Interview zu WP02
Interview mit Prof. Dr. Andreas Abegg und MLaw Annette Zoller-Eckenstein der ZHAW School of Management and Law
- Um was geht es bei Eurer Forschung im Rahmen des DeCarb-Arbeitspakets WP02?
Unser Workpackage WP02 analysiert die aktuellen sozioökonomischen und rechtlichen Herausforderungen der heutigen Wärme- und Kältelösungen in der Schweiz. Unser rechtlicher Teil (Task 2.4 und 2.5) befasst sich im Wesentlichen mit der Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen für grosse Energieanlagen sowie für den Bau und Betrieb von Wärme- und Kälteinfrastrukturen (Netze und Speicher).
- Welche Akteure sind aus rechtlicher Sicht involviert?
Aus rechtlicher Sicht sind verschiedene Akteure beteiligt: Erstens haben verschiedene Investoren Interesse daran, grössere Energieanlagen und insbesondere Energienetze zu finanzieren. Zweitens bauen und betreiben öffentliche und private Unternehmen solche Anlagen. Dabei sind – drittens – oft öffentliche Stellen beteiligt, weil Energie für die Wärmenetze z.B. aus öffentlichen Kehrichtverbrennungsanlagen stammt, weil sie planerische und regulatorische Grundlagen für Energieanlagen bereitstellen und weil sie Bewilligungen und Konzessionen für die Anlagen erteilen. Schliesslich gibt es Hausbesitzer und Verbünde, die kleinere Energienetze im Gebäudesektor organisieren, sowie die Konsumenten zu berücksichtigen.
- Wie hängt dieses WP mit den andere WPs von DeCarbCH zusammen?
Die besten technischen Lösungen für die Dekarbonisierung von Heizung und Kühlung sind nutzlos, wenn sie nicht umgesetzt werden können. Mit einer Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen zeigen wir auf, welche technischen Lösungen umgesetzt werden können und welche Hindernisse, aber auch welche ungenutzten Chancen derzeit noch bestehen. Sodann können neue Technologien wieder zu neuen rechtlichen Herausforderungen führen. Unser Teil von WP02 wird daher auch die (hauptsächlich) in WP03 und 05 vorgeschlagenen technologischen Lösungen in die Betrachtung miteinbeziehen und wir werden zu den Fallstudien der Umsetzungspartner beitragen, die in WP06 und 07 koordiniert werden.
Letztlich stehen die rechtlichen Herausforderungen im engen Zusammenhang mit den sozioökonomischen Herausforderungen (als weiterer Teil von WP02). Denn wenn es ein rechtliches Hindernis gibt, führt dies zu Verzögerungen und zusätzlichen Aufwendungen für Bewilligungen etc. und somit zu erhöhten Kosten. Zudem kann eine fehlende Akzeptanz auch zu weiteren rechtlichen Herausforderungen und weiteren Kosten führen, beispielsweise wenn sich Nachbarn gegen ein Projekt wehren.
- Welche Erfahrungen bringt Ihr aus früheren Projekten mit?
Unser Zentrum für öffentliches Wirtschaftsrecht hat bereits zu verschiedenen Fragen der Energiestrategie 2050 geforscht. So haben wir uns z. B. in verschiedenen Projekten mit der Geothermie auseinandergesetzt, bei welcher – wie bei Fernwärmenetzen – ebenfalls die Nutzung des Untergrunds eine grosse Rolle spielt. Einen weiteren Schwerpunkt setzten wir in der Vergangenheit in der Forschung zum Bau neuer Energieerzeugungsanlagen. Aus den entsprechenden Publikationen können wir für das DeCarb-Projekt viel zu den Planungs- und Bewilligungsverfahren ableiten können. Nun sammeln wir im Rahmen von DeCarbCH neue Kontakte, um mehr über die laufenden Projekte und deren rechtlichen Herausforderungen zu erfahren.
- Was sind die Hauptziele des WP?
Der erste Schritt besteht darin, den aktuellen rechtlichen Rahmen zu verstehen. Dann werden wir rechtliche Herausforderungen und Hindernisse für die rechtzeitige Umsetzung und den nachhaltigen Betrieb effizienter Heiz- und Kühlsysteme identifizieren. Dies tun wir in enger Zusammenarbeit mit Projektpartnern wie der Stadt Zürich. In einem nächsten Schritt wollen wir verschiedene Massnahmen und Strategien bewerten, um Hindernisse abzubauen und Verfahren effizienter zu gestalten. Dies könnte u. a. dazu führen, dass wir neue Lösungen vorschlagen, z. B. wie Gesetze sinnvoll anzupassen wären. Rechtliche Grundlagen können aber in der Regel nicht schnell geändert werden. Daher sind auf der Grundlage des erarbeiteten rechtlichen Wissens auch die vorgeschlagenen Technologien zu prüfen und u. U. Änderungen an deren System in Betracht zu ziehen, damit diese innerhalb der bestehenden rechtlichen Anforderungen umgesetzt werden können. Entsprechend ist die Zusammenarbeit mit dem anderen WP wichtig.
- Welche Rechtsgebiete sind für Eure Arbeit besonders wichtig?
Die wichtigsten rechtlichen Fragen betreffen das Planungs- und Baurecht. Eine wichtige Grundlage bildet das Raumplanungsgesetz des Bundes sowie die kantonalen und kommunalen Gesetze hierzu. Das Baurecht ist ebenfalls hauptsächlich von kantonalem und kommunalem Recht geprägt, das den wesentlichen Rahmen für den Bau von Energieanlagen und den Bau von thermischen Netzen vorgibt. Weiter benötigen solche Projekte, insb. der Bau von Wärmenetzen, in der Regel öffentlichen Grund, wie z.B. Strassen, worin die Leitungen verlegt werden. Hier stellen sich rechtliche Fragen zur Nutzung des öffentlichen Grundes. Dabei geht es v. a. um Fragen der Bedingungen zur Nutzung, aber auch darum, ob Ansprüche und Rechte auf Nutzung bestehen, wie die öffentliche Eigentümerin verschiedene Nutzer zu behandeln hat und ob sie ausschliessliche Nutzungen gewähren darf. Schliesslich sind auch das Wettbewerbsrecht (z. B. bei Monopolsituationen) sowie das öffentliche Beschaffungsrecht (zu einer allfälligen Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung) zu beachten.
- Was sind die wichtigsten Forschungsfragen?
Eine erste wichtige Aufgabe besteht nur schon darin, den aktuellen Bestand der rechtlichen Vorgaben unseres föderalen Systems darzustellen. Erst auf dieser Grundlage können wir Vorschläge erarbeiten, wie der rechtliche Rahmen verbessert werden könnte.
Eine konkrete Forschungsfrage ergibt sich z. B. im Planungsrecht: Kantone müssen von Bundesrechts wegen Richt- und Nutzungspläne schaffen. Dabei gibt es eine Hierarchie der Pläne, und je weiter oben auf diesen Stufen etwas festgehalten wird, desto wichtiger ist es für den ganzen Kanton (oder sogar die Schweiz). Die Frage in diesem Zusammenhang ist, auf welcher planerischen Stufe die thermische Infrastruktur (Wärmequellen, Wärmenetz und -speicher) geregelt werden müssen. Sollen z. B. Wärmenetze in die kantonalen Richtpläne aufgenommen werden oder genügt es, nur die Energieanlagen (also die Wärmequellen) darin zu regeln? Wenn zum Beispiel ein Fernwärmesystem im Richtplan aufgenommen wird, steht dieser auf einer solideren rechtlichen Grundlage, weil andere Projekte in Zukunft damit koordiniert werden müssen. Wenn dies aber für jedes Fernwärmenetz verlangt wird, verkompliziert dies die Erstellung solcher Anlagen. Bei dieser Frage – wie auch bei anderen Fragen – bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen Rechts- und Planungssicherheit einerseits und Verfahrenseffizienz andererseits.
