Drei Fragen an Denise Eigenmann, Hebamme und Dozentin
Denise Eigenmann, Hebamme und Dozentin, unterrichtete von März bis Juni 2017 Studierende am Hamlins College of Midwives in Addis Abeba. Äthiopische Hebammen arbeiten vor allem in Gesundheitszentren in ländlichen Regionen sehr eigenständig und mit einfachsten Mitteln.

Wie ist es zu diesem Austausch gekommen?
Vor einem Jahr hatte das Institut für Hebammen Besuch aus Äthiopien. Dr. Zelalem Belete, Schulleiter des Hamlin College of Midwives in Addis Abeba interessierte sich für unsere Ausbildung und unsere Methoden im Skillsunterricht. Dieser Besuch war Anstoss für eine weitere Zusammenarbeit der beiden Hochschulen und für meinen Einsatz. Die ZHAW und die Organisation Green Lamp haben mich dabei unterstützt.
Äthiopien ist ein sehr grosses Land, drei Mal so gross wie Deutschland. Sehr viele Menschen leben auf dem Land in einfachen Verhältnissen: die Strassen sind oft schlecht, es gibt keinen Strom und kein fliessendes Wasser. Die Sterblichkeit von Müttern und ihren Kindern ist hoch. Der Verein Hamlin Fistula Ethiopia verbessert die Gesundheitsversorgung rund um die Geburt unter anderem, indem junge Frauen aus Landregionen am Hamlin College zu Hebammen ausgebildet werden und danach in ihre Heimat zurückkehren. Die Solarkoffer von Green Lamp, die unter anderem in der Nacht Licht spenden, tragen zusätzlich entscheidend dazu bei, die Sicherheit rund um die Geburt zu erhöhen und schwerwiegende Geburtsverletzungen zu vermeiden. Spitäler mit besserer Infrastruktur und der Möglichkeit Kaiserschnitte durchzuführen, sind nur in grösseren Städten vorhanden.
Wie arbeiten Hebammen in Äthiopien?
Hebammen auf dem Land arbeiten sehr selbstständig. In den Gesundheitszentren gibt es weder Ärzte noch Ultraschallgeräte. Zu den Aufgaben der Hebammen gehören deshalb auch Geburten von Zwillingen oder von Kindern aus Steisslagen, Vakuumgeburten, die manuelle Ablösung der Plazenta oder das Nähen von Geburtsverletzungen. Es wird mit einfachsten Mitteln gearbeitet. Oft stehen nur wenige oder gar keine Schmerzmedikamente, keine Binden oder keine Bettwäsche zur Verfügung. Zum Schutz vor Infektionskrankheiten werden Hebammen dazu angeleitet, zur Geburtsleitung Gummistiefel und Schutzbrillen zu tragen.
Die äthiopische Regierung und die Gesundheitsbehörden haben in den letzten Jahren einiges unternommen, um die medizinische Versorgung der Landbevölkerung zu verbessern und dadurch Hausgeburten zu verhindern. Noch heute werden viele Schwangerschaften und Geburten nicht durch Hebammen betreut, was oft zu schwerwiegenden Problemen führt.
Der Alltag der Frauen und Mädchen auf dem Land ist durch schwere körperliche Arbeit geprägt. Zum Beispiel tragen sie Wasserkanister und Brennholz nach Hause. Die Ernährung ist oft einseitig und knapp. Mädchen werden traditionellerweise sehr jung verheiratet, oft bekommen sie ihr erstes Kind bevor sie ausgewachsen sind. All diese Aspekte führen unter anderem dazu, dass Geburten oft in grossen Schwierigkeiten enden. Frauen liegen manchmal während Tagen in den Wehen, ihre Kinder versterben durch diese zu lange währende Belastung noch im Bauch. Ihre Mütter tragen, wenn sie die Geburt überleben, schwerwiegende innere Verletzungen davon, die oft zu Urin- und/oder Stuhlinkontinenz führen. In diesem Zustand werden sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen und vom Ehemann verstossen. In Hamlin-Fistula-Spitälern finden sie Zuflucht, ihre Verletzungen werden gepflegt und operiert. Sie lernen, wieder ein möglichst normales Leben zu führen.
Erzählen Sie von Ihrem Unterricht mit den äthiopischen Studentinnen.
Die Studentinnen kommen alle aus ländlichen Regionen und haben sich verpflichtet, die ersten vier Jahre nach der Ausbildung in einem Gesundheitszentrum in ihrer Heimat zu arbeiten. Die Ausbildung ist für sie kostenlos und wird aus Spendengeldern finanziert. Dieselben Instruktorinnen, die am College theoretische Inhalte und praktische Handlungsabläufe unterrichten, leiten die angehenden Hebammen auch mehrheitlich in der Praxis an.
Ich unterrichtete die Studentinnen im ersten Studienjahr zum Thema normale Geburt. Die Unterrichtssprache war Englisch. In Äthiopien gibt es etwa 80 verschiedene Sprachen. Die Amtssprache ist Amharisch, für viele Studentinnen ist das eine Fremdsprache. Amharisch ist die Grundlage, Englisch zu lernen. Für viele Studentinnen war es deshalb schwierig, meine Ausführungen zu verstehen. So habe ich viel mit Gesten und Bildern gearbeitet. Ausserdem musste ich alle Themen auf Powerpoint-Folien vorbereiten, die den Studentinnen zum Lernen dienten. Wegen den häufigen Stromausfällen war der Unterricht mit Beamer wenig hilfreich.
Einer meiner Schwerpunkte waren aufrechte Gebärhaltungen. Diese habe ich mit den Studentinnen praktisch ausprobieren wollen. Anfangs regierten die jungen Frauen etwas irritiert und beschämt, da das Darstellen von Situationen unter der Geburt durch eine Dozentin neu und ihnen wohl etwas peinlich war. Mit der Zeit haben sie sich daran gewöhnt und beim Üben der Gebärpositionen auf einer Wiese hinter dem Schulgebäude begeistert mitgemacht. Gerade die Nutzung aufrechter Gebärhaltungen möchte ich in der äthiopischen Hebammenausbildung unterstützen, denn in den Gesundheitsinstitutionen gebären Frauen praktisch ausschliesslich auf dem Gebärbett mit hochgelagerten Beinen, was für den Geburtsverlauf nachweislich nicht förderlich ist.