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School of Management and Law

ZKM-Corona-Reihe: Interview #6 mit Thomas Volprecht und Gabriela Huber-Koller

Im sechsten und letzten Teil unserer "ZKM-Corona-Reihe" sprechen wir mit Thomas Volprecht, Head of Branding & Strategy und Gabriela Huber-Koller, Head of Creation der Event- und Kommunikationsagentur standing ovation ag, über die Schwierigkeiten im Umgang mit der stark eingeschränkten Planungssicherheit, neue Potentiale durch die zunehmende Verlagerung in den Digital Space und spannende Zukunftsperspektiven in der Eventbranche.

Bei der Event- und Kommunikationsagentur standing ovation ag dreht sich alles um Live-Kommunikation und Brand Experience. Das Unternehmen konzipiert und realisiert Corporate-, Business- und Public-Events, Konferenzen sowie Marken- und Dialogräume. Thomas Volprecht verfügt über jahrelange Erfahrung im Bereich der strategischen Markenführung und Branding und hat unter anderem für Marken wie ABB, Credit Suisse, Franke und SBB Cargo gearbeitet. Er ist seit 2015 Head of Branding & Strategy bei der standing ovation ag. Gabriela Huber-Koller ist seit 2018 bei der Agentur als Head of Creation tätig und arbeitete zuvor als Head Event Marketing bei der Credit Suisse.

Wie haben Sie die letzten Wochen in der Eventbranche und in Ihrem Arbeitsumfeld erlebt? Welche positiven und negativen Erfahrungen haben Sie gemacht? Was war die grösste Herausforderung?
Gabriela Huber-Koller: Für unsere Branche, wie auch für standing ovation, kommt die COVID-19 Krise einem «Black Friday» gleich. Als Agentur für Live-Kommunikation leben wir davon, dass Menschen sich physisch begegnen können. Das ist und bleibt unser wertvollstes Gut. Dass ausgerechnet die Notwendigkeit zur Distanz einmal unsere Branche treffen würde, konnte ich mir bis zu COVID-19 nicht vorstellen. Insofern hatte der Shut down unmittelbare negative und weitreichende Konsequenzen für unser Tagesgeschäft. Wir mussten wie alle sehr schnell auf Kurzarbeit umstellen und den laufenden Agenturbetrieb neu organisieren.
Thomas Volprecht: Letzteres war jedoch kein Problem für uns. Wir sind es gewohnt, agil zu arbeiten, bieten unseren Mitarbeitenden schon seit Jahren die Möglichkeit, Homeoffice zu nutzen und sind auch technisch wie digital auf der Höhe. Aber es bleibt die Leere - in unserer Agentur geht es normalerweise wie in einem Bienenstock zu. Das fehlt uns zurzeit und lässt sich auch digital nur bedingt ersetzen.
Gabriela Huber-Koller: Positiv ist sicherlich, das die Event-Branche mehr aus dem Schatten treten konnte. Ich glaube, dass der Öffentlichkeit erst durch die Krise richtig bewusst geworden ist, wie gross und wirtschaftlich wichtig dieser Markt für die Schweiz ist. Um nur eine Zahl zu nennen: Gemäss Mitgliederumfrage des Branchen-Verbands Expo Event, in dem wir auch Mitglied sind, wurde nur schon bis Ende Mai ein Brutto-Umsatz-Verlust von rund 450 Millionen Schweizer Franken prognostiziert. Trotz all der Schwierigkeiten war es jedoch toll zu erleben, wie die Branche noch enger zusammengerückt ist. Der Verband hat hier tolle Arbeit geleistet und der Branche beim Bund und in der Öffentlichkeit schnell Gehör verschafft.
Thomas Volprecht: Schwierig war vor allem die fehlende Planbarkeit aufgrund sich ständig ändernden Regeln. In unserem Business ist eine Vorausplanung von 3-6 Monaten unabdingbar. Das war in den letzten Wochen faktisch unmöglich. Insgesamt sind wir jedoch bisher sehr gut durch die Krise gekommen. Das liegt zum einen an den Eigentümern unserer Agentur, welche vorausschauend und wirtschaftlich sehr solide agieren. Zum anderen an unserem horizontalen Wertschöpfungskonzept. standing ovation ist neben dem Kerngeschäft Events sehr stark in den Bereichen Branding, Ko-Kreation, Digital-Live-Kampagnen und Kommunikationsplanung. Dadurch konnten wir eine gewissen Auslastung sicherstellen und sogar neue Aufträge generieren. Ein wirklich positiver Effekt der Krise ist, dass die Themen Livestreaming, hybride Events und digital Customer Journey in diesem Kontext eine neue Aufmerksamkeit erfahren. Live-Kommunikation findet ja längst in einer «phygitalen» Welt statt. Doch das Zusammenwachsen von online und offline, von real und virtuell, von physisch und digital hat sich die Branche sicherlich gemächlicher vorgestellt. Hier entsteht gerade eine neue kreative Dynamik, die weit über die Krise hinaus die Eventbranche prägen wird.

