaltigkeitsparadigmen? Das eine Paradigma nennt sich «Sustainable Development», das andere «Sustainability». Das erste basiert auf der Annahme, dass ein Wirtschaftswachstum notwendig ist. Das zweite besagt, dass echte Nachhaltigkeit nur möglich ist, wenn wir reduzieren. Vor diesem Hintergrund bekommt auch das eigene Wachstum eine spezielle Bedeutung. Ist das olympische Motto «Schneller, höher, stärker!» wirklich immer sinnvoll? Wachstum scheint positiv, und es ist angenehm. Was aber, wenn die Grenzen erreicht sind? Und ja, als promovierter Biologe bin ich definitiv der Ansicht, dass es Grenzen gibt. Mit dem neuen «Future of Food»-Campus streben wir deshalb Synergien an. Wir suchen das Gemeinsame, das Verbindende. Und da bin ich wieder bei Olympia, das Motto wurde vor zwei Jahren mit dem Wort «gemeinsam» ergänzt.
Mit dem neuen «Future of Food»-Campus ist nun jedoch die ganze Wertschöpfungskette von Lebensmitteln unter einem Dach vereint. Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus?
Aus der Kette wird ein Netzwerk! Ketten sind linear, aber was wir benötigen, sind Kreisläufe oder Netzwerke. Das gesamte Netzwerk unter einem Dach zu haben, ermöglicht, ganz einfach Synergien zu nutzen, gemeinsam voneinander zu profitieren. Das Gebäude bildet über alle Stockwerke die Prozesse ab, die für die Lebensmittel- und Getränkeherstellung wichtig sind. Der ganze Lebensmittelkosmos findet hier zusammen. Das gibt es sonst an keinem anderen Ort in der Schweiz.
Innovationen entstehen meist an interdisziplinären Nahtstellen. Wo sehen Sie thematische Konvergenz und Potenzial für Innovation?
Konvergenz ist ein spannendes Konzept, das vor dem Hintergrund der grossen zukünftigen Herausforderungen unbedingt verfolgt und genutzt werden muss. Wir haben schon vor ein paar Jahren die Annäherung von Chemie und Biotechnologie festgestellt und deshalb die beiden Institute vereint. Das war ein mutiger Schritt. Heute sehe ich Konvergenzen in allen unseren Themenbereichen Umwelt, Ernährung und Gesundheit. Neben dem neuen «Future of Food»-Campus haben wir bereits einen «Future of Environment »-Campus, und in Zukunft könnte ich mir auch einen «Future of Health»-Campus vorstellen – mit Themen wie Tissue Engineering für Arzneimittelentwicklung, Medizinalchemie, Biomedizinischer Labordiagnostik, Pharmazeutischer Biotechnologie oder Digital Health.
Neben der Zusammenarbeit zwischen den Forschungsbereichen sind für Innovationen sicher auch Kooperationen mit Startups und Unternehmen wichtig. Wie werden diese in Wädenswil gepflegt und gefördert?
Bereits vor 20 Jahren wurde der Gründerpark grow aus der Taufe gehoben. Dieser erfolgreiche Inkubator für Startups ist in den letzten Jahren stark angewachsen, auf heute vier Standorte. Auch thematisch ist eine Erweiterung festzustellen, da sich wegen des «Future of Food»-Campus vermehrt Firmen aus der Lebensmittelbranche ansiedeln wollen. Ich wünsche mir, dass künftig Unternehmen und Startups den Weg zu uns finden und unsere hervorragende Infrastruktur nutzen können. Dies dürfte für viele günstiger sowie nachhaltiger sein, als gewisse Maschinen selbst anschaffen zu müssen.
Was wünschen Sie sich für den Standort in Wädenswil?
Wir wollen die erste Adresse sein für kluge Köpfe, motivierte Studierende, innovative Startups sowie renommierte Unternehmen im Bereich Lebensmittel- und Getränkeinnovation. Auch für die internationale Zusammenarbeit beispielsweise mit dem Food Campus Berlin oder den Universitäten in New England. Zudem arbeiten wir mit der kantonalen und regionalen Standortförderung an einem Food Hub für Wädenswil. Auch wenn ich Wachstum sehr differenziert betrachte: Die globalen Herausforderungen im Bereich Ernährung können wir nur zusammen angehen, indem wir gemeinsam wachsen. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass der Kampf um die Nachhaltigkeit auf unseren Tellern entschieden wird.
Interview: Manuel Martin
Sonderbeilagen ZHAW-Bauprojekte
Die räumliche Entwicklung der ZHAW schreitet stetig voran in Winterthur, Wädenswil und Zürich. Geplant, gebaut oder saniert wird mit unterschiedlichen Anforderungen, Konstellationen sowie Zeithorizonten. Diese und weitere Sonderbeilagen des ZHAW-Impacts informieren fortlaufend über die wichtigsten Projekte und Entwicklungen der ZHAW.
ZHAW-Bauprojekte, Sonderbeilage Nr. 4, September 2023(PDF 4,9 MB)