Kraftakt im Helikoptercockpit
Bei Transportflügen mit Lasten am Seil ist ein Helikopterpilot hohen körperlichen Belastungen ausgesetzt. Nacken-, Schulter- und Rückenbeschwerden können die Folge sein. Wie stark die Belastung effektiv ist und wie sie sich auf die Gesundheit der Helikopterpiloten auswirkt, haben ZHAW-Forschende in einem interdisziplinären Projekt mit Unterstützung des Bundesamts für Zivilluftfahrt BAZL untersucht.
Seit über 20 Minuten ist der Helikopter in der Luft. An einem Seil schwingt eine Schneekanone, die der Pilot innerhalb des Skigebiets umplatzieren soll. Um sein Transportgut präzise abzusetzen, lehnt er sich immer wieder weit zur Seite und streckt den Kopf in die sogenannte Bubble – eine Ausbuchtung im Seitenfenster, welche die vertikale Sicht auf die Unterlast erlaubt. Hände und Füsse verharren unverändert auf den Bedienelementen im Cockpit. Eine bequeme Sitzposition sieht anders aus.
Rücken- und Nackenschmerzen gehören in den westlichen Industrienationen zu den grossen Herausforderungen für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft. Auch in der Aviatik sind chronische Rückenbeschwerden ein Thema, nicht nur weil sie potenziell die Flugsicherheit gefährden, sondern auch, weil Piloten ihretwegen bisweilen den Beruf aufgeben müssen. Während die Nacken- und Rückenschmerzen bei Helikopterpiloten des Militärs bereits wissenschaftlich untersucht worden sind, fehlten für die Unterlastfliegerei bisher entsprechende Daten.
Belastung in Nacken, Schultern und Rumpf
Dies ändert sich nun. Unter der Leitung von Jan Kool untersuchten Forschende des Instituts für Physiotherapie und des Zentrums für Aviatik der ZHAW die Belastungen, denen Piloten während Unterlastflügen ausgesetzt sind. Zu diesem Zweck filmten sie die Piloten bei unterschiedlich anspruchsvollen Einsätzen, um die Körperhaltung während des Fluges zu dokumentieren. Die Auswertung machte das bereits Vermutete offenkundig: Die Piloten sind körperlich enorm beansprucht. «Kontrollierten sie ihre Transportlast über die seitliche Bubble oder alternativ über ein Bodenfenster rechts vom Sitz, führt dies zu extremen Positionen von Nacken, Schultern und Rücken», erläutert Projektmitarbeiterin Sarah Schelldorfer. «Diese Positionen werden im Durch-schnitt über dreissig Sekunden beibehalten.» In der Ergonomie spricht man von Zwangshaltungen. Sie können zu Ermüdung und Schmerzen führen und – wenn die Belastung häufig und über längere Zeit auftritt – sogar chronische Erkrankungen hervorrufen. Die Muskelaktivitäten, die die ZHAW-Forschenden während der Flugeinsätze aufzeichneten, bestätigen die hohe Belastung von Nacken-, Schulter- und Rückenpartie in der Bubble-Position.
Ressourcen können Beschwerden aufwiegen
Zusätzlich zu den physiologischen Messungen wurden die Helikopterpiloten von Psychologen des Zentrums für Aviatik befragt. Die Ergebnisse der Befragung relativieren das Bild. Eine durch die Beschwerden erlebte Einschränkung beim Fliegen wurde von keinem der Piloten berichtet. Alle zeigten zudem hohe Werte bei wichtigen Ressourcen wie der Arbeitszufriedenheit. «Trotz der offensichtlich ungünstigen Körperhaltung in der Bubble sind die subjektiv wahrgenommenen Beschwerden also eher gering», fasst ZHAW-Projektleiter Jan Kool zusammen. Eine mögliche Erklärung dafür sieht er in diversen Ressourcen, die körperlichen Belastungsfaktoren erwiesenermassen entgegenwirken können. In der Befragung gaben die Piloten beispielsweise an, in schwierigen Situationen Unterstützung von ihren Arbeitskollegen und Vorgesetzten zu erhalten.
Der Zwangshaltung entgegenwirken
Selbst wenn die körperlichen Symptome in der subjektiven Wahrnehmung der Piloten also wenig gravierend erscheinen: Die physiologischen Messungen zeigen, dass die Belastungen ernst zu nehmen sind – auch in Hinblick auf die Flugsicherheit. Die ZHAW-Studie weist darauf hin, dass bereits geringfügige ergonomische Anpassungen im Cockpit und kleinere präventive Massnahmen eine grosse Unterstützung für die Piloten bedeuten könnten. So wird empfohlen, angehende Piloten bereits in den Schulungen mit verschiedenen Strategien zur Kontrolle der Unterlast vertraut zu machen. Dies erlaubt ihnen, die Körperhaltung zu variieren und die einseitige Belastung zu reduzieren. Ausserdem sollte der körperliche Ausgleich zur Arbeit gefördert werden – zum Beispiel mit Übungen, die die Beweglichkeit und die Kraft im Nacken-, Schulter- und Rumpfbereich fördern. Diese kleinen Trainingseinheiten lassen sich laut Kool unauffällig und unkompliziert durchspielen – «nach einem Flugeinsatz, während eines Tankstopps oder vor dem Schlafengehen.»
Weitere Informationen und Downloads
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Kontakt
Prof. Dr. Jan Kool, Leiter Forschungsstelle Physiotherapie, ZHAW
Telefon 058 934 63 21, jan.kool@zhaw.ch
Raphael Monstein, Zentrum für Aviatik, ZHAW
Telefon: 058 934 65 47, raphael.monstein@zhaw.ch
Medienstelle
José Santos, Leiter Kommunikation ZHAW Departement Gesundheit
Telefon 058 934 63 84, jose.santos@zhaw.ch
Matthias Kleefoot, PR-Manager, ZHAW School of Engineering
Telefon 058 934 70 85, medien.engineering@zhaw.ch