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Berührungsängste abbauen, etwas bewegen

Aufsuchende Arbeit im Sexmilieu, Quartierbegehung mit Senior:innen: Zwei Studentinnen des Bachelorstudiengangs Gesundheitsförderung und Prävention erzählen, was sie in ihrem Praktikum bewirken konnten – und wie sie dabei das Wissen aus dem Studium konkret angewendet haben.

Isla Victoria – aufsuchende Arbeit, Beratung und Sensibilisierung

Es ist eine Parallelwelt, in die Anne-Sophie Seger im vergangenen Herbst für mehrere Monate eingetaucht ist. Eine Welt, die in der Schweiz nach wie vor mit vielen Tabus behaftet ist und deren Geschäfte oft im Verborgenen stattfinden. «Das Praktikum hat meinen Horizont extrem erweitert», sagt die 29-Jährige zu ihrer Zeit bei Isla Victoria, eine niederschwellige Beratungsstelle für Sexarbeitende mit Standorten in Zürich und Winterthur. Die Idee davon, was Sexarbeit ist, sei stark durch Filme, Fernsehen oder das Internet geprägt. «Die Realität sieht anders aus und ist vielfältiger, als sie die Medien gemeinhin dargestellen.» Diese Vielfalt zeige sich etwa in den Untergruppen von Sexarbeitenden mit unterschiedlichen Hintergründen. Oder in den Gründen, aus denen sie die Arbeit machten. «Es ist zum Glück nicht alles so elend, wie man sich das vorstellt.»

Im Verlauf des sechsmonatigen Praktikums revidierte Anne-Sophie Seger ihre Meinung über das Sexgewerbe – und baute Berührungsängste ab. So war sie unter anderem in der aufsuchenden Arbeit tätig. An einem typischen Arbeitstag packte sie Säckchen mit Kondomen, Gleitgel und Info-Flyern ab, bereitete das mobile Kit für das Testen sexuell übertragbarer Krankheiten vor – und klapperte danach mit ihrer Betreuerin im ganzen Kanton Zürich Indoor-Sexbetriebe ab. «Von Tür zu Tür – wie eine Vertreterin», sagt sie und lacht. Bei den Besuchen beriet sie die Frauen bei sozialen oder medizinischen Anliegen oder überwies sie, wenn nötig, an das Ambulatorium Kanonengasse in Zürich oder ans Kantonsspital Winterthur (KSW). Das Spital bietet mit der «Discreet ID» Menschen ohne Krankenversicherung, beispielsweise Sans Papiers, eine vergünstigte Versorgung an. «Wenn eine Sexarbeiterin ohne Krankenversicherung medizinische Versorgung benötigte, habe ich sie an das Projekt vermittelt», erzählt Seger.

Neben dem direkten Kontakt mit den Sexarbeitenden half Anne-Sophie Seger bei Isla Victoria mit, Organisationen und Fachpersonen für die vulnerable Gruppe zu sensibilisieren. So bereitete sie etwa Vorträge vor Fachleuten aus der Psychiatrie oder dem Sicherheitssektor vor. «Vielen Ämtern und Organisationen ist nicht bewusst, dass sie in ihrem Bereich häufig mit Sexarbeitenden zu tun haben», sagt Seger.

Das im Bachelorstudium vermittelte Wissen sei für die Arbeit bei Isla Victoria sehr hilfreich gewesen. «Probleme in der Sexarbeit haben verschiedene Ursachen – es spielen politische und soziale Faktoren eine Rolle. Mit dem grossen Übersichtswissen aus dem Studium konnte ich die Zusammenhänge besser verstehen, breiter argumentieren und kreativere Lösungen suchen.» Ausserdem kenne sie als Gesundheitsförderin die wichtigsten Akteure im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung, wisse, wo sie Gelder beantragen und wie ein Projekt umsetzen könne.

Ihr Interesse an den Themen sexuelle Gesundheit und Sexarbeit erklärt Seger mit ihrer Zeit am KSW. Vor dem Bachelor Gesundheitsförderung und Prävention arbeitete sie als Fachfrau Gesundheit unter anderem drei Jahre auf dem gynäkologischen Notfall des KSW. «Dabei habe ich auch die Arbeit von Isla Victoria kennengelernt», sagt Seger. Mit Sexarbeitenden wird Anne-Sophie Seger auch künftig in Kontakt kommen: Bei Perspektive Thurgau, der Fachstelle für Gesundheitsförderung, Beratung und Prävention des Ostschweizer Kantons, arbeitet sie ab diesem Sommer im Bereich sexuelle Gesundheit.

