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Die Pflege zwischen dem Mach- und Wünschbaren

Kaum ein Beruf hat sich in den letzten 30 Jahren so grundlegend gewandelt wie die Pflege. Welche Konzepte in Alters- und Pflegeheimen Zukunft haben und wieso das Pflegepersonal mit Bewohnenden Kaffee trinken sollte, erläutert Prof. Katharina Fierz, Leiterin des Instituts für Pflege an der ZHAW.

Die Welt der Alters- und Pflegeheime hat sich seit den 1990er Jahren rasant verändert. Massgeblich daran beteiligt ist nicht zuletzt die Entwicklung der Pflegeberufe und deren Konzepte. Prof. Katharina Fierz, Pflegewissenschaftlerin und Leiterin des Instituts für Pflege an der ZHAW, erläutert die grossen Meilensteine der Vergangenheit und wirft einen Blick in die Zukunft.

Weg von Krankenschwester und -pfleger

Viele Veränderungen wurden durch Entwicklungen in den USA angestossen, wo bereits in den 1950er und 1960er Jahren Pflegetheorien entwickelt wurden und sich die Pflege als eigenständige Profession zu etablieren begann. Diese Theorien hielten in der Folge Einzug in die Schweizer Ausbildungen, weitere wurden später in Europa entwickelt. Grosse Meilensteine in der Entwicklung der Schweizer Pflege waren die Integration der Pflegeberufe in die nationale Bildungssystematik in den 1990er Jahren, die Entstehung neuer Ausbildungen und die Umbenennung von Krankenschwester und Krankenpfleger zu Pflegefachfrau und Pflegefachmann. Letzteres wertete die Profession auf, betonte die Professionalität und den Umstand, dass eigenes Wissen vorhanden ist.

Hin zu Pflegeexpert:innen

Die Gleichzeitigkeit von alten und neuen Abschlüssen brachte viel Unruhe in die Pflegelandschaft. Heute noch herrschen mancherorts Unklarheiten bezüglich Kompetenzen, Aufgaben und Verantwortung von Träger:innen unterschiedlicher Abschlüsse. Die Deutsch- und die Westschweiz beschritten im Zuge der grossen Bildungsreform zudem unterschiedliche Wege: So wird das Pflegestudium in der Westschweiz seit vielen Jahren fast ausschliesslich auf Bachelor-Niveau angeboten, während in der Deutschschweiz weiterhin Abschlüsse von Höheren Fachschulen existieren. Zu Beginn der 2000er Jahre entstand an verschiedenen Hochschulen ein Institut für Pflegewissenschaft und damit die Möglichkeit für einen Masterabschluss, dank dem Pflegeexpert:innen sowohl eine akademische als auch eine klinische Karriere einschlagen und die Profession weiterentwickeln können.

«Das Argument, dass Pflege ein Praxisberuf ist und deshalb nicht studiert werden muss, lasse ich nicht gelten.»

Prof. Katharina Fierz, Leiterin Institut für Pflege an der ZHAW

Pflege als Wissenschaft und Akteurin der Grundversorgung

Die eingangs erwähnten Einflüsse aus den USA haben das Selbstverständnis der Pflege gestärkt und sie wieder ein Stück weit zurück an den Ursprung ihrer Entstehung geführt, als die Pflege autonom und nicht auf ärztliche Verordnung hin handelte. Die Entwicklung ist dabei auch in einem engen Zusammenhang mit der Emanzipation der Frau zu sehen. Mit der Professionalisierung und Akademisierung verbunden ist nicht zuletzt der Anspruch, eigene Deutungsmuster bezüglich Gesundheit und Krankheit zu entwickeln und sich durch Forschung und Erarbeitung von Evidenzen mit der eigenen Profession auseinanderzusetzen. So ist für Prof. Katharina Fierz klar: «Es sollte allen Professionen, auch der Pflege, möglich sein, sich in der eigenen Profession zu vertiefen und das Wissen zu erweitern. Das Argument, dass Pflege ein Praxisberuf ist und deshalb nicht studiert werden muss, lasse ich nicht gelten.»

