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Angewandte Psychologie

10 Jahre Jugendmedien­forschung: Apps als Ausdruck der individuellen Persönlichkeit

Der Medienumgang von Schweizer Jugendlichen hat sich in den letzten zehn Jahren markant gewandelt: On-Demand-Streamingdienste wie Netflix oder Spotify und soziale Netzwerke boomen. Beständigkeit gibt's dagegen beim Bücherlesen, zeigt der neuste JAMESfocus-Bericht der ZHAW und Swisscom mit Rückblick auf zehn Jahre Jugendmediennutzung.

(Foto: Colorbox.de)

Im letzten Jahrzehnt konnte ein gesellschaftlicher Trend zur Individualisierung beobachtet werden, der sich auch stark im Medienkonsum von Jugendlichen zeigt. Das audiovisuelle Medienangebot hat sich neben linearem TV und Radio besonders auf On-Demand-Streamingdienste wie Netflix oder Spotify ausgedehnt. Parallel dazu wurde der Zugang durch praktische Apps enorm erleichtert. Heute können zu jeder Zeit und an fast jedem Ort beliebige Medien genutzt werden. Die Wahlfreiheit und die Selbstbestimmung sind deshalb in den letzten zehn Jahren massiv angestiegen, zeigt der neuste JAMESfocus-Bericht, der gesellschaftliche Entwicklungen mit dem Medienverhalten der Schweizer Jugendlichen verknüpft. So werden neue Kompetenzen nötig und Konsumentinnen und Konsumenten müssen sich eine Reihe von Fragen zu ihrer Medienwahl stellen. «Welche Apps ich auf meinem Smartphone installiert habe, wird zu einem Ausdruck meiner individuellen Persönlichkeit», sagt ZHAW-Medienpsychologin Lilian Suter. Seit 2010 wird das Medien- und Freizeitverhalten von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in der Schweiz alle zwei Jahre von der ZHAW in Zusammenarbeit mit Swisscom untersucht.

Digitale Vernetzung per Smartphone

Die Verbreitung und Nutzung des Internets und des Smartphones haben in den letzten zehn Jahren zugenommen. 99 Prozent der Jugendlichen gaben 2020 an, das Smartphone täglich oder mehrmals pro Woche zu nutzen, 2010 waren es erst knapp die Hälfte. Ebenfalls weiterverbreitet haben sich Messenger-Dienste und soziale Netzwerke. Diese werden von Jugendlichen rege genutzt. Heranwachsende organisieren sich darüber und tauschen sich sowohl privat wie schulisch aus. Der Trend zur immer stärkeren Vernetzung durch technische Infrastruktur war nicht zuletzt eine Grundvoraussetzung, damit in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie Fernunterricht überhaupt erst möglich wurde. Zur Kehrseite der stärkeren Vernetzung zählen laut der ZHAW-Medienpsychologen die ständige Erreichbarkeit, der nie aufhörende Kommunikationsfluss oder ein fortlaufender Dokumentationszwang des eigenen Lebens durch Fotos und Videos. Auch hier gilt: es braucht neue Kompetenzen, um mit der Entwicklung Schritt zu halten, also diese gewinnbringend in das eigene Leben zu integrieren.

Angleichung im Nutzungsverhalten

Die traditionellen Rollenmuster von Männern und Frauen verlieren zunehmend an Bedeutung. An gewissen Aspekten im Medienverhalten von Jugendlichen lässt sich dieser sogenannte Gender Shift besonders aufzeigen: Weiblichkeit und Erotik werden von Mädchen selbstbewusst im digitalen Alltag eingebettet. Der Einsatz von selbst produziertem, erotischem Bildmaterial wird enttabuisiert und ist einem freizügigen Kleidungsstil beim Ausgehen gleichgestellt. Auch im Umgang mit industriell hergestellter Pornografie gleichen sich die Geschlechter an: Mädchen konsumieren diese öfters als auch schon (von 16 auf 27 Prozent), Jungen weniger oft (von 73 auf 57 Prozent). «Wir gehen davon aus, dass Konsumpräferenzen immer weniger mit Geschlechterrollen, sondern mehr mit persönlichen Vorlieben zusammenhängen», erklärt Co-Studienleiter Gregor Waller von der ZHAW. Die Industrie reagiert und produziert vermehrt auch «female friendly» Filme, in denen die Rollen von Frau und Mann weniger stereotyp ausfallen. Neben all diesen Angleichungen zeigen sich in einigen Aspekten der Mediennutzung aber nach wie vor stabile Geschlechtsunterschiede. Mädchen lesen häufiger Bücher, Jungen nutzen diese Zeit für Videogames.

Spaltung bei Text-Medien und Sport

Der sogenannte «digital divide» beschreibt seit den 1990er-Jahren demographische und sozioökonomische Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang und die Nutzung von Informationstechnologien wie dem Internet. Diese Spaltung zeigt sich bei Jugendlichen in der Schweiz insbesondere bei textorientierten Medien. Zeitungs- und Zeitschriften-Abos stehen viel häufiger Jugendlichen aus sozioökonomisch besser gestellten Haushalten zur Verfügung. Eine weitere – nicht digitale Spaltung – hat sich beim ausserschulischen Sport gezeigt. Jugendliche aus sozioökonomisch schwächer gestellten Haushalten tun dies im Vergleich zu Gleichalterigen immer weniger oft. Da Sport wichtig ist für die physische und psychische Gesundheit, muss die Gesellschaft laut ZHAW-Medienpsychologin Céline Külling Gegensteuer geben. «Sportliche Aktivitäten dürfen in einem reichen Land wie der Schweiz nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein». Keine digitale Spaltung zeigt sich dagegen bei den sozialen Netzwerken. Da für die Erstellung eines Profils keine Gebühren erhoben werden, spielen monetäre Gründe keine Rolle. Denn bezahlt wird mit den persönlichen Daten, welche in alle Schichten verfügbar sind.

Buch setzt sich immer noch durch

Neben den aufgeführten Trends gibt es über das Jahrzehnt hinweg aber auch erstaunliche Konstanten im Medienumgang der Jugendlichen. So blieb die Lesefrequenz von Büchern trotz fortschreitender Digitalisierung beständig. Das Buch bietet offenbar einen Wert, der sich auch gegen neue digitale Mitbewerber durchsetzen kann. Auch die Nutzung von Games blieb sehr konstant. Ebenfalls einen festen Wert bilden die höheren durchschnittlichen Handy-, Internet- und Game-Zeiten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen wohl in der multikulturellen Einbettung: Medien unterstützen hier Heranwachsende beim Brückenschlag zwischen verschiedenen Kulturen, Sitten, Sprachen und Religionen.

Optimistisch für die Zukunft

In der Freizeit bewegten sich die Jugendlichen in den letzten zehn Jahren immer öfters im Kreis ihrer Familie und beschränkten sich auf wenige, dafür enge Freundschaften. Ob sich dieser Trend auch bei Onlinekontakten durchsetzen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Ein gegenteiliger Effekt wäre laut den Studienautoren ebenfalls denkbar: das Onlinenetzwerk könnte sich zu einer Art Kompensationsort entwickeln, an dem besonders viele Kontakte geknüpft werden.

Eltern sind gemäss dem Jugendmedienschutz-Beauftragten bei Swisscom, Michael In Albon, gefordert, sich laufend mit der Mediennutzung ihrer Kinder auseinanderzusetzen, mitzukommen bei den Entwicklungen, kritische Themen anzusprechen und eine Ausgewogenheit zwischen Medienkonsum und familiären Aktivitäten beizubehalten. «Jugendliche zeigen gleichzeitig immer wieder, wie kreativ sie sind und mit sozialen Medien umgehen können, insbesondere auf dem oft kritisierten TikTok. Sie sind heute vielfach aufgeklärtere und kritischere Nutzende, als dies oft vermutet wird».

Kontakt

Tanja von Rotz, Leiterin Kommunikation, ZHAW Departement Angewandte Psychologie, +41 58 934 84 08, tanja.vonrotz@zhaw.ch

Swisscom Mediendienst, Swisscom AG, 3050 Bern, +41 58 221 98 04, media@swisscom.com