The Global Pulse: Khalil Radi
Seit 2018 verteilt das Schweizer Unternehmen Buy Food with Plastic Mahlzeiten gegen Plastikflaschen. Auch das Wirtschaftsmagazin Forbes ist auf das Start-up aufmerksam geworden. Die Mitgründer Anna Gracia Herbst und Khalil Radi wurden für die Liste «30 Under 30 – Europe – Social Impact» nominiert. Anlässlich dieser Auszeichnung haben wir mit Khalil gesprochen, der nicht nur erfolgreicher Gründer, sondern auch ZHAW-Alumnus ist.

Khalil, zunächst einmal: herzlichen Glückwunsch zur Nominierung durch Forbes. Was bedeutet diese Auszeichnung für dich und Buy Food with Plastic?
Diese Nominierung hilft uns als Unternehmen extrem. Sie schafft viel Vertrauen für Aussenstehende und wirkt wie ein Gütesiegel. Ich habe Forbes bisher eher so wahrgenommen, dass die Person, die am meisten Umsatz macht, nominiert wird. Dass Forbes aber mittlerweile auch an einem Punkt ist, an dem sie Unternehmen berücksichtigen, die eher Impact als Geld machen, finde ich sehr schön und wichtig für unsere Welt. Es gibt mir auch die Hoffnung, dass unsere Nominierung andere motivieren wird, sich in ähnlichen sozialen und umweltbewussten Themengebieten einzusetzen – weil sie wissen, dass es global anerkannt wird.

Würdest du uns das Businessmodell von Buy Food with Plastic genauer erklären?
Businessmodell ist eigentlich der falsche Ausdruck für das, was wir tun. Ich würde es eher ein «Impact-Modell» nennen. Unser Konzept ist darauf ausgerichtet, einen möglichst positiven Impact auf Menschen und Umwelt auszuüben. Wir haben auf unserer Welt ein riesiges Plastik- und ein riesiges Hungerproblem. Anstatt einfach nur Essen zu verschenken oder nur Plastik zu sammeln, lassen sich diese beiden Probleme sehr gut vereint bekämpfen. Wir ermöglichen den Menschen, sich mit Plastikflaschen eine warme Mahlzeit zu kaufen. Bisher sind wir in drei Ländern aktiv: Nicaragua, Ghana und Indien. Wir organisieren monatlich sogenannte Community Events in den Dörfern vor Ort. Im Durchschnitt kommen jeweils etwa 200 Leute, hauptsächlich Frauen und Kinder, die ihre gesammelten PET-Flaschen gegen eine warme Mahlzeit eintauschen. Bei den Events bieten wir auch Bildungsaktivitäten an und vermitteln wichtiges Wissen – zum Beispiel, dass sie ihr Feuer zum Kochen nicht mit Plastik anzünden und auch kein Plastik als Pfannendeckel verwenden sollen. Die Flaschen, welche die Leute bei uns eintauschen, geben wir dann zurück in den Kreislauf, indem wir sie recyceln und daraus neue Produkte herstellen. Diese Produkte verkaufen wir weiter, um einen Teil unserer Kosten zu refinanzieren. Momentan kommen noch etwa 95 Prozent unserer Gelder aus Spenden. Unser Ziel ist es aber, davon unabhängiger zu werden, sodass sich unsere Arbeit langfristig selbst finanzieren soll.

Wie kamst du auf die Idee für das Konzept?
Durch unterschiedliche Lebensereignisse. Einerseits hat mich meine Mutter so erzogen, dass wir für unsere Umwelt Sorge tragen müssen und es immer eine Möglichkeit gibt, das zu tun. Andererseits stammt mein Vater aus Marokko: Dort habe ich schon als kleiner Junge gesehen, was Armut alles auslösen kann. Das hat mich stark geprägt. Darüber hinaus habe ich durch meine Banklehre gelernt, wie Geld funktioniert und wie man es nutzen kann, um damit zu helfen. Dann war mein Bachelorstudium an der ZHAW sehr wichtig: Die Idee kam mir während der Semesterferien. Bis heute hilft mir das Wissen aus dem Studium in meinem Alltag. Zum Schluss hat ein Besuch in Nicaragua der Idee auf die Welt geholfen: Ich sah die gewaltsame Niederschlagung von Protesten und die Armut, das Hungerproblem und die Plastikverschmutzung, die damit einhergehen, mit eigenen Augen.
Der Bachelor in International Management war wie massgeschneidert für mich. Als «Sozial-Unternehmer» kann ich den Studiengang wirklich jedem empfehlen. Ideal ist er vor allem für Leute, die ein Start-Up gründen oder in einer Firma arbeiten wollen, für die man ein breites Spektrum an Kompetenzen braucht.
Khalil Radi

Wie hat sich Buy Food with Plastic in den letzten Jahren entwickelt?
Wir sind gewachsen. Wir sammeln nicht mehr nur Plastik und verteilen Mahlzeiten, sondern setzen weitere Projekte um. Zu Beginn haben wir unsere Bildungsaktivitäten nur bei den Community Events angeboten und mittlerweile sind sie Teil des Unterrichts an Schulen in allen drei Ländern. Ausserdem haben wir ein Projekt namens «Empowerment for Entrepreneurship»: Dabei geht es darum, Menschen vor Ort zu vermitteln, wie sie mithilfe von Unternehmertum aus der Armut herauskommen können. Wir versuchen beispielsweise zu zeigen, wie die Leute aus dem gesammelten Plastik selbst Produkte herstellen können. Die Idee ist, dass die lokale Bevölkerung unsere Projekte eines Tages auch ohne uns weiterführen und davon profitieren können soll. Und zuletzt eine wichtige Veränderung: Unser Team wächst! Seit 2018 gibt es uns bereits, und in den ersten beiden Jahren wurde in der Schweiz alles ehrenamtlich organisiert. Doch seit vier Jahren können wir nun Löhne bezahlen – und das nicht nur hier, sondern vor allem dort, wo unsere Arbeit den grössten Impact hat: in Nicaragua, Ghana und Indien. In diesen Ländern haben wir mittlerweile ein starkes Team aus engagierten Mitarbeitenden, die unsere Vision täglich vor Ort umsetzen.

