«Wichtige Beiträge zur gesellschaftlichen Integration»
Wie kann man alternde Arbeitnehmende fördern, durch Architektur Mieterinnen und Mieter vor Lärm schützen oder den Zugang zu Gesundheitssystemen diskriminierungsfrei gestalten? Die Themen und Lösungsansätze der Projekte im Forschungsschwerpunkt «gesellschaftliche Integrationen» waren vielfältig. Auch wenn die interne Förderung demnächst ausläuft, soll die Forschung weiterlaufen. Über Erfolge, Reviews, Zukunft und eine geplante Abschlusstagung spricht das Leitungstrio Monika Götzö, Christiane Hohenstein, Agnes von Wyl im Interview.
Welche Projekte oder Momente aus den vier letzten Jahren sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Monika Götzö:Jedes Projekt ist auf seine Weise spannend. Die längerfristigen mit grösserem Finanzvolumen haben teilweise Grundlagen bearbeitet, die für weitere Projekte interessant sind. Beispielsweise arbeitete Astrid Staufer vom Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen mit Anke Kaschlik und Peter Streckeisen vom Departement Soziale Arbeit zu grundlegenden Fragestellungen der Lärmbelastung in städtischen Wohnungen mit dem Ziel, neue, innovative architektonische Lösungen und andere gesetzliche Grundlagen darzulegen. Stefan Kurath und sein Team - ebenfalls vom Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen - erarbeiteten methodisch innovative Beiträge, in dem sie die Aneignung von öffentlichen Räumen mit Hilfe von digitalen Medien nachzeichneten. Im Projekt von Simon Wieser und seinem Team von der School of Management and Law, wurden Hindernisse im Zugang zu medizinischer Versorgung systematisch aufgearbeitet, um Schlussfolgerungen für einen diskriminierungsfreien Zugang zu erarbeiten.
Agnes von Wyl: Spezielle Momente gab es viele. Herausheben möchte ich die Veranstaltungen mit der Philosophin und Journalistin Barbara Bleisch und Stephan Sigrist vom Schweizer Think Tank W.I.R.E. Barbara Bleisch wurde zum Kick-Off des ersten Calls eingeladen und hat mit einem thesenartigen Überblick zwölf Aspekte zur gesellschaftlichen Integration erläutert, die für viele Projekte spannende Anregungen bereithielten. Stephan Sigrist war als Referent zu einem Kolloquium zum Themenbereich „Arbeit“ eingeladen worden und dekonstruierte gewisse Erwartungen an die digitale Transformation in der Arbeitswelt, indem er sie einem Realitätscheck unterzog und eigene Thesen beisteuerte, was ebenfalls zu einer anregenden Diskussion geführt hat.
Die begutachteten Projekte sind allesamt als wichtige Beträge in den eigenen Disziplinen, aber auch für Fragen gesellschaftlicher Integration bewertet worden.
Christiane Hohenstein: Besondere Momente waren auch die Midtermreviews für die Projekte mit mehr als 100 000 Franken Förderung. Nach der halben Projektlaufzeit wurden diese einer Review mit externen Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Fachgebieten unterzogen. Diese diente einerseits der Überprüfung der Projektfortschritte, andererseits ergaben sich aus dem vertieften Austausch neue Impulse, die die Projekte in ihrer weiteren Arbeit bestärkten. Die begutachteten Projekte sind allesamt als wichtige Beiträge in den eigenen Disziplinen, aber auch für Fragen gesellschaftlicher Integration bewertet worden.
Wie beurteilen Sie den Erfolg des Schwerpunktes?
Götzö: Ich würde von mehreren Erfolgen sprechen. Der Schwerpunkt verfolgte differenzierte Ziele, und ich denke, dass wir sie gut erreicht haben. Zum einen konnten die Projektleitenden und -mitarbeitenden durch den Austausch in den Kolloquien Kolleginnen und Kollegen aus anderen Departementen kennenlernen, ihre Arbeitsweise und ihre Herangehensweisen sowie ihre disziplinären Perspektiven in konkreten Projekten mitverfolgen. Daraus ergaben sich weiterführende Kooperationen. Erwähnen möchte ich hier den gemeinsamen Antrag von Beate Schwarz vom Departement Angewandte Psychologie und Sylvie Johner-Kobi vom Departement Soziale Arbeit in einem europäischen Netzwerk mit mehreren beteiligten Ländern bei der Volkswagenstiftung. Damit ist auch gleich ein anderes Ziel des Schwerpunkts erfüllt, nämlich dass die geförderten Projekte ihre Arbeit, ihre Erkenntnisse und ihre Thematiken in Anschlussprojekten weiterführen, und dies möglichst in EU-Projekten.
