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«Nach dem Master wollte ich konzeptionell arbeiten»

Sie war schon Flugbegleiterin, Berufsbeiständin und Schulsozialarbeiterin. Jetzt prüft Luzia Baumann Institutionen für Menschen mit Behinderung.

Luzia Baumann, Alumni der ZHAW Soziale Arbeit.
«Ich merkte, dass ich näher am Menschen arbeiten wollte»: Luzia Baumann über ihre erste Studienwahl Jus. (Foto: Noëlle Guidon)

Von Mirko Plüss  

Olten war ein Kompromiss. Luzia Baumann kommt eigentlich aus Zürich, ihr Mann aus Thun. Man traf sich in der Mitte und zog vor fünf Jahren gemeinsam in die Aare-Stadt. Nun ist Olten eine Heimat geworden. Beim Gespräch im Café schwärmt die 31-Jährige vom kulturellen Angebot, von Konzerten und Theatern, vom Lebensgefühl zwischen dem Fluss und den waldigen Jura-Hügeln.  

Neues wagen und dafür belohnt werden – wie ein Leitsatz zieht sich dies auch durch Baumanns Berufs- und Bildungskarriere. Diese verlief nicht geradlinig, dafür umso interessanter. Nach der Matura zog es sie erst einmal in die weite Welt, zwei Jahre lang war sie Flugbegleiterin. Danach musste eine Entscheidung her: Soziale Arbeit oder Jus studieren? Baumann entschied sich für Letzteres, brach das Studium jedoch nach drei Semestern wieder ab. Dennoch sei der Kurzaufenthalt an der Universität Zürich kein Fehler gewesen: «Inhaltlich interessierten mich die Fächer sehr, insbesondere die rechtsethischen Fragestellungen», sagt Baumann heute. «Aber ich merkte, dass ich näher am Menschen arbeiten wollte.» 

Kein Tag wie der andere

Also doch Soziale Arbeit. An der ZHAW begann Baumann berufsbegleitend ihren Bachelor und war daneben in der kinderpsychiatrischen Therapiestation Ennetbaden als Sozialpädagogin in Ausbildung tätig. Nach Abschluss der Praxismodule arbeitete sie als Berufsbeiständin im Kindes- und Erwachsenenschutz bei den Sozialen Diensten Oftringen. «Beiständin zu sein, inspirierte mich, doch nach und nach erhielt ich immer mehr Dossiers», sagt Baumann. «Sich auf die Klient:innen wirklich einzulassen, war für mich nicht mehr möglich.»  

Deshalb wechselte sie in die Schulsozialarbeit, war zuständig für zwei Schulhäuser in den Solothurner Gemeinden Niedergösgen und Gretzenbach. «Was mir sehr gefiel, war der freiwillige Kontext: Die Kinder kamen zu mir, solange sie es wollten», sagt sie. «Und sie gingen wieder, wenn sie das Gefühl hatten, ihr Problem sei gelöst oder wenn ihnen das Gespräch nicht passte.» Sie war für bis zu 600 Kinder zuständig. Kein Tag sei wie der andere gewesen: «Im selben Gespräch konnte die Thematik von einem Streit mit einer Freundin bis hin zu häuslicher Gewalt reichen.»  

Diskussionen auf Augenhöhe

Bald war für Luzia Baumann aber klar, dass es neben dem Job auch akademisch nochmals weitergehen muss. Sie immatrikulierte sich wieder an der ZHAW Soziale Arbeit. Diesen Frühling schloss sie nun den Master ab. «Es war eine tolle Erfahrung», fasst Baumann zusammen. «Man lernt in kleinen Gruppen, begegnet den Dozierenden während der Fachdiskussionen auf Augenhöhe und profitiert davon, dass alle bereits Praxiserfahrung gesammelt haben.»  

Der Master wiederum gab den Antrieb zu einer neuerlichen beruflichen Veränderung: «Ich hatte an der Hochschule viel Erfahrung auf der konzeptionellen Ebene gesammelt, doch in der Schulsozialarbeit konnte ich das nur wenig anwenden.» Weil sie zudem keine Aufstiegsmöglichkeiten sah und ihr der Masterabschluss lohntechnisch nicht anerkannt wurde, bewarb sie sich kurzentschlossen beim Sozialamt des Kantons Zürich.  

Einmal mehr ging der Wunsch nach Veränderung in Erfüllung. Im Sommer startete Baumann in der Abteilung Soziale Angebote im achtköpfigen Team für Fach- und Qualitätsfragen. Eine ihrer Aufgaben: Institutionen für Menschen mit Behinderung auf ihre Qualität hin auditieren. «Die Audits finden regelmässig statt. Im Vorfeld analysiert man die Konzepte der Heime und Institutionen und führt vor Ort zahlreiche Gespräche mit Personal und Bewohnenden », erklärt sie. In ihrer neuen Rolle nimmt sie auch Beschwerden entgegen. Diese kommen unter anderem von Bewohnenden, Angehörigen oder ehemaligen Mitarbeitenden der Heime. Im Gegensatz zu ihren früheren Jobs stehe der Klient:innenkontakt nicht im Vordergrund. «Aber ich finde diese neue, konzeptionelle Ebene sehr spannend.» 

Auch in der Politik tätig

Wer Neues wagt, wird belohnt – dies bestätigte sich auch in einem anderen Tätigkeitsfeld von Luzia Baumann. Ein Nachbar überredete sie vor drei Jahren, sich auf die SP-Liste für die Oltner Kommunalwahlen setzen zu lassen. Im März ist Baumann nun ins Stadtparlament nachgerückt. Innerhalb der Fraktion pflegt sie die sozialen Themen.  

Und sie bringt ihre Masterarbeit auch in die Oltner Politik ein. Darin hatte Baumann untersucht, wie der Moment der Einteilung in die Sek B die gesellschaftliche Selbst-Positionierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen beeinflusst. Ob konkret die Chancengleichheit unter Schüler:innen leidet, wenn sie Ende der Primarstufe bereits in verschiedene Stufen eingeteilt werden. Im Kanton Solothurn sind dies die drei Sekundarstufen B (Basisansprüche), E (erweiterte Ansprüche) und P (Progymnasium). Dazu führte Baumann biografische Interviews mit ehemaligen Schüler:innen. Tatsächlich zeigten die Interviews und die untersuchten Quellen, dass die Selektion Ungleichheitsstrukturen reproduziert und man den Kindern viele Chancen wegnimmt.  

Nun plant sie, in Olten einen Pilotversuch zu starten, bei dem die Oberstufenschüler:innen nicht mehr getrennt, sondern durchmischt unterrichtet werden. Luzia Baumanns neuestes Ziel: politische Mehrheiten finden.