Welche Pläne gibt es für Buy Food with Plastic?
Wir arbeiten aktiv auf die Unabhängigkeit von Spenden hin. Wir wollen wachsen, mehr Impact und grössere Projekte in Angriff nehmen. Das bedeutet zwar mehr Kosten, aber grössere Projekte bedeuten auch, dass unsere lokale Teams mit der Zeit selbsttragend und ohne Spenden finanziert werden können. Unser grösstes Vorhaben für 2025, um der Selbsttragbarkeit näher zu kommen, ist der Bau einer grösseren Recyclinganlage in Nicaragua. Ein weiteres Projekt, das wir ab 2025 in Nicaragua testen: Wir bieten der Bevölkerung die Möglichkeit, ihre Seifen oder Reinigungsmittel bei uns aufzufüllen. Dazu fahren wir mit einem Lastwagen die Communitys ab und gehen von Haustüre zu Haustür. Recycling ist wichtig – aber noch wirkungsvoller ist es, Plastik von Anfang an zu reduzieren. Jeder Nachfüllvorgang spart nicht nur Abfall, sondern senkt langfristig den Plastikverbrauch und, wenn wir weiter skalieren, sogar die Produktion.

Welche Produkte stellt ihr aus dem gesammelten Plastik her?
Das kommt ganz darauf an, was unsere Kund:innen haben möchten. Aus Plastik kann man so vieles machen, weil mittlerweile ohnehin fast alles daraus besteht. Beispielsweise hat eine Telekommunikationsfirma aus Deutschland 10'000 Eiskratzer von uns bestellt. Sie bezahlen drei Euro pro Stück. So bleiben uns nach Abzug der Produktionskosten etwa 20'000 Euro, die wir verwenden können, um Mahlzeiten zu verteilen und Löhne zu bezahlen. Wenn also jemand dieses Interview liest und weiss, er oder sie braucht ohnehin 100'000 Lichtschalter oder etwas fürs Auto oder sonst irgendetwas: Gebt die Produktion bei uns in Auftrag! Wir können grundsätzlich fast alles herstellen. Entweder selbst oder mithilfe von Partnern. Und das ist doch auch eine tolle Story für potenzielle Kund:innen: Mit eurem Auftrag ermöglicht ihr es uns, Menschen in Armut etwas zu essen geben und unsere Umwelt etwas von Plastik zu befreien.

Du bist ZHAW-Alumnus des Bachelor in International Management. Was hast du aus deinem Studium mitgenommen, das dir jetzt im Business-Alltag hilft?
Ganz ehrlich, ich könnte kein Fach nennen, das mir heute im Alltag nicht hilft. Aus dem Modul «Project Management» habe ich viel Wissen mitgenommen, das für die Leitung unserer Projekte wertvoll ist. Ich habe Verhandlungstechniken erlernt und die Projektarbeit, die man während des Studiums an der ZHAW machen kann, hat mir praktische Erfahrung geschenkt. Das Accounting-Wissen hilft mir heute dabei präzise Budgetpläne für unsere Projekte zu erstellen und anschliessend transparent darzulegen, wie die Spenden eingesetzt werden. Ausserdem konnte ich einen Austausch in Kolumbien absolvieren und dort Spanisch lernen. Die Projekte in Nicaragua wären ohne die Sprache gar nicht möglich. Der Bachelor in International Management war wie massgeschneidert für mich. Als «Sozial-Unternehmer» kann ich den Studiengang wirklich jedem empfehlen. Ideal ist er vor allem für Leute, die ein Start-Up gründen oder in einer Firma arbeiten wollen, für die man ein breites Spektrum an Kompetenzen braucht.

Hast du eine besonders prägende Erinnerung aus dem Bachelorstudium?
Ganz am Anfang des Studiums hat Petra Barthelmess [ZHAW-Professorin und Leiterin des Masterstudiengangs MSc International Business] etwas gesagt, das mir bis heute geblieben ist: «Culture eats strategy for breakfast». Bei unserem allerersten Community Event hat sich diese Aussage direkt bewahrheitet. Einer unsere lokalen Partner meinte zu mir, wir müssten unbedingt eine Piñata für den Anlass kaufen. Ich habe zuerst Nein gesagt: Unser Geld basiert ja auf Spenden, damit können wir nicht einfach machen, was wir wollen. Aber er meinte, wir sollten ihm vertrauen – es herrsche aktuell ein Bürgerkrieg, die Leute brauchten Hoffnung und die Kinder würden es lieben. Was soll ich sagen: Er hatte Recht. Es war ein riesiges Fest und bis heute ist eine Piñata ein fester Bestandteil unserer Community Events. Sie animiert die Leute, mitzumachen, und bringt als kleine Geste so viel Freude. Petra Barthelmess hatte Recht. Man kann so viel Aufwand in die Strategie stecken, wie man will – am Ende zählt das alles nichts, wenn man die lokale Kultur nicht berücksichtigt.
Weitere Einblicke in die ZHAW Abteilung International Business:
Weiterbildung International Management
BSc in International Management
MSc in International Business
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