Hotline der Thurgauer Hebammen unterstützt sozial belastete Familien und entlastet Spitäler
Der Verein Thurgauer Hebammen betreibt eine Hotline, die Eltern für die Zeit nach der Geburt unkompliziert eine Hebamme vermittelt. Das Angebot wird grossmehrheitlich von Migrantinnen genutzt und stellt für die Spitäler eine grosse Entlastung dar, wie eine Auswertung durch die Forschungsstelle Hebammenwissenschaft der ZHAW zeigt.
Nicht alle werdenden Eltern organisieren vor der Geburt ihres Kindes frühzeitig eine Wochenbettbetreuung. Gründe dafür sind zum Beispiel fehlendes Wissen um das Angebot oder auch Versorgungsengpässe. Für diese Familien betreibt der Verein Thurgauer Hebammen seit 2016 eine Hotline, die unkompliziert eine Hebamme vermittelt. Die Vermittlungshotline der Thurgauer Hebammen ist Teil des kantonalen Projekts «Guter Start ins Kinderleben», das die Vernetzung und Zusammenarbeit in der frühen Kindheit und im Kinderschutz fördert. Im Auftrag des Vereins Thurgauer Hebammen hat die Forschungsstelle Hebammenwissenschaft der ZHAW Gesundheit die Nutzung der Vermittlungshotline sowie den Nutzen, die Chancen und die Herausforderungen für die Hebammen und andere Interessenvertreter untersucht.
Sozial belastete Familien bleiben in der Versorgungskette
Die während eines Jahres erhobenen Daten zeigen, dass die 2016 gestartete Hotline rege genutzt wird: Im untersuchten Zeitraum von September 2019 bis August 2020 wurde an insgesamt 240 Frauen eine Hebamme vermittelt. Was auffällt: Das Angebot nahmen grossmehrheitlich Wöchnerinnen ausländischer Nationalität (82.2%) in Anspruch. Besonders gross war dabei mit rund 60 Prozent der Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund der ersten Generation. Rund 31 Prozent der Wöchnerinnen, denen über die Hotline eine Hebamme vermittelt wurde, hatten zudem keine abgeschlossene Berufsausbildung. «Das Angebot scheint damit vor allem für sozial benachteiligte oder belastete Familien sowie für solche mit geringen Kenntnissen der Gesundheitsversorgung im Kanton Thurgau eine wichtige Unterstützung zu sein», sagt Andrea Weber-Käser, Präsidentin des Vereins Thurgauer Hebammen.
Die Hotline sorgt laut Studienleiterin Susanne Grylka von der ZHAW-Forschungsstelle Hebammenwissenschaft dafür, dass die Familien auch nach der Geburt in der Versorgungskette bleiben und ist damit ein wichtiger Bestandteil des Projekts «Guter Start ins Kinderleben». Verbesserungswürdig ist laut der Forscherin derzeit noch die Anwendung des Ampelsystems dieses Projekts. Das System dient dazu, ein allfällig vorliegendes Risiko für ein Kind einzuschätzen und anhand eines einheitlichen Entscheidungsbaumes («Ampelsystem») die Situation einzuordnen. Obwohl fast allen bekannt, wird es nur von rund zehn Prozent der Hebammen häufig oder systematisch angewendet. «Mit der konsequenten Anwendung des Ampelsystems könnten Familien in vulnerablen Situationen objektiver beurteilt und rascher an Stellen mit weiterführenden Angeboten verwiesen werden.»
Spitalpersonal wird deutlich entlastet
Sehr gut funktioniert gemäss der ZHAW-Studie die Zusammenarbeit zwischen der Hotline und den Spitälern. «Das Spitalpersonal ist zeitlich und emotional entlastet, wenn anstelle einer aufwendigen Hebammensuche ein Telefon an die Hotline genügt», so Susanne Grylka. Zudem würden die Wöchnerinnen im Wissen nach Hause entlassen, dass sie professionell weiterbetreut werden. «Das ist für die Fachpersonen im Spital beruhigend – gerade nach schwierigen Geburten.»
Zufriedene Hebammen
Die im Rahmen der Studie befragten Hebammen beurteilten den Aufbau und den Betrieb der Vermittlungshotline sehr positiv, mit 3.8 von 4.0 möglichen Punkten auf einer Bewertungsskala. Einige der Vereinsmitglieder empfanden das «Hüten» des Vermittlungstelefons teilweise jedoch als stressig. Dieser Aufwand wurde auch von den Verantwortlichen auf den Wochenbettstationen wahrgenommen, welche die Idee einer moderneren, technischen Lösung in den Raum stellten. Auch Vereinsmitglieder äusserten ähnliche Ideen, die nun geprüft werden sollen. «Der Vereinsvorstand nimmt dieses Bedürfnis ernst und prüft digitale Lösungen, die nutzerinnenfreundlich und finanziell tragbar sind», erklärt Andrea Weber-Käser.
Etabliertes Angebot soll erhalten bleiben
Insgesamt zeigt die Evaluation der Vermittlungshotline der Thurgauer Hebammen, dass sich das Angebot etabliert hat. Die Hotline ermöglicht allen Thurgauer Familien, nach einer Geburt zu Hause weiterbetreut zu werden. Davon profitieren speziell sozial benachteiligte Familien, die dank dem niederschwelligen Angebot in der Versorgungskette bleiben. Auch wenn Verbesserungspotential in der Organisation der Vermittlungen und im Schnittstellenmanagement sowie Weiterbildungsbedarf festgestellt wurde, zeigte die Evaluation einen grossen Nutzen der Dienstleistungen des Vereins für die Familien, die Hebammen sowie Interessenvertreter/-innen aus dem Gesundheitswesen und der Politik.
Kontakt
- Dr. Susanne Grylka, stv. Leiterin Forschungsstelle Hebammenwissenschaft
Tel. 058 934 43 77, E-Mail susanne.grylka@zhaw.ch - Andrea Weber-Käser, Präsidentin Verein Thurgauer Hebammen
Tel. 079 392 77 65, E-Mail andrea.weber@thurgauer-hebammen.ch