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Gesundheit

Hebammen immer öfter mit Armut und sozialer Not konfrontiert

Freipraktizierende Hebammen haben es bei ihrer Arbeit zunehmend mit sozialer und wirtschaftlicher Not zu tun. Eine ZHAW-Studie zeigt, dass Hebammen diese Belastungen in den Familien sehr früh erkennen und diese unterstützen, obwohl diese Leistungen weder anerkannt noch vergütet werden.

Die Geburt eines Kindes ist in der Regel ein freudiges Ereignis. Aber nicht alle Familien können ihren Neugeborenen optimale Chancen bieten. Armut, traumatisierende Fluchterfahrungen, häusliche Gewalt, soziale Isolation oder psychische Erkrankungen machen eine zusätzliche Unterstützung erforderlich. Da nach der Entlassung aus dem Spital rund 80 Prozent der jungen Familien während zwei Monaten von freipraktizierenden Hebammen im häuslichen Umfeld betreut werden, erkennen diese Familien in schwierigen Verhältnissen sehr früh. Wie Hebammen soziale Belastungen erkennen, die Familien unterstützen und sich vernetzen, wenn die Lebensumstände der jungen Familien dies erforderlich machen, untersuchte eine Studie am Institut für Hebammen der ZHAW. Dazu wurden rund 400 freipraktizierenden Hebammen befragt, die im Jahr 2016 Wochenbettbetreuungen durchgeführt hatten. Das Nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut und der Verein Family Start Zürich unterstützten das Projekt.

Probleme früh erkennen

Die frühe Unterstützung der Familien ist die wichtigste Prävention, damit sich Kinder gesund entwickeln können und sich ihre Chancen verbessern. «Es ist wichtig, dass nicht nur medizinische, sondern auch soziale Risiken frühzeitig erkannt werden», sagt ZHAW-Studienleiterin Jessica Pehlke-Milde, die mit ihrer Kollegin Astrid Krahl das Projekt geleitet und durchgeführt hat. «Je früher die Unterstützung erfolgt, desto besser sind die Chancen auf eine ungestörte Entwicklung.» Rund um die Geburt seien die Eltern motiviert, alles für ihre Kinder zu tun. In dieser Phase nehmen sie Unterstützung an und verändern ihr Verhalten. «Diese Chance des frühen und vertrauensvollen Zugangs zu sozial benachteiligten Familien durch die Hebamme wird in der Schweiz viel zu wenig genutzt», bemängelt Pehlke-Milde. 

Zusatzarbeit ohne Vergütung

Die Hebammen sind zunehmend mit sozialer und wirtschaftlicher Not in den Familien konfrontiert. Als ein Beispiel berichtete eine Hebamme: «Die Wirksamkeit einer Stillberatung ist begrenzt, wenn der Kühlschrank leer ist und die stillende Mutter am Wochenende nichts zu essen hat.» Die ZHAW-Studie zeigt auf, dass die Versorgung der Familien und die damit verbundene Netzwerkarbeit mit hohem zeitlichem Aufwand für die Hebammen verbunden sind und eine hohe Flexibilität erfordert. Hebammen leisten rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche, Notfalleinsätze und sind stundenlang damit beschäftigt, Lösungen zu finden. Umso unverständlicher ist es deshalb für die ZHAW-Studienleiterinnen, dass diese Leistung nicht anerkannt wird. «Dieser Mehraufwand ist durch die pauschal vergüteten Hausbesuche in keiner Weise abgedeckt. Dies unterscheidet die Hebammen auch von anderen Berufsgruppen in der Frühen Förderung, die im Stundenansatz bezahlt werden», hält Jessica Pehlke-Milde fest. 

Unterstützung gefordert

Die gesundheitsfördernde und präventive Arbeit der Hebammen wird immer wichtiger und damit auch die Zusammenarbeit mit Akteuren aus dem Sozialbereich. Hebammen engagieren sich in verschiedenen Netzwerken und arbeiten eng mit der Mütter- und Väterberatung zusammen. Beim Abschluss der Wochenbettbetreuung wird teilweise ein gemeinsamer Hausbesuch durchgeführt, um die Kontinuität der Versorgung sicherzustellen und das Vertrauen der Familien aufrechtzuerhalten. «Aber nur selten sind die Schnittstellen zwischen den Versorgungsangeboten und Diensten klar geregelt. Eine gute Zusammenarbeit ist noch zu häufig von berufsständischen Ressentiments oder unklaren Zuständigkeiten geprägt», so die ZHAW-Forscherin. Es gibt aber auch viele Beispiele einer guten Zusammenarbeit. Gerade gut vernetzte Hebammen schätzen den Austausch innerhalb ihrer Berufsgruppe und weiteren Netzwerken, der aus ihrer Sicht insbesondere den Familien und Kindern zugutekommt.

Damit Hebammen sozial benachteiligte Familien kompetent betreuen und unterstützen können, müssen sie ihre Versorgungsleistungen insbesondere im psychosozialen Bereich erweitern. Darum sollten Aus- und Weiterbildungsangebote diese Anforderungen im Assessment, der Kommunikation und der Netzwerkarbeit aufnehmen.

Regional unterschiedliche Bedingungen

Gemäss der ZHAW-Studie betreuen Hebammen in Städten sehr viel mehr sozial benachteiligte Familien und sind besser vernetzt. Auf dem Land stehen Hebammen mit den wenigen Fällen, in denen eine Vernetzung dringend erforderlich wäre, mehrheitlich alleine da. Es fehlt an Ansprechpartnern, Netzwerken und Angeboten für Familien rund um die Geburt. «Die Zeit nach einer Geburt kann herausfordernd sein», so die ZHAW-Forscherinnen. Sie empfehlen deshalb, dass überforderte oder erschöpfte Eltern unkompliziert Entlastungs- und Beratungsangebote in Anspruch nehmen können. Zentrale Anlaufstellen für anonyme Fallberatungen, die auch an Wochenenden und Feiertagen besetzt sind, könnten Hebammen und betroffene Familien in Notfällen unterstützen. 

Kontakt

Prof. Dr. Jessica Pehlke-Milde, Leiterin Forschungsstelle Hebammenwissenschaft
Telefon 58 934 64 66, Email jessica.pehlke-milde@zhaw.ch

José Santos, Leiter Kommunikation ZHAW-Departement Gesundheit
Telefon 058 934 63 84, E-Mail jose.santos@zhaw.ch