Was wird sich Ihrer Einschätzung nach in der Eventbranche nach «Corona» ändern? Welche Chancen und Gefahren sehen Sie?
Gabriela Huber-Koller: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwierig einzuschätzen, da es aktuell keine Definition zu «Nach Corona» gibt. Trotz der Lockerungen und neuen BAG-Richtlinien vom 19. Juni sind wir weit davon entfernt, zum normalen Tagesgeschäft zurückzukehren. Fakt ist, dass das Jahr 2020 für die Eventbranche nahezu gelaufen ist. Alle für uns wichtigen Veranstaltungen wurden bereits abgesagt oder auf das nächste Jahr verschoben. Hinzu kommt die grosse Unsicherheit auf Kundenseite. Die Angst vor «Spread Events» ist deutlich spürbar. Ein weiteres Manko ist der planerische Aufwand für Sicherheit, Hygiene und das Tracing der Gäste. Das schreckt viele eher ab. Die Feedbacks aus der Branche sowie direkte Gespräche mit Kunden zeigen dies sehr deutlich. In Bezug auf die Wertschöpfung gehe ich davon aus, dass der Kostendruck weiter steigen wird, was sich direkt auf das Pricing auswirkt. Alle sind unter Druck und müssen an neue Budgets gelangen. Das wird wohl nicht ohne Marktbereinigungen funktionieren.
Thomas Volprecht: Für die nächsten Monate werden die jeweils aktuellen BAG-Richtlinien selbstverständlicher Teil des Briefings bleiben. Dabei geht es um mehr als um die Einhaltung von Distanz- und Hygienevorschriften. Es geht um Risikoeindämmung und das Wahrnehmen von Verantwortung. Die Messlatte ist dabei nicht nur die Erfüllung behördlicher Vorgaben, sondern auch die Kompatibilität mit den ethischen Werten von Kunden und Brands. Hier sehen wir für Brands und Unternehmen ein sehr grosses Potential in Punkto Glaubwürdigkeit und Dialog. Aber Achtung! Wer sich als Marke und Unternehmen im aktuell schwierigen Umfeld engagiert, ist auch exponiert. Der sorgfältige Umgang mit Image und Reputation ist für uns daher ebenso zentral wie der sorgsame Umgang mit der Gesundheit aller Beteiligten. Die Gefahr, dass Events zunehmend in den «Digital Space» verlagert werden, sehe ich persönlich nicht - im Gegenteil: hier eröffnen sich neue Potentiale wie z.B. für «Digital Customer Ticketing». Dazu muss sich die Qualität im digitalen Live Space allerdings noch massiv steigern. Was ich in den vergangenen Wochen digital erlebt habe, war bis auf wenige Ausnahmen eher enttäuschend. Ein einfacher Live-Stream ist eben noch keine Live-Experience.

