In der Schweiz bilden KMU mehr als 99% der Unternehmen. Rund 600 Tausend KMU beschäftigen 1,2 Mio. Menschen, erwirtschaften rund 60% des BIPs und tragen etwa zur Hälfte der Wertschöpfung bei. Die KMU sind damit das Rückgrat der Schweizer Realwirtschaft. Aufgrund der Nachwirkungen der Pandemiekrise, der hartnäckig hohen Inflation bei den wichtigsten Handelspartner:innen der Schweiz, den unterbrochenen Lieferketten und dem Krieg in der Ukraine haben Schweizer KMU mit Insolvenzen zu kämpfen. Die Zahl der Insolvenzen stieg bei den KMU im Jahr 2022 um 22% im Vergleich zum Vorjahr und lag bei rund fünftausend. Das gestiegene Insolvenzrisiko im Zusammenhang mit den Problemen des Bankensektors erschwert den Zugang zur Finanzierung. Die rechtzeitige Prognose der Zahlungsfähigkeit bzw. Kreditwürdigkeit von Schweizer KMU ist daher von zentraler Bedeutung für die Finanzierung der Realwirtschaft. Zur Vorhersage der Kreditwürdigkeit von KMU stehen den Marktbeteiligtenin der Regel statistische Modelle zur Verfügung, die sich auf Finanzkennzahlen von KMU stützen, die nur jährlich verfügbar sind und mit einer beträchtlichen Zeitverzögerung veröffentlicht werden. Bei unerwarteten realwirtschaftlichen Rückschlägen können sich die Umstände schnell ändern.

Das Projekt, welches das Institut für Financial Management zusammen mit der School of Engineering der ZHAW durchführt, konsolidiert Ansätze zum Makro-Nowcasting und zur Analyse des Insolvenzrisikos von KMU und wird in zwei Schritten durchgeführt. Um die KMU-Lage in der Schweiz zeitnah beurteilen zu können, werden im Rahmen des Projekts vor allem Benchmark-Indizes entwickelt. Diese Indizes werden als Kompass für die finanzielle Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Schweizer KMU und für die Überwachung der Risiken in diesem Marktsegment auf Makroebene dienen. Darüber hinaus integriert das Projekt realwirtschaftliche Risiken in die Vorhersage des Insolvenzrisikos von Schweizer KMU und entwickelt eine Methodik, die sowohl makroökonomische als auch Finanzmarktvariablen berücksichtigt. Die «low-frequency» makroökonomischen Variablen sowie die Finanzmarktvariablen werden mithilfe des Nowcasting-Modells in Echtzeit prognostiziert, d.h. es werden Prognosen für die nahe Zukunft erstellt. Schliesslich werden die neuen "Hochfrequenz"-Datensätze mit einer transparenten Methodik des maschinellen Lernens kombiniert.

Die Überwindung von Informationsasymmetrien ist von zentraler Bedeutung, da diese zu Risikoaversion beitragen können. Die Risikoaversion in Krisenzeiten führt dazu, dass Kreditgeber:innen ihre Kredite an KMU kürzen oder Eigenkapitalinvestor:innen ihre Investitionen reduzieren. Zu den grössten Herausforderungen für Kreditgeber:innen zählen unzureichende Finanzinformationen während Marktturbulenzen. Infolgedessen haben Schweizer KMU-Probleme beim Zugang zu Finanzmitteln, wenn sie einen erhöhten Finanzierungsbedarf haben. Diese Kombination führt zu einem erhöhten Insolvenzrisiko. Daher besteht die erste Anwendung der Nowcasting-Lösung darin, die Informationsasymmetrien in Bezug auf die finanzielle Lage der Schweizer KMU zu verringern, insbesondere in Krisenzeiten, und ihnen somit den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern.