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Gutes tun – und dessen Wirkung messen

Wie optimieren soziale Organisationen die Wirkung ihres Tuns? Und wie macht man sie sichtbar? Um solche Fragen geht es in einem Projekt und einer Veranstaltung der ZHAW. Das Schweizerische Rote Kreuz nahm an der Feldforschung teil.

Die Qualität Sozialer Arbeit – auch bei Freiwilligenarbeit wie Besuchsdiensten – sollte man nicht dem Zufall oder Bauchgefühl überlassen, sondern regelmässig überprüfen. (Themenbild: iStock)

Von Larissa Matthey

Man kann die Wanduhr schon vom Flur her schlagen hören. Pünktlich um zwei Uhr erscheinen wir an diesem Nachmittag bei Margrit Bucher. Auf dem Esszimmertisch steht ein frisch duftender Blumenstrauss. Die Alterswohnung ist modern eingerichtet. «Praktisch sind die hohen Schränke aber leider nicht, ich kann nur die Schubladen und untersten Tablare benutzen», erzählt die ältere Dame. Auch dass das Badezimmer nicht rollstuhlgängig sei, findet sie unpraktisch.

Neben ihr steht Gisela Stamm und nickt. Sie weiss, was Margrit Bucher braucht, um selbständig bleiben zu können. Und wann und wofür sie Unterstützung braucht. Manchmal gehen Stamm und Bucher spazieren, manchmal spielen sie Memory oder unterhalten sich einfach. Die beiden Frauen, die eigentlich anders heissen, kennen einander durch den Besuchs- und Begleitdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Gisela Stamm arbeitet seit anderthalb Jahren als Freiwillige bei diesem Dienst mit.

Sie ist selbst auch Seniorin. Nach ihrer Pensionierung wollte sie etwas Sinnvolles machen. Da entdeckte sie das Inserat des SRK in der Zeitung. «Der Kontakt zu Menschen war mir schon immer wichtig», erzählt Stamm, die während ihrer Erwerbsjahre stets Arbeitsstellen hatte, bei denen sie diesen Wunsch ausleben konnte. Es sei schön zu sehen, dass Menschen wie Margrit Bucher Freude am Austausch mit ihr haben. «Das gibt mir das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun», sagt sie.

Zielgruppen klären

Der Besuchs- und Begleitdienst ist eines der Angebote, die im SRK-Projekt «Wirkungsorientierung im SRK» analysiert wurden. Dieses startete im Herbst 2021 und gehört zur Strategie 2030. Sein Ziel ist es, die Wirkung bei der Zielgruppe zu optimieren. «Es geht um den Zweck des SRK», sagt Projektleiterin Bianca Walther. «Bei den freiwillig Helfenden ist die Motivation für ihre Einsätze meistens sehr klar: Ihr Handeln richtet sich danach aus, der Zielgruppe zu helfen.»

Mit dem Projekt soll dieses Handeln konkreter benannt werden. Denn was bei der Zielgruppe wirkt, soll nicht bloss ein Bauchgefühl sein. Vielmehr will das SRK ein konkretes Steuerungselement in der Hand haben, um seine Angebote, Massnahmen und Handlungen an den vorhandenen Bedürfnissen auszurichten – und, wenn nötig, auch anzupassen.

«Ohne die Freiwilligen könnten die meisten Angebote des SRK gar nicht umgesetzt werden.»

Bianca Walther, Projektleiterin SRK

Ebenso sollen durch das Projekt die freiwillig Helfenden und die Nutzerschaft der Angebote mehr in Prozesse einbezogen und dadurch bedarfsgerechtere Angebote geschaffen werden. Hilfreich ist, dass innerhalb der Organisation, bei den Mitarbeitenden und ebenso bei den Freiwilligen grundsätzlich Konsens darüber herrscht, wo Wirkung erzeugt werden soll und was darunter grundsätzlich verstanden wird.

Manchmal seien jedoch genauere Definitionen von Begrifflichkeiten nötig, sagt Walther. So sei zum Beispiel nicht immer für alle klar, wer alles zu der «Zielgruppe» gehört. Die Projektleiterin findet: «Damit sind nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer der Angebote, sondern eben auch die freiwillig Helfenden gemeint. Ohne sie könnten die meisten Angebote des SRK gar nicht umgesetzt werden».

Finanzielle Ressourcen besser nutzen

Für Walther ist klar, dass im Zentrum der Mensch und die Verbesserung der Wirkung auf die Menschen stehen. Aber sie weiss auch: «Ein praktischer Nebeneffekt ist, dass dadurch meistens auch finanzielle Ressourcen besser genutzt werden. Die Begünstigten können durch das Projekt und den partizipativen Ansatz künftig mehr Einfluss in die Angebote des SRK nehmen. In der Umsetzung sollen die Bedürfnisse im persönlichen Austausch abgeholt werden.»