Welche Rolle spielt in diesen Krisenzeiten in Ihrem Bereich die Digitalisierung, von der man hofft, dass sie durch die jetzige Situation zusätzlich vorangetrieben wird? Wie schätzen Sie den Stand der Digitalisierung in der Schweiz in der Eventbranche ein? Gelingt es Ihnen mit Ihren digitalen Angeboten neue Zielgruppen zu erschliessen? Und wenn ja, wie?
Gabriela Huber-Koller:
 Die digitalen Tools und Kanäle waren natürlich eine tolle Möglichkeit aus der Distanz wenigstens auf diesem Wege eine Form der Nähe zu erzeugen. Und die Krise hat eben gezeigt, dass es auch anders geht. Es war beeindruckend zu erleben, wie quer durch alle Gesellschaftsteile und Branchen der Wechsel vollzogen wurde. Die Schweiz war in dieser Hinsicht schon vor der Krise technologisch gut aufgestellt. Ich glaube, sie hat den ersten echten Stresstest sehr gut bestanden. In Bezug auf unsere Branche ist es jedoch nicht wirklich eine Revolution.
Thomas Volprecht: Die meisten Tools waren ja bereits vor der Krise da und im Einsatz. Und die damit verbundenen Herausforderungen ebenfalls. Unsere Erfahrung ist, dass sowohl die digital Customer journey als auch eine kanalgerechte digitale Dramaturgie immer noch in den Kinderschuhen steckt. Das hat sich auch in der Krise nicht wirklich verändert. Der digitale Kanal wird teilweise als Restposten betrachtet. Diese Einstellung wird bald überholt sein. Neue Formate werden ausprobiert, alte Gewohnheiten überdacht.
Gabriela Huber-Koller: Die Tech-Innovatoren machen sich die aktuelle Dringlichkeit natürlich zunutze und pushen mächtig. Das ist gut für unsere Kunden und gut für uns als Event-Dienstleister: Wir erhalten ein noch leistungsfähigeres Angebot an Kommunikationstechnologien und -möglichkeiten. So können wir Budgets um einiges effizienter einsetzen und Menschen noch vielfältiger zusammenbringen. Doch wer jetzt nur auf Technologie fokussiert, verliert unser wichtigstes Gut aus den Augen: das Live-Erlebnis. Das ist und bleibt der Treiber für Emotionen, Inspirationen und Erlebnisse.
Thomas Volprecht: In Bezug auf die Erschliessung neuer Zielgruppen ist unsere Vermutung, dass das Publikum vermehrt sowohl aus Präsenz-Gästen als auch aus «Digital Customer» bestehen wird. So können auch Personen, die nicht an einen physischen Event teilnehmen können und/oder wollen, dabei sein. Ausserdem ist ein grösseres Publikum denkbar, da online fast unbegrenzt Zuschauer teilnehmen können. Dazu braucht es jedoch intelligente Contentstrategien, spannende Interaktionsformate sowie eine dramaturgische Verknüpfung von Live & Digital Space. Dann sind wir wirklich nah dran an zukunftsweisenden Hybrid-Events.

Was sind Ihre wesentlichen beruflichen «Learnings» aus der «Corona-Krise»?
Gabriela Huber-Koller: Auch wenn das virtuelle Community Building und das Digital Conferencing immer mehr zur Gewohnheit werden: Einzigartige Erlebnisse brauchen reale Nähe. In Bezug auf die Konzeptarbeit wird es komplexer, weil integrierte Live-Komm-Ansätze in Zukunft noch wichtiger werden. Das sind spannende Zukunftsperspektiven, auf die ich mich trotz allem freue.
Thomas Volprecht: Ohne Live kein Life und dann auch kein digital Live. Das C-Wort macht alles anders, vielleicht auch radikaler als erwartet. Corona verändert unsere Möglichkeiten, aber nicht unsere Bedürfnisse. Ich sehe jedoch insgesamt vor allem die Chancen. Als Agentur für Live-Kommunikation bewegen wir uns in einem sehr dynamischen Markt. Das heisst für uns vor der Krise ist immer noch nach der Krise.

Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!

Damit ist die ZKM-Corona-Reihe abgeschlossen. Das ZKM-Team bedankt sich herzlich bei allen Interviewpartnerinnen und -partnern für die spannenden Einblicke sowie bei den Leserinnen und Lesern.