Gibt es da weitere Beispiele?
Götzö: Anschlussprojekte haben bereits einige Teams erhalten, so konnten Liana Konstantinidou und ihr Team vom Departement Angewandte Linguistik in einem Projekt der Internationalen Bodensee Hochschule die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Lese- und Schreibförderung in der beruflichen Bildung trinational vertiefen. Zudem entwickeln sie derzeit mit einer DIZH-Fellowship die Möglichkeiten der digitalen, korpusbasierten Literacy-Förderung weiter. Andere Erfolge sind die Anschlussförderung von Isabel Baumann vom Departement Gesundheit durch ein SNF-Ambizione-Projekt sowie die zahlreichen peer-reviewten Publikationen auf nationalem und internationalem Niveau, die aus den Projekten bereits hervorgegangen oder noch am Entstehen sind.
Um eine breitere Öffentlichkeit über den Schwerpunkt zur gesellschaftlichen Integration zu informieren und die Diskurse weiter zu treiben, planen wir im September eine Abschlusstagung.
Konnten gesellschaftliche Akteurinnen in die Forschungsprojekte einbezogen werden?
Hohenstein: Die überwiegende Mehrheit der Projekte hatte auch das Ziel, Lösungen zu erarbeiten, die umgesetzt werden können. So waren in einem Projekt von Petra Hagen Hodgson vom Departement Life Sciences und Facility Management zwei Gemeinden und mehrere Partner involviert. Dabei wurden die grünen Aussenbereiche von Siedlungen neu so gestaltet, dass sie ein integratives Miteinander der diversifizierten Anwohnerschaft erleichtern. Ein Projekt von Evelyne Lobsiger und Vicente Carabias-Hütter (School of Engineering) in Kooperation mit Anke Kaschlik (Departement Soziale Arbeit) zu partizipativen Nachhaltigkeitsprojekten schloss eine Wohnbaugenossenschaft und ein Projekt mit Asylbewerbenden mit ein. Im Projekt von Christina Siedler-Brand und Philipp Egli von der School of Management and Law ging es in enger Zusammenarbeit mit HR-Verantwortlichen um Möglichkeiten, die Jahre vor der Pensionierung neu zu gestalten, respektive ältere Arbeitnehmende weiter in einem Unternehmen zu beschäftigen.
Götzö: Um eine breitere Öffentlichkeit über den Schwerpunkt zur gesellschaftlichen Integration zu informieren und die Diskurse dazu fachlich, interdisziplinär und transformativ weiter zu treiben, planen wir zudem eine Abschlusstagung unter dem Titel «Flüchtige Zugehörigkeiten – Nachhaltige Teilhabe». Nachdem wir sie im letzten Jahr aufgrund der Pandemie absagen mussten, hoffen wir nun, dass wir die Tagung im September live durchführen können. Der Anlass ist öffentlich, steht interessierten Projektpartnerinnen und -partnern, Fachleuten und Interessierten sowie Studierenden offen. Damit möchten wir einen direkten Beitrag zur Wissensvermittlung und Vernetzung mit gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren leisten.
Ist die Vermittlung der gewonnenen neuen Erkenntnisse gelungen?
von Wyl: Praktisch alle Projektteams haben ihre Erkenntnisse in die Lehre einfliessen lassen, Studierendenprojekte oder Seminare entwickelt, um die Ergebnisse weiter zu bearbeiten und zu vertiefen. Ebenso haben die meisten Teams ihre Ergebnisse an Tagungen vorgestellt oder haben selbst Tagungen zum Thema organisiert, wie zum Beispiel Ulla Kleinberger vom Departement Angewandte Linguistik zu Kommunikation im Gesundheitswesen oder Sylvie Johner-Kobi vom Departement Soziale Arbeit zur Transnationalität älterer Migrantinnen und Migranten. In der einen oder anderen Form haben alle Teams ihre Ergebnisse vermittelt, einerseits wurden sie innerhalb des Schwerpunkts in den Kolloquien vorgestellt und diskutiert, andererseits haben viele während der Projektbearbeitung oder nach Abschluss der Projektphase publiziert, Ergebnisse mit früheren Projekten verbunden und ausführlicher veröffentlicht.
Praktisch alle Projektteams haben ihre Erkenntnisse in die Lehre einfliessen lassen.
Nimmt die Öffentlichkeit die ZHAW als eine starke Organisation in der Forschung zur gesellschaftlichen Integration wahr?
