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«Frauen sind stark»

Von der Macht der Hormone über das Körpergefühl von Schwangeren bis zur Wirkung einer Gebärraum-Einrichtung: Am 7. Winterthurer Hebammensymposium erfuhren die Teilnehmenden spannende Neuigkeiten.

Frauenleben – Frauen leben: So lautete der Titel des 7. Winterthurer Hebammensymposium, das am 21. Januar 2023 stattfand. Den Referentinnen gelang es, sehr unterschiedliche Facetten dieses weiten Themenfeldes zu beleuchten.

Doch zuerst richtete der einzige Mann auf dem Programm das Wort an die Anwesenden: Der Winterthurer Stadtrat Nicolas Galladé unterstrich, wie wertvoll die Arbeit von Hebammen für die Gesellschaft sei. Auch er selbst habe vor vier Jahren, als er Vater wurde, davon profitieren können.

Nach diesem Grusswort machten Beatrice Friedli und Prof. Dr. Jessica Pehlke-Milde, die beiden Co-Leiterinnen des gastgebenden Instituts, eine überraschende Ankündigung: Das Institut trägt neu den Namen Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit. Die Namensänderung soll zwei Punkte deutlich machen: Einerseits benennt der neue Name die Disziplin, auf der die Hebammenstudiengänge und die Forschung basieren. Und andererseits bildet er ab, dass Hebammen einen Grossteil der Gesundheitsleistungen im Bereich der reproduktiven und sexuellen Gesundheit erbringen.

Ein Geburtshaus für Winterthur

Um Wahlfreiheit für Frauen und Familien ging es im ersten Referat. Elena Reusser berichtete von der Aufbauarbeit für das Winterthurer Geburtshaus, das im kommenden Spätsommer seine Türen öffnen soll und damit den Winterthurer:innen eine Wahl geben wird, wohin sie sich für eine Geburt begeben möchten. Elena Reusser schilderte, wie viel Arbeit sie und die anderen Mitglieder des Projektteams bis anhin in das Geburtshaus gesteckt haben, wie sie die Finanzierung bewerkstelligen und wie wichtig es ist, dass das Geburtshaus nun auf der Zürcher Spitalliste steht. Das Geburtshaus wird in einer wunderschönen Villa in unmittelbarer Nähe des Kantonsspitals Winterthur domiziliert sein.

Reise durch die Jahrhunderte

Weshalb steht eine Literaturwissenschaftlerin auf dem Programm eines Hebammensymposiums? Das mag sich die eine oder andere Besucherin im Vorfeld gefragt haben. Der Beitrag von Prof. Dr. Hildegard Keller wusste aber zu begeistern. Sie erzählte mitreissend von «namhaften und namenlosen Frauen», deren Biografien sie erforscht hatte. Die Referentin nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte, angefangen bei Hildegard von Bingen, der Keller attestierte, dass sie heute wohl einen Instagram-Kanal hätte und den Machthabern am WEF ins Gewissen reden würde. Die Reise ging weiter bis zu Hannah Arendt und deren eindrücklichen Worten «Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie. (…) Dieses Wagnis ist nur möglich im Vertrauen auf die Menschen.» Einen Abstecher machte Keller auch zu einem Mann, dem Zürcher Stadtarzt Jakob Ruf, der im 16. Jahrhundert die Hebammenausbildung reformierte.

Botenstoffe, die glücklich machen

Von den Frauenbiografien ging es zu jenen Botenstoffen, deren Wichtigkeit in den letzten Jahren immer wieder betont wird: die Hormone. ZHAW-Professorin Susanne Grylka bot einen Überblick über den Einfluss von Hormonen auf ein Frauenleben, vom Embryonalstadium bis zu den Wechseljahren. Sie erläuterte die Rolle der «Glückshormone» Serotonin, Oxytocin, Dopamin und Endorphin. Grylka brachte auch die Neuroökonomie ins Spiel: In einer Studie hat die Universität Zürich gezeigt, dass Oxytocin die Bereitschaft beeinflusst, soziale Risiken zu akzeptieren, die durch zwischenmenschliche Interaktionen entstehen.

Danach nahm Grylka die Phase von Geburt, Wochenbett und Stillen genauer unter die Lupe. In der Geburtshilfe wird häufig synthetisches Oxytocin eingesetzt – dieses kann aber die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und bewirkt deshalb keine Stressreduktion, wie es natürliches Oxytocin tut. Die Professorin rief dazu auf, die grosszügige Verabreichung von synthetischem Oxytocin kritisch zu reflektieren.

Bett weg aus dem Gebärzimmer

Eine andere gängige Praxis nahm Elke Mattern ins Visier. Die Hebamme war Teil des Forschungsteams, das hinter der deutschen Studie «Be up» steht. Diese ging der Frage nach, ob die Einrichtung des Gebärraums Auswirkungen auf die Geburt hat. Konkret ging es unter anderem darum, wie es sich auswirkt, wenn nicht das übliche Gebärbett in der Mitte des Raums steht. Der Hintergrund: Viele Studien zeigen, dass eine aufrechte Haltung unter der Geburt förderlicher ist, als wenn die Gebärende auf dem Rücken liegt. Mattern verriet ein überraschendes Studienergebnis, dass an dieser Stelle noch nicht veröffentlicht werden darf, jedoch im Lauf des Jahres publiziert wird.

Neues Phänomen Pregorexie

Die letzte Keynote hielt PD Dr. med. Katharina Quack Lötscher. Die Ärztin und Forschungsgruppenleiterin in der Klinik für Geburtshilfe des Universitätsspitals Zürich befasste sich mit der Frage, wie sich Bewegung auf das Körpergefühl von Schwangeren auswirkt. Sie hielt fest, dass moderate Bewegung bei komplikationslos verlaufenden Schwangerschaften immer von Vorteil sei und den Frauen die Angst davor genommen werden sollte. Sie wies aber auch auf ein neueres Phänomen hin: die sogenannte Pregorexie, eine Form der Magersucht im Verlauf der Schwangerschaft. Es besteht die Hypothese, dass die Bilder von extrem schlanken Schwangeren in sozialen Medien viel Druck auf Frauen ausüben.

Kurzpräsentationen

Neben den Keynotes standen auch Parallelveranstaltungen auf dem Programm. Sie gaben Forschenden und Studierenden Gelegenheit, aktuelle Projekte vorzustellen. Dank diesen Kurzpräsentationen erfuhren die Teilnehmenden kompakt Neues aus Forschung und Praxis.

Zweifel und Begeisterung

Das letzte Referat des Tages hielt, wie am Hebammensymposium mittlerweile üblich, eine Studentin. Fabienne Ritzmann gelang es, die Anwesenden zu berühren. Sie verhehlte nicht, dass sie während der Ausbildung wiederholt Zweifel hatte, ob sie am richtigen Ort und dem Beruf gewachsen sei. Auch die schwierigen Arbeitsbedingungen im angespannten Gesundheitssystem kamen zu Wort. In Erinnerung blieb aber ihre Begeisterung für den Hebammenberuf, für die Arbeit mit den Frauen und Familien: «Frauen sind stark. Unser Privileg als Hebammen ist es, dass wir die Frauen auf einem Stück ihres Lebenswegs begleiten und sie im besten Fall in ihrem Selbstvertrauen und ihrer Selbstwirksamkeit bestärken.»