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Lärmschutz: Geräuschkulissen der Stadt bewusst gestalten

Ergreift man nur bauliche Massnahmen gegen Verkehrslärm, wird das Wohnen teurer und monotoner. Stattdessen sollten die Anliegen der Anwohnerschaft einbezogen werden.

Lärmschutz blockiert zahlbaren Wohnraum: An der Winterthurerstrasse in Zürich können Genossenschaftswohnung vorerst nicht gebaut werden. (Bild: Urs Jaudas / Tamedia)

von Anke Kaschlik und Peter Streckeisen

Unlängst wurden in der Stadt Zürich zwei grosse Neubauprojekte aus Lärmschutzgründen durch gerichtliche Entscheide gestoppt. Dies, nachdem die Stadt die Projekte bereits bewilligt und der Kanton Ausnahmebewilligungen betreffend Lärmschutz erteilt hatte. Die Urteile führten zu einer Pattsituation: Sie setzten jahrelanger Bewilligungspraxis ein Ende und lösten gleichzeitig erhebliche Verunsicherung aus. «Wir wissen nicht, was wir Bauherren raten sollen», sagte André Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartements der Stadt Zürich, in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».

Das Thema Lärm beschäftigt also auch 35 Jahre nach Inkrafttreten der eidgenössischen Lärmschutzverordnung weiterhin Politik und Gerichte. Laut Jean-Marc Wunderli, dem Präsidenten der eidgenössischen Kommission zur Lärmbekämpfung, sind in der Schweiz pro Jahr etwa 500 kardiovaskuläre Todesfälle auf Lärmbelastungen zurückzuführen. Problematisch ist in seinen Augen unter anderem der Fokus auf bauliche Massnahmen: «Wenn Lärmschutz erst auf dem Niveau einzelner Bauparzellen angeschaut wird, ist es für gute Lösungen meist zu spät», wird er in der «NZZ» zitiert.

Was ist eigentlich Lärm

Wie kann die Lebensqualität an lärmbelasteten Wohnlagen verbessert werden? Mit dieser Herausforderung setzt sich das ZHAW-Forschungsprojekt «Integrativer Lebensraum trotz Lärm» auseinander. Das Projekt wird durch eine Zusammenarbeit der beiden Departemente Architektur und Soziale Arbeit umgesetzt. Denn bei der Frage, was Lärm überhaupt ist, ist eine interdisziplinäre Verständigung nötig.

In der Lärmwirkungsforschung dominiert eine technisch-naturwissenschaftliche Herangehensweise, die Lärm in Dezibel-Werten definiert und gesundheitsschädigende Auswirkungen misst. Aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive wiederum gilt Lärm als Geräusch, das stört. Ob ein Geräusch als störend empfunden wird, hat aber nur bedingt mit der Lautstärke zu tun.
Beide Forschungsperspektiven müssen kombiniert werden. Selbst gross angelegte quantitative Lärmwirkungsstudien wie die schweizerische SiRENE-Studie können keinen linearen Zusammenhang zwischen Lärmbelastung und Gesundheitsbeeinträchtigung feststellen. Offensichtlich gibt es intervenierende Variablen, zu denen auch soziale und kulturelle Faktoren zählen.

Das ZHAW-Projekt «Integrativer Lebensraum trotz Lärm» untersucht die Thematik vertieft in einem Abschnitt der Badenerstrasse in Zürich. Studierende des Departements Architektur machten Entwürfe zur Grundriss- und Fassadengestaltung und für Neubauten, das Forschungsteam des Departements Soziale Arbeit führte Beobachtungen vor Ort sowie Interviews mit Anwohnerinnen und Anwohnern durch. Aus dem Projekt sollen unter anderem Empfehlungen für die Überarbeitung der eidgenössischen Lärmschutzverordnung hervorgehen.

Wichtig ist eine Differenzierung der Lärmschutzvorschriften, um der Pluralität der Sozialräume und der Lebensstile besser Rechnung tragen zu können. Die Herausforderungen sind etwa in urbanen Räumen anders als in der Agglomeration oder auf dem Land. Die grösseren Städte erleben aktuell ein starkes Wachstum und eine bauliche Verdichtung, die den Lärmschutz vor neue Herausforderungen stellt. Selbst an lärmbelasteten Wohnlagen werden jene Einwohnerinnen und Einwohner mit geringem Einkommen verdrängt.

Lärm ist nicht das einzige Problem

Vor diesem Hintergrund gibt es keine einfachen Lösungen. Bauliche Lärmschutzmassnahmen führen dazu, dass Wohnraum weiter verteuert wird und Neubauten so konzipiert werden, dass sich das Wohnen von der Strasse abwendet. Bezahlbarer Wohnraum ist dadurch ebenso gefährdet wie das Strassenleben zwischen monotonen, überwiegend geschlossenen Lärmschutzfassaden.

Massnahmen an der Quelle sind wirksamer. Verkehrsberuhigungen wie zum Beispiel durch die vor einigen Jahren realisierte Umgestaltung der Weststrasse in Zürich bergen allerdings die Gefahr der beschleunigten Verdrängung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig entstehen neue Lärmemissionen durch die Belebung der Strasse, sogenannter Freizeit- oder Ausgangslärm.

Aus Sicht der Sozialen Arbeit ist zentral, dass die Lärmthematik ganzheitlich betrachtet wird und die Erfahrungen und Bewältigungsstrategien der betroffenen Menschen einbezogen werden. Lärm ist für benachteiligte Bevölkerungsgruppen oft nur einer von mehreren negativen Einflüssen auf die Wohnsituation: hohe Wohnkosten, schlechter Zustand der Wohnung, ungenügender Zugang zu Gemeinschafts-, Frei- und Grünräumen, mangelhafte Nahversorgung und ÖV-Anbindung, um nur die wichtigsten zu nennen.

Stadtakustik

An zentralen städtischen Wohnlagen wie der Badenerstrasse in Zürich stehen der Lärmbelastung hingegen Vorteile gegenüber. Dazu gehören insbesondere die kurzen Wege zu wichtigen Angeboten für den täglichen Bedarf, einschliesslich Arbeit und Freizeit. Ebenso wichtig ist die Präsenz von sozialen Einrichtungen und Unterstützungsnetzwerken.

Lärm gehört seit jeher zum Stadtleben, und das wird auch so bleiben. Angezeigt wäre deshalb ein Paradigmenwechsel von der reinen Lärmbekämpfung zu einer Stadtakustik, welche darauf zielt, die Geräuschkulissen der Stadt bewusst und gemeinsam zu gestalten. Die Akzeptanz von Lärm wird umso grösser sein und die gesundheitlichen Schäden umso kleiner, je besser die allgemeine Lebensqualität der gesamten Stadtbevölkerung ist, nicht nur privilegierter Gruppen.

Was braucht es dazu? Erstens Wohnungen, Aussenräume und öffentliche Freiräume, die Ruhe bieten.  Zweitens müssen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien betroffener Menschen bei der Festlegung der Lärmschutzvorschriften einbezogen werden. Und drittens muss die Bevölkerung die Möglichkeit haben, die Quartier- und Stadtentwicklung mitzugestalten. Die Menschen sollen sich nicht nur die eigenen vier Wände, sondern auch umliegende Sozialräume aneignen und sich in diesen zu Hause fühlen.