Hohenstein: Die ZHAW hat bereits einen guten Ruf und hohen Bekanntheitsgrad, davon konnten die Projekte zur Gesellschaftlichen Integration einerseits bei ihrer Partnersuche profitieren. Andererseits zeigt es sich bei den Medienanfragen an Forscherinnen und Forscher sowie im Output an transformativen Beiträgen und Workshops, die eine breite, diverse Öffentlichkeit ansprechen, dass unsere Arbeit für gesellschaftliche Integration – je länger je mehr – immer sichtbarer wird.
Wie geht es konkret mit dem Forschungsbereich weiter?
Götzö: Die Förderung durch Rektoratsgelder läuft per Ende 2021 aus. Das Ziel dieser Förderung war, die Stärken von einzelnen Forschenden und ihren Teams zu erweitern, Forschungsergebnisse aus vorgängigen Projekten zu vertiefen und bisherige Erkenntnisse aus Vorläuferprojekten zusammenzuführen. Dies ist aus unserer Sicht gelungen. Ein geplanter Sammelband mit allen Projekten soll diese Stärken gebündelt sichtbar machen. Auch andere Publikationen sind vorgesehen. Die Projekte gehen in nationale und internationale Anschlussprojekte ein, oder es werden dafür Drittmittelfinanzierungen eingeworben oder sind bereits vorhanden. Die konkrete Situation wollen wir noch evaluieren. Die Forschenden werden weiterhin an Tagungen teilnehmen und publizieren. Fortgesetzt wird auch die interdepartementale Zusammenarbeit.
Und was ist Ihr Anliegen für die Weiterführung der Forschung zu gesellschaftlicher Integration?
Götzö: Was ich gerne zuerst an dieser Stelle anfügen möchte, ist die gute Zusammenarbeit innerhalb der ZHAW, wie wir sie mit den Stabstellen F&E und F&S, namentlich mit Manuel Bamert, Martin Jaekel und Andrea Leuch erlebten. Ein solches Netzwerk stellt eine Grundbedingung für einen reibungslosen Ablauf und Erfolg eines Forschungsschwerpunktes dar. Auf inhaltlicher Seite wünschen wir uns, dass an der ZHAW weiterhin regelmässige Kolloquien zu übergreifenden gesellschaftlichen Themenfeldern wie beispielsweise der Digitalisierung stattfinden würden, an denen aus allen Departementen aktuelle Projekte vorgestellt und diskutiert werden. Die Erkenntnisse aus dem Schwerpunkt Gesellschaftliche Integration könnten eingebracht werden, um den gesellschaftlichen Mehrwert sowie den Nutzen für einzelne Gruppen zu diskutieren, aber auch den Ausschluss von gesellschaftlichen Gruppen kritisch zu reflektieren und zu verhindern. Damit könnte das Wissen, das nun im Schwerpunkt erarbeitet wurde, an eine grössere und andere Zielgruppe weitervermittelt werden. Auf diese Weise könnten die beiden ZHAW Initiativen Digitalisierung und der Forschungsschwerpunkt Gesellschaftliche Integration stärker verbunden und weiterführend sowie innovativ gestärkt werden.
von Wyl: Wir denken, dass einzelne Projekte viel Potenzial haben für weiterführende Fragestellungen, gerade zum Komplex technologische Entwicklungen – gesellschaftliche Entwicklungen – gesellschaftlicher Mehrwert. Oder im Bereich Architektur in Bezug auf die Gestaltung von öffentlichen Räumen: hier gibt es viel Potenzial, wenn sie mit partizipativen Ansätzen im Sinne der Beteiligung von mehreren und diversen Bevölkerungsgruppen gestaltet werden. Daher würde es Sinn machen, wenn zum Beispiel die interdepartementale Zusammenarbeit und die innovative Verbindung von Teilthemen gefördert würden.
Forschungsschwerpunkt Gesellschaftliche Integration
2017 schuf die ZHAW mit der Gesellschaftlichen Integration einen Forschungsschwerpunkt, um einen Beitrag zur verstärkten Integration von allen Menschen in unserer Gesellschaft zu leisten und entsprechende soziale, organisatorische und technologische Innovationen voranzutreiben. Er umfasste vier zentrale Entwicklungsbereiche: Arbeit, Diversität, Lebensraum und soziale Sicherung. Insgesamt wurden 31 Projekte aus zwei Calls gefördert. Nun läuft die Förderung des Schwerpunkts auf Ende Jahr aus.