Gesundheitsförderung Schaffhausen – Broschüre für betreuende Angehörige, Quartierbegehung mit Senior:innen

Eine junge und kleine Fachstelle, bei der noch vieles in Entwicklung ist und das Team voll Tatendrang: Das hat Sylvia Nussbaumer an einem Praktikum bei Gesundheitsförderung Schaffhausen gereizt. «Die kantonale Fachstelle gibt es erst seit 2021 – man kann hier deshalb noch viel mitgestalten und bewegen.» Auch der Bezug zu den kantonalen Aktionsprogrammen «Kinder und Jugend» sowie «Alter» und das Präventionsprogramm «Tabak und Nikotin» hätten ihr Interesse für das ausgeschriebene Praktikum geweckt. «Vor allem im Bereich Alter konnte ich meine Erfahrungen aus meinem früheren Beruf einsetzen», sagt Nussbaumer, die vor dem Studium in Gesundheitsförderung und Prävention als Pflegefachfrau gearbeitet hat.

Die 36-Jährige war insgesamt knapp ein Jahr als Praktikantin bei Gesundheitsförderung Schaffhausen tätig – von Juni bis Dezember 2023 mit einem Pensum von 60 Prozent, von Januar bis April 2024 mit einem 20-Prozent-Pensum. «So konnte ich einen ganzen Jahreszyklus auf der Fachstelle erleben und Projekte von Anfang bis Ende planen und durchführen.» Eins der Projekte, das sie während des Praktikums selbständig realisiert hat: eine Sensibilisierungs- und Info-Aktion zum Tag der betreuenden Angehörigen im Oktober 2023. «Die Idee war, betreuende Angehörige besser zu erreichen und ihnen Unterstützungsangebote aufzuzeigen.» Aus dieser Idee entstanden ist eine Broschüre mit Tipps zur Selbstsorge sowie Beratungs- und Anlaufstellen, die über Spitex-Organisationen im Kanton Schaffhausen an Angehörige abgegeben wurde.

Mitgewirkt hat Nussbaumer auch an einem eintägigen Austausch der Fachstelle und Vertreter:innen des kantonalen Gesundheitsamts zur chancengerechten Gesundheitsförderung und Versorgung. Mit Fokus auf Migrant:innen diskutieren die Teilnehmenden mögliches Verbesserungspotenzial, beispielsweise im Asylwesen oder an Sprachschulen. «Ich habe das Einstiegsreferat zum Thema gehalten, den Anlass protokolliert und die wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammengefasst.» Ein drittes Projekt, an dem Sylvia Nussbaumer während des Praktikums beteiligt war: eine Quartierbegehung mit Senior:innen im Rahmen des Programms «Altersfreundliche Gemeinden». «Bei der Begehung ging es darum, wie ein Quartier gestaltet werden kann, damit ältere Bewohner:innen möglichst gut und autonom leben können.»

Der starke Einbezug der Zielgruppe in dieses Projekt hat sie als besonders positiv in Erinnerung. «Die Partizipation der Senior:innen und die direkte Zusammenarbeit mit ihnen war schön und spannend.» Neben solchen Erfahrungen hat Nussbaumer von ihrer Zeit bei Gesundheitsförderung Schaffhausen auch wichtige Erkenntnisse mitgenommen. «Will man etwas bewegen, muss man sich über den Gesundheitsbereich hinaus vernetzen – bei der Arbeit mit Migrant:innen etwa mit Akteur:innen aus dem Sozial-, dem Schul- und dem Asylwesen.» Gesundheitsförderung und Prävention tangiere verschiedene Politikfelder. «Netzwerk-  und Überzeugungsarbeit sind deshalb sehr wichtig.» Dafür brauche es Zeit, Geduld und Verhandlungsgeschick – und Kenntnisse über die verschiedenen Player auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene. «Dass ich wichtige Akteur:innen bereits vom Studium her kannte, war sehr hilfreich», blickt Nussbaumer zurück. Nutzen konnte sie auch die im Bachelor vermittelten Skills im Projektmanagement und der öffentlichen Kommunikation. «Ich konnte das Wissen konkret anwenden, etwa wie man eine Zielgruppe erreicht oder wie Projekte nachhaltig wirken.»

In welche Richtung es für sie mit dem Bachelor in der Tasche weitergehe, sei noch unklar, sagt Nussbaumer. «Das Praktikum hat mir einen Überblick über die Möglichkeiten gegeben – und es sind viele!»  Besonders spannend finde sie aber die Gesundheitsförderung der Migrationsbevölkerung. In diesem Bereich verfasste sie mit zwei Kolleginnen auch die Bachelorarbeit. «Wir haben ein noch wenig erforschtes Thema aufgegriffen: die psychosoziale Gesundheit von jungen Frauen der zweiten Einwanderergeneration.»