So klappt es mit den Vorsätzen für das neue Jahr
Frank Wieber forscht zu Verhaltensänderungen am Departement Gesundheit. Uns verrät er, wie das mit den Neujahrsvorsätzen besser klappt.
Gute Vorsätze haben Ende Jahr Hochkonjunktur. Weshalb haben wir zum Jahreswechsel das dringende Bedürfnis, uns zu optimieren?
Frank Wieber: Das ist so in unserer Gesellschaft verankert, dass man Ende Jahr zurück- und eben auch vorausschaut. Eigentlich mögen wir Menschen dieses Reflektieren gar nicht besonders, weil man dabei auch mit Dingen konfrontiert wird, die nicht so gut gelaufen sind. Aber man wird dadurch eben auch dazu angestupst, zu sich selbst zu schauen.
Wird denn wirklich reflektiert? Ich habe oft das Gefühl, die Leute nehmen sich einfach irgendetwas vor, weil man das so macht. Die Vorsätze sind dann immer dieselben: Mehr Sport, gesünder essen, weniger Alkohol trinken.
Man kann natürlich sehr unterschiedlich an die Sache herangehen. Tatsächlich überlegen sich viele Leute erst kurz vor Mitternacht einen Vorsatz und wählen irgendein beliebiges Ziel, meist aus den Bereichen Gesundheit, Finanzen, Beziehung, Soziales.
Oft nimmt man sich vor, etwas nicht mehr oder weniger zu tun. Wie ich gelesen habe, sind solche Verbote schwieriger umzusetzen, als wenn man etwas neu angehen will.
Das ist so, es gibt übrigens auch eine Schweizer Studie zum Thema von Bettina Höchli. Unser Unterbewusstsein kann nicht gut mit Verneinungen umgehen, deshalb ist es einfacher, etwas Positives anzustreben, als etwas Negatives zu vermeiden. Hier kann es helfen, sich schon im Voraus neue Verhaltensweisen zu überlegen für herausfordernde Situationen. Das kennen wir auch aus der Alkoholtherapie: Da bereitet man sich fertige Sätze vor, die man anwenden kann, wenn einem zum Beispiel jemand ein Glas Wein anbietet. So hat man die richtige Reaktion abrufbereit und kommt nicht ins Überlegen.
Es hilft also, sich die Gründe für ein mögliches Scheitern vor Augen zu führen und nicht allzu optimistisch an die Sache heranzugehen?
Optimismus ist schon gut, sich die Veränderung wirklich zuzutrauen vor allem. Denn wenn ich es mir zutraue, kann ich besser mit Hindernissen umgehen. Aber man sollte realistisch bleiben. Oft macht man sich die Vorsätze während der Ferien Ende Jahr. Man ist entspannt und denkt, das Vorhaben mit dem Fitnessstudio werde problemlos klappen. Wird der Alltag dann wieder stressiger, funktioniert es plötzlich nicht mehr. Man muss also ein bisschen mehr Gedankenarbeit investieren, damit man einen Vorsatz findet, der zu einem passt.
Worauf sollte man besonders achten?
Das Zusammenspiel zwischen meiner Umgebung und mir ist wichtig. Meist denken wir, wenn man etwas nur genügend fest will, dann schafft man es auch. Diejenigen Leute, die besonders erfolgreich darin sind, ihre Ziele zu erreichen, setzen ihre Willensenergie interessanterweise aber nicht häufig ein. Es gelingt ihnen nämlich, Situationen zu vermeiden, in denen sie diese bräuchten. Analog dazu ist die Königsdisziplin des Stressmanagement das Vermeiden von Stress, nicht das Aushalten desselben. Man sollte sich also überlegen: Wie kann ich meine Umwelt so gestalten, dass sie mich bei meinem Vorsatz unterstützt? Damit man gar nicht erst gegen Widerstände arbeiten muss. Und dann sollte man versuchen, kleine Gewohnheiten zu etablieren und sich so über das Handeln in eine neue Identität zu bewegen.
Kannst du das an einem Beispiel ausführen?
Wenn man sich gesünder ernähren will, sollte man sich beispielsweise überlegen, welche Möglichkeiten man in der Mittagspause hat: Gibt es ein gesundes, günstiges Angebot in der Nähe des Büros? Fehlt das, dann ist das eine Hürde für mich. Vielleicht kann ich mir dann vornehmen, etwas von zu Hause mitzubringen. Das kann anfangs nur einmal pro Woche sein, jede kleine Handlung in die richtige Richtung hilft.
«Wie kann ich meine Umwelt so gestalten, dass sie mich bei meinem Vorsatz unterstützt?»
Frank Wieber, Stv Leiter Forschung am Institut für Public Health
Also Schritt für Schritt vorwärts, anstatt das Ziel sofort erreichen zu wollen.
Genau. Deshalb hilft es auch, sich zeitliche Limits zu setzen, wenn man mit Joggen anfangen will: Man geht anfangs nur zwei Minuten laufen, dafür jeden Tag. So etabliert man die neue Gewohnheit und sobald man an den Punkt kommt, an dem man automatisch laufen geht, kann man ausbauen. Was ebenfalls hilft ist, die neue Verhaltensweise sichtbar zu machen.
Das bedeutet?
