Schweizer Spielplätze: Hindernisfrei heisst nicht inklusiv
Im Projekt «Spielplatz: Ort der Begegnung für alle?» untersuchten Forscherinnen des Instituts für Ergotherapie die Erfahrungen von Kindern auf Spielplätzen, die sowohl für Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen konzipiert sind.
Auch wenn Spielplätze hindernisfrei gestaltet sind, heisst das nicht per se, dass sie auch inklusiv sind, so die wichtigste Erkenntnis der Studie unter der Leitung von Christina Schulze. Dabei ist Spielen für Kinder zentral. Es fördert nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre mentale, psychische und soziale Entwicklung. Draussen spielen Kinder am häufigsten auf Spielplätzen. Allerdings sind die meisten Spielplätze in der Schweiz nur auf die Bedürfnisse von Kindern ausgerichtet, die körperlich und kognitiv gesund sind. Nicht so die rund 40 Spielplätze in der Schweiz, die mit Unterstützung der Stiftung «Denk an mich» gebaut wurden. Sie sind hindernisfrei und sollen Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsame Lernerfahrungen ermöglichen.
Sechs dieser speziellen Spielplätze standen im Fokus der Studie «Spielplatz: Ort der Begegnung für alle?». Christina Schulze und Ines Wenger vom ZHAW-Institut für Ergotherapie beurteilten diese anhand einer Checkliste, befragten Kinder zu ihren Nutzungserfahrungen und beobachteten deren Spiel. Knapp die Hälfte der befragten Kinder hatten eine körperliche und/oder kognitive Beeinträchtigung.
Erwachsene unterschätzen Spielfähigkeiten von Kindern
Eine Feststellung, die die Forscherinnen dabei machten, war, dass die Wahrnehmung der Erwachsenen bezüglich der Aktivitäten der Kinder nicht zwingend mit derjenigen der Kinder übereinstimmt. So sprachen etwa auch Kinder mit einer körperlichen Behinderung davon, dass sie klettern, indem sie sich zum Beispiel mit den Armen an einem Spielgerät hochziehen. Die Ergebnisse zeigten zudem, dass sich alle Kinder in der Lage fühlten, auf dem Spielplatz verschiedene Aktivitäten auszuüben. Hindernisfreie Spielplätze können demzufolge das Selbstbewusstsein aller Kinder fördern.
Kaum Austausch zwischen den Kindern
Weniger positiv war die Beobachtung, dass es auf den sechs Spielplätzen kaum zu sozialen Interaktionen zwischen Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen kam. Beide Gruppen an Kindern schienen sich – basierend auf ihren Fähigkeiten – von den andern abzugrenzen. Dies äusserte sich auch in ihren Kommentaren. So sagte zum Beispiel ein Elfjähriger mit einer körperlichen Behinderung: «Ich will nicht Fussball spielen mit den Fussgängern. Denn diese sind schneller als die Kinder im Rollstuhl». Gleichzeitig äusserten Kinder mit Beeinträchtigungen den Wunsch, mit den andern Kindern Freundschaften zu schliessen. Allerdings schienen ihnen die Strategien zu fehlen, dies auch umzusetzen. Eine Ursache dafür könnte die Tatsache sein, dass sich die befragten Kinder kaum kannten. Dies, weil sie etwa auf unterschiedliche Schulen gehen.
Kleine Expertinnen und Experten
Eine weitere Erkenntnis war, dass Kinder mit Beeinträchtigungen sehr bewusst ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, aber auch diejenigen von Kindern mit anderen Einschränkungen. Dabei verwiesen sie in den Interviews teilweise auf Kleinigkeiten, die die Nutzbarkeit des Spielplatzes für sie und andere Kinder bedeutend beeinflussen. Dazu gehören beispielsweise Handläufe oder breitere Ein- und Ausstiege bei Rutschen. «Dieser ‹inklusive Blick› von Kindern mit Beeinträchtigungen sollte unbedingt bei der Planung und Gestaltung hindernisfreier Spielplätze miteinbezogen werden», sagt Christina Schulze.
Erkenntnisse für Fachleute
Mit Blick auf die Ergotherapie heben die Autorinnen zudem hervor, dass das Spielverhalten von Kindern vermehrt auch draussen und im Kontext ihres sozialen Umfelds beurteilt werden sollte, anstatt isoliert in der Praxis. Weiter könnten sich Ergotherapeutinnen und -therapeuten mit ihrer Fachkenntnis auf politischer und kommunaler Ebene aktiv für die Verbesserung von Spielplätzen und damit für die Rechte ihrer Klientinnen und Klienten einsetzen.
Die hier zusammengefassten Resultate erschienen im Artikel «Children’s perception of playing on inclusive playgrounds: A qualitative study» im Scandinavian Journal of Occupational Therapy. Noch ausstehend sind hingegen die Resultate des zweiten Teils der Studie «Spielplatz: Ort der Begegnung für alle?». Dabei befragten die ZHAW-Forscherinnen Fachleute, die sich mit der Gestaltung von Spielplätzen beschäftigen. Diese Ergebnisse der Fokusgruppen werden im Laufe von 2021 publiziert.
- Zur Projektwebseite «Spielplatz: Ort der Begegnung für alle?»
- Artikel «Children’s perception of playing on inclusive playgrounds: A qualitative study»Scandinavian Journal of Occupational Therapy, 2020
Kontakt
Prof. Dr. Christina Schulze, Projektleiterin, Dozentin Forschungsstelle Ergotherapie, christina.schulze@zhaw.ch, +41 (0) 58 934 63 83