- Was sind die wichtigsten Ergebnisse des WP?
Üblicherweise veröffentlichen wir unsere Ergebnisse als Publikationen in Fachzeitschriften. Im Rahmen von DeCarbCH planen wir aber auch, Leitfäden für Investoren, Planer und Behörden auf einer praxisorientierteren Ebene zu erstellen. Im erwähnten Projekt über geothermische Energie und über andere Energieanlagen haben wir gesehen, dass dies für die Öffentlichkeit von grosser Bedeutung ist und rege genutzt wird.
- Weshalb habt Ihr die Stadt Zürich als Fallstudie ausgewählt?
Die Stadt Zürich ist Praxispartner von DeCarbCH und insb. Objekt der Fallstudie in WP06. Für uns ist die Stadt Zürich interessant, weil sie bereits ein relativ gut ausgebautes Wärmenetz in Betrieb hat, das hauptsächlich mit Abwärme aus der Kehrichtverbrennungsanlage gespeist wird. Darüber hinaus werden wir uns auch andere Städte wie Genf und Basel anschauen und zudem andere Beispiele suchen, die noch nicht so weit fortgeschritten sind. Wichtig ist für uns immer auch, dass wir die Anliegen unseren Praxispartner verstehen und im Rahmen unserer Forschungen Lösungen hierfür erarbeiten.
- Könntet Ihr Beispiele nennen, um die Besonderheit des WP zu verdeutlichen?
Wie die anderen technischen Arbeitspakete zeigen, gibt es ein grosses Potenzial für optimierte Wärme- und Kältelösungen. Es wäre schade, wenn deren Umsetzung an Rechtsunsicherheiten scheitern würde. Ein konkretes Beispiel ist der Bau von grossen geothermischen Anlagen; es gibt kein Bundesgesetz, das den Bau solcher Anlagen regelt. Im Gegensatz dazu gibt es z. B. für den Bau und Betrieb von Wasserkraftwerken zahlreiche Vorschriften auf verschiedenen Ebenen (Gemeinden, Kantone und Bund). Das Fehlen bundesrechtlicher (Rahmen-)Regelungen kann zu Unsicherheiten führen, wie die Beispiele Haute Sorne und Grimsel zeigen.
Weitere Beispiele sind die Unsicherheiten, welche entstehen, wenn je nach Ausgestaltung der Wärmeversorgung der freie Markt eingeschränkt wird. Bisher gab es in der Regel einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Energiequellen. Die Eigentümer konnten wählen, ob sie Gas, Öl, Strom, eine Wärmepumpe oder (sofern vorhanden) den Anschluss an ein Wärmenetz nutzen wollten. Dieser Markt wird nun stärker eingeschränkt, insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes, aufgrund von Rentabilitätsüberlegungen bei Netzen und aufgrund der Tatsache, dass Wärmenetze häufig von der öffentlichen Hand oder einem ihr gehörenden Unternehmen betrieben werden. Sofern diese Umstände zu Marktbeschränkungen führen, müssen Marktbeschränkungen auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage beruhen, was häufig noch nicht der Fall ist.
- Ein letztes Wort an unsere Leserschaft?
Das Potenzial für saubere Wärme- und Kältelösungen ist gross und die Umsetzung sollte nicht an den rechtlichen Rahmenbedingungen scheitern. Rechtliche Verfahren sind ein wichtiger Weg, um die Akzeptanz von verschiedenen Akteuren zu gewinnen, die mit neuen Technologien und Bauten konfrontiert sind. Die Kenntnis über diese Verfahren und allfällige Anpassungen dieser Verfahren können dazu beitragen, neue technische Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen. Das Gute an DeCarbCH ist, dass die rechtliche Perspektive von Anfang an ins Projekt eingebunden ist und somit ersichtlich werden kann, was aus rechtlicher Sicht funktioniert und was nicht.