Wer mehr joggen gehen will, sollte die Laufschuhe im Flur gut sichtbar aufstellen oder das Lauf-Outfit schon mit zur Arbeit nehmen, um nach Feierabend gleich loszulaufen. Zu dem Thema kann ich übrigens das Buch «Atomic Habits» von James Clear wärmstens empfehlen. Natürlich sollte man die neue Gewohnheit auch möglichst attraktiv gestalten. Dabei können Kopplungen helfen: Wer Laufen etwas langweilig findet, aber gerne Podcasts hört, kann beides kombinieren. Oder man nimmt sich vor, nur Netflix zu schauen, während man auf dem Laufband ist.
Du kennst alle Tipps und Tricks. Wie erfolgreich bist du selbst mit Verhaltensänderungen?
Ich bin nur bedingt ein gutes Rollenmodell. (lacht) Aber ich versuche, viel mit Gewohnheiten zu arbeiten und schaue jeweils, wo ich diese im Alltag koppeln kann. Die Zahnputzroutine zum Beispiel ist ein idealer, weil stabiler Zeitpunkt. Ich bin vor Kurzem fünfzig geworden und in dem Alter sind Kraftübungen wichtig, deshalb versuche ich neuerdings, jeweils ein paar Crunches oder Sit-ups ans Zähneputzen anzuhängen. Das gelingt mal besser, mal schlechter.
Spannend, dass du das Zähneputzen erwähnst: Ich habe früher meinen Yogaschülerinnen und -schülern jeweils gesagt, sie sollen auf einem Bein Zähne putzen, um die Balance zu üben. Da steht man ja sowieso ein paar Minuten herum und kann das gut kombinieren.
Solche Balance-Übungen mache ich oft, wenn ich einen Einsatz als ehrenamtlicher Kampfrichter im Kinderschwimmen habe. Da steht man am Beckenrand und hat auch nicht so viel zu tun.
Wie lautet dein persönlicher Vorsatz fürs 2025?
Meinen Nein-Muskel zu stärken. Mein konkreter Plan dafür ist, dass ich mir bei jeder Anfrage einen kurzen Moment Zeit nehme, um meine Ressourcen realistisch zu prüfen, bevor ich aus Begeisterung sofort zusage.
Was, wenn das Vorhaben misslingt?
Dann darf man nicht zu streng mit sich selbst sein. Es hilft, sich zu fragen: Was würde ich meinem besten Freund sagen, wenn er gescheitert wäre? Vermutlich fällt die Antwort dann gnädiger aus. Ich plädiere generell dafür, vermehrt die Grundhaltung des «schöner Scheiterns» einzunehmen: Vielleicht klappt es nicht beim ersten Anlauf, aber wir lernen jedes Mal etwas dazu und fallen deshalb nicht zurück auf Null, sondern tasten uns immer weiter vor.
Bis es irgendwann ganz klappt.
Und selbst wenn nicht: Ganz grundsätzlich finde ich es schon positiv, wenn man sich überhaupt mit dem Thema Veränderung auseinandersetzt; einmal einen Schritt zurück macht und über sein momentanes Leben reflektiert. Vielleicht kommt man so auch den eigenen Erwartungen, die bisher unausgesprochen waren, etwas besser auf die Spur.
5 Tipps für erfolgreiche Vorsätze
- Nicht zu viel auf einmal wollen: «Sich schrittweise vorzutasten ist ein vielversprechender Weg», sagt Wieber. Also anstatt gleich von Beginn weg eine Stunde laufen zu gehen, erst einmal nur mit wenigen Minuten anfangen und danach ausbauen. «Zu langsam sollte man aber auch nicht vorwärts machen, sonst hat man das Gefühl, man komme nicht voran.»
- Mittelschwere Aufgaben setzen: Setzt man sich sehr herausfordernde Ziele, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man diese nicht erreicht. Sind die Ziele zu einfach, schafft man es zwar, entwickelt sich auf dem Weg dahin aber nicht weiter. Ideal sind deshalb Vorsätze, die einen ein bisschen herausfordern, aber machbar sind.
- Lebensübergänge nutzen: «Wenn Paare ein Baby bekommen, sind sie hochmotiviert für Veränderungen wie einen Rauchstopp», sagt Wieber. Ein guter Moment, sein Verhalten zu überdenken. Auch Umzüge sind laut dem Experten ein guter Zeitpunkt für neue Vorsätze, «weil dann die ganzen Dinge, bei denen ich auf Autopilot funktioniere, wegfallen.» Zeigt man Menschen nach einem Umzug nochmals, wie man richtig recycelt, ist die Chance doppelt so hoch wie sonst, dass sie das Gelernte zukünftig anwenden.
- Dankbarkeitstagebuch führen: Das Reflektieren regelmässig in den Alltag einzubauen tut gut und kann helfen, die richtigen Vorsätze auszuwählen. Eine Option ist, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen: Dazu notiert man sich jeden Abend, wofür man heute dankbar ist. Das Nachdenken über das eigene Leben und der Fokus aufs Positive steigern ganz direkt das Wohlbefinden.
- Scheitern akzeptieren: Klappt es nicht mit einem Vorsatz, sollte man nicht zu streng mit sich sein. «Nimm dich für einen Moment aus der Situation heraus und überlege dir, wie du das Scheitern beurteilen würdest, wenn es jemand Anderem passiert wäre. Dadurch kannst du das Ganze neutraler bewerten.»