Im Forschungsprojekt «Deutung von Wirkung in Organisationen des Sozialwesens», das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde, befassten sich ZHAW-Dozent Konstantin Kehl und sein Team vom Institut für Sozialmanagement über drei Jahre damit, wie wirkungsvolle Arbeit in sozialen Organisationen interpretiert wird. Unter die Lupe genommen haben sie insgesamt 18 Organisationen in vier Handlungsfeldern: Justizvollzug, Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen, Kurzberatung sowie Unterstützung pflegender Angehöriger. Der Besuchs- und Begleitdienst des SRK hatte sich für die Feldforschung zur Verfügung gestellt.

Gemeinsames Grundverständnis entwickeln

Die Projektergebnisse zeigen, dass die Deutungen von Wirkung zwischen den Handlungsfeldern variieren, aber die beteiligten Fach- und Führungspersonen fast immer einen starken Fokus auf die Klientinnen und Klienten sozialer Angebote legten. Spardruck und Kosteneffizienz prägen zwar oft den öffentlichen Diskurs, auch in den Medien. Sie sind für das Wirkungsverständnis an der Basis aber offenbar nicht sonderlich relevant. «Wenn in Organisationen über Wirkung geredet wird», sagt Konstantin Kehl, «dann geht es in erster Linie um Menschen und eher weniger darum, der Politik oder Verwaltung einen wirtschaftlichen Nutzen verkaufen zu wollen.»

«Unser Forschungsprojekt hat gezeigt, dass viele Institutionen sich mit dem Thema auseinandersetzen und sich grundlegende Fragen zur Wirkungsorientierung stellen.»

Konstantin Kehl, ZHAW-Dozent und Forscher

Laut Kehl haben soziale Organisationen verschiedene Motive, warum sie sich mit der Wirkung ihrer Tätigkeit auseinandersetzen: «Gründe können zum Beispiel professionelle Selbstvergewisserung sein, die öffentliche Legitimation des eigenen Handelns, Rechenschaftspflichten oder aber der Wunsch nach einer fachlichen Weiterentwicklung im Team.»

Wichtig sei unter anderem ein gemeinsames Grundverständnis von Wirkung innerhalb einer Organisation, um wirkungsorientiert zu arbeiten. Wirkung könne auf verschiedenen Ebenen stattfinden und es müsse klar sein, ob es beim Optimieren von Wirkung um psychologische, soziale oder ökonomische Wirkungsziele gehe. 

Es braucht Geduld und Offenheit

Bianca Walther betont, dass es im Projekt des SRK nicht darum gehe, dass Ziele gesetzt werden, um den Mitarbeitenden zu sagen, was sie nicht erreicht hätten. Im Gegenteil: «Wir wollen eine kritische Reflexion des Handelns und der Angebote schaffen, um sie optimal dem Bedarf entsprechend zu gestalten und so immer wieder aus der Praxis zu lernen. Das Verständnis des SRK zum Thema Wirkungsorientierung ist prozesshaft und soll die Diversität des SRK berücksichtigen».

Mit dem Projekt soll Wirkungsorientierung kulturell im SRK verankert und ein flexibles System der Wirkungsorientierung für die ganze Organisation zur Verfügung gestellt werden. «Dafür braucht es viel Geduld, Verständnis, Offenheit, Dialog und ein gutes Gespür, um alle Beteiligten abzuholen und proaktiv einzubeziehen», so Walther.

Mehr als eine Pflichtübung

Das Forschungsprojekt der ZHAW wird im Sommer 2022 abgeschlossen. Konstantin Kehl unterstreicht, dass sich jede Organisation mit dem Thema Wirkungsorientierung befassen könne – auch kleinere Organisationen. Es brauche dafür eine Verantwortlichkeit im Team, vor allem, wenn die Wirkung gemessen und optimiert werden soll. Gerade, wenn dabei auch Legitimation ein Thema sei, könne die Kooperation mit einer externen Evaluationspartnerin wie einer Hochschule oder einem Beratungsbüro sinnvoll sein.

Kehl empfiehlt, Wirkung in einer Organisation nicht bloss als Pflichtübung zu verstehen, sondern wirkungsvolle Arbeit im Sinne der Erhöhung der Bedarfsorientierung von Angeboten für die Nutzerschaft und der Arbeitszufriedenheit der Angestellten in den Fokus zu stellen. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Wirkungsorientierung sei durchaus vorhanden, so der ZHAW-Forscher: «Unser Projekt hat gezeigt, dass viele Institutionen sich mit dem Thema auseinandersetzen und sich grundlegende Fragen zur Wirkungsorientierung stellen. Das ist der erste, wichtige Schritt.»

Veranstaltung «Das Ziel im Blick: Wirkung im Sozialwesen verstehen»

Sie leisten gute und wertvolle Arbeit – aber wissen Sie auch, ob Sie das erreichen, was Sie erreichen möchten? Holen Sie sich an unserer Netzwerk-Veranstaltung am 15. September 2022 Tipps, wie Sie die Wirkung Ihrer Arbeit gezielt verbessern können. Und wie Sie Ihre Ergebnisse den geldgebenden Stellen optimal kommunizieren. Ausserdem erhalten Sie an der Veranstaltung Einblick in zwei vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekte der ZHAW zur Wirkungsorientierung und Wirkungsevaluation.

Information und Anmeldung