Bewegung als Therapie: Das Potenzial wird in der Schweiz noch wenig genutzt
Körperliche Aktivität ist bei vielen nichtübertragbaren, chronischen Erkrankungen eine wirkungsvolle Therapieform. In der Schweiz wird das Potenzial von Bewegung als Therapie allerdings noch wenig genutzt, wie Forschende des Departements Gesundheit sowie des Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie an der ZHAW in einer Studie im Auftrag des Bundes aufzeigen.
Beschwerden am Bewegungsapparat, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Diabetes: Nichtübertragbare, chronische Krankheiten (engl. noncommunicable diseases, kurz NCD) verursachen in der Schweiz – zusammen mit psychischen Erkrankungen – Schätzungen zufolge mehr als 80 Prozent der gesamten Gesundheitskosten. Bei der Prävention und in der Behandlung von NCD, aber auch von psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen, ist körperliche Aktivität eine effektive Therapieform. So hat sie bei gewissen Erkrankungen einen vergleichbaren Effekt wie eine medikamentöse Behandlung oder Psychotherapie, wie in zahlreichen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden konnte. Darüber hinaus vermag sie die Lebensqualität positiv zu beeinflussen sowie einen Schutz vor Komorbiditäten zu bieten.
Kaum Bewegungsprogramme in früher Behandlung
In der Schweiz wird das Potenzial von Bewegung als Therapie bislang allerdings noch wenig genutzt, wie eine Studie der Forschungsstelle Physiotherapie, der Fachstelle Gesundheitswissenschaften und des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt. Zwar werden gemäss der im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) durchgeführten Untersuchung Bewegungstherapien hierzulande im Rahmen von Rehabilitationsprogrammen angeboten und in dieser Form von der Grundversicherung finanziert. In der frühen Behandlung, also wenn bei einer Person eine NCD oder Risikofaktoren für die Entwicklung einer NCD diagnostiziert werden, sowie in der langfristigen Nachsorge nach dem Abschluss einer Rehabilitation kommt Bewegung als Therapieform jedoch noch kaum zum Einsatz. «Insgesamt wird nur bei einem kleinen Anteil aller Personen mit einer NCD ein Bewegungsprogramm verschrieben», sagt Co-Studienleiterin Karin Niedermann von der ZHAW-Forschungsstelle Physiotherapie.
Andere Länder stellen Bewegungsrezepte aus
Gemäss der Studie sind andere Länder der Schweiz in dieser Hinsicht voraus: So können beispielsweise in Schweden – das als Vorreiter gilt – aber auch in Australien, Grossbritannien oder Frankreich bei verschiedenen Diagnosen Rezepte für körperliche Aktivitäten ausgestellt werden – also noch bevor ein akutes Ereignis ein Rehabilitationsprogramm nötig macht. Das Bewegungsrezept kann von den Patientinnen und Patienten in Form eines standardisierten Bewegungsangebots eingelöst werden oder aber sie erhalten ein Coaching, z.B. für die eigenständige Planung und Ausgestaltung einer regelmässigen körperlichen Aktivität oder für die Suche nach einem geeigneten gruppenbasierten Bewegungsangebot.
«Eine stärkere Verankerung von Bewegung als Therapie in der schweizerischen Gesundheitsversorgung würde die Gesundheit und Lebensqualität von Betroffenen mit NCDs, psychischen Erkrankungen oder Suchtproblematiken verbessern und langfristig die Gesundheitskosten senken», ist Co-Studienleiterin Irina Nast überzeugt. Die Autorinnen der Studie empfehlen deshalb unter anderem den Aufbau einer nationalen Dachorganisation «Exercise is Medicine Schweiz» unter Einbezug therapeutischer und ärztlicher Fachgesellschaften, Bildungsinstitutionen und des BAG. Diese Organisation solle ein umfassendes Konzept für Bewegung als Therapie im Schweizer Gesundheitswesen erarbeiten.