APN kann Lücken schliessen

Insbesondere das Berufsbild der Advanced Practice Nurse (APN), wie wir es in der Schweiz heute kennen, wurde stark durch Entwicklungen in den USA beeinflusst. Dort übernimmt die APN, insbesondere die Ausrichtung Nurse Practitioner, aufgrund bestehender Lücken im Versorgungssystem Aufgaben im Bereich Assessment oder Diagnostik. Auch in der Schweiz hätten APN gemäss Prof. Katharina Fierz das Potenzial, eine tragende Rolle in der (integrierten) Grundversorgung wahrzunehmen: «Nurse Practitioners ersetzen keine Hausärzt:innen. Sie können jedoch die Lücken im Betreuungskontinuum schliessen, die etwa durch einen Fachkräftemangel entstehen. Weil sie pflegerisch sozialisiert wurden, haben sie eine lebensweltliche Perspektive.»

Vom Bedarf zu den Bedürfnissen

Der Blick in die Zukunft zeigt: Die Welt der Alters- und Pflegeheime – und damit jene ihrer Bewohnenden – wird sich weiter verändern. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt gesellschaftliche Megatrends wie die Individualisierung: So schaut man die Menschen heute in ihrem Kontext an, als Individuen mit spezifischen Bedürfnissen. Es wird Wert auf Teilhabe gelegt und darauf, dass sich die Bewohnenden, gerade zum Beispiel auch jene mit Demenz, weiterhin als wertvolles Mitglied der Gesellschaft fühlen können. Dazu sagt Prof. Katharina Fierz: «Der Trend geht in Richtung eines ganzheitlicheren Verständnisses des Menschen, wo die Grenzen zwischen Betreuung und Pflege verschwimmen. Kaffeetrinken mit Bewohnenden kann eine pflegerische Aufgabe sein, und manchmal ist eine betreuerische Pflege am Ende des Tages die bessere Pflege.»

«Der Trend geht in Richtung eines ganzheitlicheren Verständnisses des Menschen, wo die Grenzen zwischen Betreuung und Pflege verschwimmen.»

Prof. Katharina Fierz, Leiterin Institut für Pflege an der ZHAW

Pflege im Spannungsfeld

Der Einfluss der Megatrends zeigt sich auch in den Begrifflichkeiten: «Bewohnende» und «Residenzen oder Gesundheitszentren» lösen «Patientinnen und Patienten» und «Heime» ab und weisen darauf hin, dass sich Menschen für ihren Lebensabend einen Ort wünschen, an dem sie und ihre Anliegen gesehen und gehört werden. Damit bewegt sich die Pflege in einem starken Spannungsfeld zwischen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens – dem Machbaren – und dem, was für die Bewohnenden wichtig wäre aus Sicht der Lebenswelt oder Sozialraumorientierung – dem Wünschbaren. Daraus entstehen Wertekonflikte, die sowohl für die Alters- und Pflegeheime als auch für die Pflege bisweilen nur schwer aufzulösen sind.

KI als Entlastung der Pflege

Schliesslich wird auch die Digitalisierung, namentlich die Künstliche Intelligenz (KI), den Pflegeberuf (weiter) definieren und beeinflussen. Gerade im Bereich der zahlreichen administrativen Aufgaben könnte KI zu einer spürbaren Entlastung der Pflege führen und es ihr ermöglichen, sich ihrem Kerngeschäft zuzuwenden. Der direkte Kontakt mit dem Menschen wird dabei immer wichtig bleiben.

Quelle: Dieser Artikel ist im Magazin senestory von senesuisse erschienen, dem Verband wirtschaftlich unabhängiger Alters- und Pflegeeinrichtungen der Schweiz. Wir publizieren eine leicht gekürzte Fassung. Autorin: Eva Zwahlen