Die Rolle der Care-Migration in der gemeindenahen Gesundheitsversorgung älterer Menschen in der Schweiz
Die alternde Bevölkerung in der Schweiz erhöht den Bedarf an Alters- und Langzeitpflege. Viele ältere Menschen bevorzugen es, in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben, oft durch migrantische Betreuungspersonen in Live-in Care Arrangements. Diese Arbeitsverhältnisse sind jedoch häufig prekär.
Ergebnis
Die Analyse zeigt, dass Live-in Care Arrangements mit migrantischen Betreuungspersonen in der Schweiz und anderen europäischen Ländern als Reaktion auf den demografischen Wandel, veränderte Geschlechterverhältnisse und ein familialistisches Pflegeregime entstanden sind. Dabei übernehmen die Betreuungspersonen vielfältige Aufgaben, die oft über die reine Pflege hinausgehen. Allerdings sind ihre Arbeits- und Lebensbedingungen häufig prekär, da die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen, sie sozial isoliert sind und ihre Rechte nicht immer gewahrt werden.
Ethische Fragen betreffen neben der Prekarität auch den "Care-Drain" aus den Herkunftsländern. Auf organisationaler Ebene gibt es Ansätze, die Situation zu verbessern, etwa durch Qualitätsstandards oder Kooperationen zwischen Vermittlungsagenturen und Pflegediensten. Auf politischer Ebene werden Forderungen nach mehr öffentlicher Finanzierung, besseren Arbeitsbedingungen und alternativen Betreuungsmodellen jenseits der Live-in Care diskutiert. Insgesamt zeigt sich, dass faire Lösungen ein Zusammenspiel von Massnahmen auf verschiedenen Ebenen erfordern.
Diskussion
Die Ergebnisse dieses Scoping Reviews zeigen, dass Live-in Care Arrangements mit migrantischen Betreuungspersonen ein komplexes Phänomen sind, das eng mit den übergreifenden gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich der Langzeitpflege älterer Menschen verknüpft ist. Die Entstehungsbedingungen dieser Arrangements sind ebenso wichtig wie die gesellschaftlichen, organisationalen und politischen Rahmenbedingungen sowie die finanziellen und personellen Ressourcen.
Live-in Care durch migrantische Betreuungspersonen kann zwar systemisch bedingte Lücken in der Schweizer Gesundheitsversorgung überbrücken, ist aber weder eine nachhaltige noch eine gerechte Lösung. Die Instabilität dieses Modells zeigte sich während der Covid-19-Pandemie. Verbesserungen der prekären Arbeitsbedingungen in Live-in Care Arrangements können durch interprofessionelle Zusammenarbeit und organisationale Einbindung der Betreuungspersonen erreicht werden.
Auf politischer Ebene sind eine Regelung der öffentlichen Finanzierung von Betreuungsleistungen sowie neue Finanzierungsinstrumente notwendig. Zudem bieten alternative Modelle - wie z.B. kollektive oder halbkollektive Wohnformen - Potenzial für eine Formalisierung und Professionalisierung der Betreuung. Eine integrierte Betrachtung zeigt, dass die Verbesserung der Situation migrantischer Betreuungspersonen Teil von Bestrebungen zur Aufwertung von Care-Arbeit und einer effektiven, effizienten und gerechten Langzeitpflege sein muss.
Live-in Care Arrangements mit migrantischen Betreuungspersonen in der Schweiz sind ein historisch kontingentes Modell der Betreuung und Unterstützung älterer Menschen, das nicht unabhängig von seinen demografischen, politischen und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen und Auswirkungen verstanden werden kann. Dieses Modell kann zwar kurzfristig das "Care-Defizit" in der Langzeitpflege überbrücken, löst die Ursachen dafür jedoch nicht. Zudem ist es nur für finanzstarke ältere Personen und Familien zugänglich und bringt oft prekäre Arbeitsbedingungen für die migrantischen Betreuungspersonen sowie negative Folgen für deren Familien und Herkunftsländer mit sich. Daher ist es in seiner derzeitigen Form keine nachhaltige oder gerechte Lösung für die Probleme in der Schweizer Langzeitpflege.
Schlussfolgerung
Zur Verbesserung der Situation sind auf organisationaler Ebene die Anbindung migrantischer Betreuungspersonen an bestehende Organisationen sowie die Schaffung neuer Wohnformen für Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf vielversprechende Ansätze. Dies kann die interprofessionelle Zusammenarbeit stärken, die Prekarität von Arbeitsverhältnissen verringern und die Qualität von Pflege und Betreuung verbessern.
Auf politischer Ebene besteht Handlungsbedarf bei der Regelung der Finanzierung von Betreuungsleistungen. Auf gesellschaftlicher Ebene ist eine Aufwertung von Care-Arbeit im öffentlichen Diskurs sowie eine erweiterte Diskussion über Wohnen im Alter jenseits der Zweiteilung "zuhause altern gut - Pflegeheim schlecht" erforderlich.
Beschreibung
Hintergrund
Die Schweizer Bevölkerung wird in den nächsten Jahren deutlich älter. Der Anteil der Personen ab 65 Jahren wird bis 2050 von 18,9% auf 25,6% ansteigen. Damit wird der Bedarf an Alters- und Langzeitpflege stark zunehmen. Die meisten älteren Menschen möchten so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld wohnen bleiben, was oft eine Herausforderung für Familien darstellt. Viele greifen daher auf migrantische Betreuungspersonen in Live-in Care Arrangements zurück, um die Lücke in der Versorgungslandschaft zu füllen. Allerdings sind die Arbeitsbedingungen dieser Betreuungskräfte oft prekär.
Für Gesundheitsfachpersonen stellen sich die Fragen nach a) der Beschaffenheit der Lücke in der Schweizer Gesundheitsversorgung, welche mit solchen Live-in Arrangements jeweils gefüllt werden soll, sowie b) dem Potential der Zusammenarbeit zwischen formellen Unterstützungsdiensten und migrantischen Betreuungspersonen in solchen Arrangements. Diese Studie bezweckt die Beantwortung dieser Fragen.
Methode
Um diese Fragen zu beantworten, führten wir ein Scoping Review durch. Dafür wurden relevante Datenbanken und eine Internetsuche genutzt, um Dokumente zu identifizieren, die den Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen. Die eingeschlossenen Dokumente wurden inhaltsanalytisch ausgewertet, um die aktuelle Forschungslage darzulegen, wichtige Erkenntnisse hervorzuheben und Forschungslücken sowie mögliche Folgeprojekte zu benennen.
Eckdaten
Co-Projektleitung
Projektteam
Projektstatus
abgeschlossen, 02/2024 - 12/2024
Institut/Zentrum
Institut für Ergotherapie (IER); Institut für Pflege (IPF); Institut für Physiotherapie (IPT)
Drittmittelgeber
Interne Förderung