Das krankheitsverursachende Protein mit den eigenen Waffen schlagen
Eines der weltweit renommiertesten chemischen Fachjournale, Angewandte Chemie, hat für seine aktuelle Ausgabe eine medizinalchemische Studie der ZHAW als Titel-Story ausgewählt und als «hot paper» ausgezeichnet. Inhalt der Studie ist das de novo Design von zyklischen Peptiden zur Inhibierung von therapeutisch relevanten Proteinasen.
Die Arbeit entstand unter der Leitung von Prof. Dr. Rainer Riedl von der Fachstelle Pharmazeutische Wirkstoffforschung und Arzneimittelentwicklung am Institut für Chemie und Biotechnologie ICBT zusammen mit der ZHAW-Fachstelle Mikrobiologie und Molekularbiologie (Prof. Dr. Martin Sievers, ICBT) und dem Strukturbiologen PD Dr. Peer Mittl von der Universität Zürich.
Das krankheitsverursachende Protein stellt den Wirkstoff selbst her
Die Suche nach neuen Wirkstoffen ist ein zentraler Bestandteil der pharmazeutischen Forschung. Um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen, müssen mitunter Millionen von Molekülen getestet und optimiert werden. Vor allem die Leitstruktursuche zu Beginn eines Projektes ist gegenwärtig zeit- und ressourcenintensiv: Grosse Bibliotheken potentieller Leitstrukturen müssen in aufwendigen Verfahren nach aktiven Molekülen durchsucht werden, was zu den hohen Kosten der Medikamentenentwicklung beiträgt. Es wäre ein grosser Vorteil, wenn sich ein therapeutisch relevantes Protein, das für die Entstehung einer Krankheit verantwortlich ist, dazu nutzen liesse, selbst einen Wirkstoff gegen sich herzustellen, idealerweise auch noch aus den Bausteinen, aus denen es selbst aufgebaut ist. Einen solchen faszinierenden Vorgang haben die Forscher in ihrer Studie entdeckt und das dabei entstandene Produkt anschliessend für das de novo Design eines hochwirksamen Wirkstoffmoleküls genutzt.
Proteinasen im Fokus der Forschung
Das therapeutische Target Matrixmetalloproteinase-13, das für eine Vielzahl schwerwiegender Erkrankungen verantwortlich ist (Krebs, Entzündungserkrankungen etc.), steht seit geraumer Zeit im Fokus der Forschenden; denn obwohl die Relevanz dieser Proteinase für die Entstehung der Krankheiten eindeutig bewiesen ist, konnte bislang von der pharmazeutischen Industrie noch kein Medikament gegen dieses Zielprotein auf den Markt gebracht werden. Der Grund dafür sind Nebenwirkungen, an denen die bisher in den klinischen Studien eingesetzten künstlich hergestellten Wirkstoffe allesamt gescheitert sind. Der Ansatz der ZHAW-Forscher besteht deshalb darin, Wirkstoffe zu entwickeln, die sich von natürlichen Inhibitoren der Proteinasen ableiten.
Das Forscher-Team vom Institut für Chemie und Biotechnologie konnte dabei nun zum ersten Mal den partiellen Selbstabbau des therapeutisch relevanten Proteins mit Hilfe der Röntgenkristallographie nachweisen. Der dabei entdeckte Peptidligand, quasi von der Proteinase aus sich selbst herausgeschnitten, wurde anschliessend durch strukturbasiertes de novo Design in ein zyklisches Peptidomimetikum aus natürlichen Gewebeinhibitoren dieser Proteinasen umgewandelt. Dieser sehr potente Inhibitor ist membrandurchgängig und zeigt ein vielversprechendes Selektivitätsprofil gegenüber biologischen Zielstrukturen, die an der Entstehung von Krebs beteiligt sind. Dies macht ihn für weiterführende Studien sehr interessant.
Grosses Interesse an neuem Ansatz
Im Gegensatz zu herkömmlichen Screening-Ansätzen mit grossen Sammlungen synthetischer Moleküle haben die Forscher somit einen natürlichen Liganden entdeckt, der vom therapeutischen Zielprotein selbst generiert wurde. Dies stellt eine neue Strategie zur Beschleunigung der pharmazeutischen Wirkstoffforschung dar, weshalb die Studie vom renommierten Fachjournal Angewandte Chemie als Titelstory präsentiert und als «hot paper» ausgezeichnet wurde. Die Studie weckte bereits signifikantes Interesse in der Fachpresse. So berichtete die Online-Plattform ChemistryViews (von ChemPubSoc Europe, einer Organisation aus 16 europäischen chemischen Gesellschaften) über die Ergebnisse.
Weitere Informationen:
- Bericht ChemistryViews
- Artikel Angewandte Chemie
- F. M. Gall, D. Hohl, D. Frasson, T. Wermelinger, P. R. E. Mittl, M. Sievers, R. Riedl, Angew. Chem. Int. Ed. 2019, 58, 4051.
- Cover Angewandte Chemie
- F. M. Gall, D. Hohl, D. Frasson, T. Wermelinger, P. R. E. Mittl, M. Sievers, R. Riedl, Angew. Chem. Int. Ed. 2019, 58, 3653.
Downloads (© Fotos ZHAW Wädenswil)
- Medienmitteilung «Das krankheitsverursachende Protein mit den eigenen Waffen schlagen»(PDF 166,7 KB)
- Bild 1: ZHAW-Forscher Prof. Dr. Rainer Riedl, Leiter Fachstelle Pharmazeutische Wirkstoffforschung und Arzneimittelentwicklung
- Bild 2: Team der beteiligten ZHAW-Autoren: Hintere Reihe, von links: Flavio Gall (Medizinalchemie), Rainer Riedl (Medizinalchemie), Martin Sievers (Molekularbiologie). Vorne, von links: Tobias Wermelinger (Molekularbiologie), David Frasson (Molekularbiologie)
- Bild 3: Cover-Story; F. M. Gall, D. Hohl, D. Frasson, T. Wermelinger, P. R. E. Mittl, M. Sievers, R. Riedl, Angew. Chem. Int. Ed. 2019, 58, 3653
Fachkontakt Medien:
Prof. Dr. Rainer Riedl, Leiter Fachstelle Pharmazeutische Wirkstoffforschung und Arzneimittelentwicklung, Institut für Chemie und Biotechnologie, ZHAW-Departement Life Sciences und Facility Management, Wädenswil. 058 934 56 18, rainer.riedl@zhaw.ch
Medienstelle ZHAW/Wädenswil:
Cornelia Sidler, Media Relations Departement Life Sciences und Facility Management, ZHAW/Wädenswil, 058 934 53 66, cornelia.sidler@zhaw.ch