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Gesundheit

Kinder fördern: eine interdisziplinäre Studie zum Umgang mit ADHS

Wie können und sollen Kinder mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen gefördert werden?

Ausgangslage

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hy­peraktivitätsstörung (ADHS) gilt heute als eine der häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. In der Schweiz deuten regionale Studien auf eine Zunahme pharmakologisch behandelter Kinder hin, was landesweit zu Sorgen unter PolitikerInnen, WissenschaftlerIn­nen und betroffenen Familien führt.

Vor diesem Hintergrund wurde untersucht, wie das Wohl betroffener Kinder gefördert werden kann. Konkret wurde den Fragen nachgegangen, warum Eltern sich für eine pharmakologische Behandlung ihrer Kinder entscheiden, wie in der Schweiz involvierte Fachpersonen zusammenarbeiten und wie sie die ADHS-Diagnose gesellschaftlich konstruieren.

Zielsetzung

Wie können und sollen Kinder mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen gefördert werden? Unter welchen Voraussetzungen entspricht die Diagnose und Therapie dem Kindeswohl? Das Forschungsprojekt untersucht verschiedene Faktoren, die zur ADHS-Diagnose und zu einer Verschreibungvon Medikamenten führen.

 

Methode und Vorgehen

Im Rahmen des Projekts wurden qualitative und quantitative Daten in der Deutschschweiz zwischen 2015 und 2017 erhoben und in mehreren Teilprojekten ausgewertet. Teilnehmende Eltern mit betroffenen Kindern im Alter von 6 – 14 Jahren und Fachpersonen (PädiaterInnen, Lehrpersonen, HeilpädagogInnen) wurden mit Hilfe von Fachverbänden (z. B. ELPOS) und dem Sozialpädiatrischen Zentrum des Kantonsspitals Winterthur rekrutiert.

Der qualitative Studienteil bestand aus teilstrukturierten Interviews mit Eltern (n=8) und Fachpersonen (n=10), der quantitative Teil aus zwei Online-Umfragen, eine mit Eltern (n=87, Rücklaufquote: 10%) und eine mit Fachpersonen (n= 348, Rücklaufquote: 4%). Die Interviews wurden transkribiert, anoymisiert und inhaltsanalytisch nach Gläser/Laudel (2004) ausgewertet. Die quantitative Auswertung erfolgte auf deskriptiver Ebene mit einfachen deskriptiv-statistischen Methoden sowie statistischen Tests (z. B. Gruppenvergleiche). Das gesamthafte Studiendesign richtete sich nach dem Prinzip eines „Triangulationsverfahrens“ (Creswell/Clark, 2007), wobei zur Beantwortung der Forschungfragen gezielt qualitative und quantitative Resultate berücksichtigt und ggf. kontrastiert wurden.

Ergebnisse der ADHS-Studie

Die elterliche Behandlungsentscheidung war durch langwierige Behandlungsgeschichten geprägt. Als wichtigster Grund für die Entscheidung für eine medikamentöse Behandlung ihrer Kinder nannten Eltern den Leidensdruck: Dieser äusserte sich in vielfältigen sozialen, psychischen und körperlichen Auffälligkeiten, manifestierte sich im schulischen Umfeld, weitete sich dann auf das familiäre System aus. Dieser Mechanismus wurde als «Spill-over-effect» bezeichnet und impliziert, dass Interventionen die Interaktion von Schule-Familie berücksichtigen müssen.

Fachpersonen wünschen sich eine vermehrte Zusammenarbeit der Akteure aus dem Umfeld des Kindes in «Round Tables». Ziele dieser Treffen seien Austausch von Information, Entstigmatisierung und Miteinbezug des Kindes; als Hindernisse wurden Zeitknappheit und der subjektive Charakter der Diagnose genannt. Ein diskurssoziologischer Vergleich der Analyse von Antwortnarrationen von Lehrpersonen/Heilpädagog/Innen und Pädiater/innen zeigt, inwiefern sich die Konstruktion von ADHS-Diagnosen im Spannungsfeld zwischen der (medizinischen) Pathologisierung und alltäglichen, schulischen Problemen äussert.

Fazit: Um das Wohl des Kindes zu fördern, muss ADHS als mehrere Faktoren berücksichtigendes, Akteure übergreifendes Phänomen verstanden werden. Im Triangulationsverfahren ausgewertete Daten lassen auf eine Erweiterung der Paradigmen schliessen, wonach zum herkömmlichen neuropsychologischen Modell, verstärkt das gesellschaftliche Umfeld betont werden muss.

Projektorganisation

Publikationen und Berichte

  • Hotz, Sandra, Neumann, Sascha, Robin, Dominik, Rüttimann, Dieter, Schöbi, Dominik, von Rhein, Michael, Walitza, Susanna, Wieber, Frank, Wimberger, Karin (2019): Kinder fördern. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit AD(H)S im Entscheidungsprozess. Institut für Familienforschung und -beratung, Universität Fribourg. 
  • F Wieber, S Hotz, K Albermann, J Dratva, M von Rhein, Diagnostics and treatment of ADHD in Switzerland: A physician perspective on practice and challenges, European Journal of Public Health, Volume 28, Issue suppl_4, November 2018, cky214.212.
  • Robin, Dominik, Rüesch, Peter (2018).Warum entscheiden sich Eltern für eine medikamentöse Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung ihrer Kinder? Empirische Forschungsergebnisse aus der Schweiz. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN), 02/2018, 152-166.
  • Robin, Dominik, Schaffert René (2017). Die gesellschaftliche Seite des Phänomens AD(H)S. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 23/11-12, 42-48.
  • Rüesch, P. (2016). Ritalin gegen ADHS: Fluch oder Segen? Fritz + Fränzi – Das Schweizer Elternmagazin, 11, 52-55.
  • Robin, D. (2016). Entscheiden sich heute wirklich immer mehr Eltern für Ritalin? Erkenntnisse aus der Forschung über die Verbreitung und den Umgang von Medikamenten zur Behandlung von ADHS. Zeitschrift von elpos Schweiz, 60, 18-22.
  • Robin, Dominik (2015): Kranke Kinder oder intolerante Gesellschaft? Fritz + Fränzi – Das Schweizer Elternmagazin, 10, 58-61.

Medienberichte