Gemba
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Katja Rüegg, Christophe Vetterli, Florian Liberatore (V01)
Zusammenfassung
Der Begriff „Gemba“ (Ursprünglich „Genba“) kommt aus dem Japanischen und bedeutet so viel wie „Tatort - der Ort des Geschehens“. Mit Gemba bezeichnet man den Arbeitsplatz im Sinne des Ortes, an dem wertschöpfende (zum Beispiel Dokumentation bei Patientinnen und Patienten) und auch nicht wertschöpfende Prozesse (zum Beispiel Materialsuche im Materiallager) in der Organisation stattfinden. Hinter dem Begriff des Gemba verbergen sich unterschiedlich gelebte Konzepte. Gemba kann als Konzept verstanden werden, dass zweierlei Dimensionen beinhaltet: Eine Alltagsdimension, die sich auf die kontinuierliche Verbesserung (Kaizen) im Alltagsgeschäft und eine Weiterentwicklungsdimension, die sich auf grössere Veränderungen fokussiert. Beide Dimensionen beinhalten die unterschiedlichen Aktivitäten (zum Beispiel mobile oder stationäre Beobachtung, Gespräche mit Mitarbeitenden usw.), die am Ort des Geschehens zur Erkenntnis und Verbesserung führen. Auch die Unterscheidung zwischen Gemba als Ort des Geschehens und dem Gemba-Walk ist in der Literatur nicht klar definiert. In der Praxis hingegen wird der Gemba-Walk als mobile Beobachtungsmethode am Ort des Geschehens gelebt. In diesem Dokument wird Gemba als Werkzeug zur Erfassung und Ausschöpfung von Verbesserungspotential verstanden.
Der Gemba ist die Quelle für die Verbesserung. Ein Gemba (Ohno, 1988) kann als die Aktivität der systematischen Beobachtung von aktuellen Wertschöpfungsprozessen am Ort des Geschehens (Gemba) definiert werden. Die Beobachtung ist fokussiert, zeitlich festgelegt und ermöglicht eine präzise Analyse. Typische Ergebnisse aus Gemba sind Erkenntnisse zu Verschwendungen (Muda) und Verbesserungsmassnahmen. Um einen Gemba durchführen zu können, muss man kein Qualitätsmanagementexperte sein. Jede Person – aus dem Bereich der Pflege bis zum CEO – kann Gembas leben (Allan, 2004). Wichtig ist die Regelmässigkeit und Fokussierung der Durchführung, die dem Gemba als Werkzeug hinterlegt ist (Mann, 2009).
Klar zu unterscheiden ist der Gemba vom Management-by-walking-around, das zwar auch am Ort des Geschehens stattfindet, jedoch keinen vordefinierten Fokus auf die Beobachtung als Motivation hat.
Zielsetzung / Leitfragen für die Praxis
Ein Gemba dient dem Gewinnen von Erkenntnissen aufgrund von Beobachtungen und Austausch vor Ort. Durch den persönlichen Kontakt mit den Mitarbeitenden vor Ort werden diese in die Analyse und Verbesserungsideen miteinbezogen. Ein Gemba ist kein Werkzeug zur Beurteilung von Mitarbeitenden. Wie der Lean-Vision unterliegt dem Gemba als Werkzeug das Prinzip des Respekts für den Einzelnen. Ziel eines Gemba-Walks ist die Identifikation von Verschwendungen und Optimierungspotenzialen. An den folgenden Leitfragen kann sich die Praxis für den Einsatz von Gemba orientieren. Diese Fragen fokussieren ein bereits implementiertes Gemba-Werkzeug:
- Was ist der Fokus dieses Gemba?
- Warum ist dieser Fokus gewählt worden?
Es hilft, sich zu vergewissern, dass parallel zu qualitativen Beobachtungen und Austausch quantitative Daten auf tagesaktueller Basis generiert werden. Zusammenfassend geht es darum, dass sich das Gemba-Team die Frage stellt: Was machen wir, um zu helfen?
Da der Gemba ein elementarer Teil des Führungsstandards („Leader Standard Work“) ist, müssen gerade Führungspersonen lernen, vor Ort die Probleme und Herausforderungen zu erkennen. Ist bereits Erfahrung in Gemba auf einer Führungsstufe vorhanden, kann diese Person als Coach fungieren und das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung der Belegschaft näher bringen. Es gilt, die Mitarbeitenden darauf zu sensibilisieren, den Gemba als Quelle der Verbesserung zu erkennen, Probleme proaktiv aufzudecken und zu diskutieren sowie Prozesse zu verbessern (Toussaint & Berry, 2013).
Voraussetzungen / Notwendige Ressourcen
Um Gemba im richtigen Kontext durchzuführen, muss in der Beobachtungszone ein klares Verständnis darüber herrschen, dass es nicht um die Beurteilung von einzelnen Mitarbeitenden geht. Es geht vielmehr darum, dass gemeinsam an Verbesserungen gearbeitet wird.
Die Erfahrung zeigt, dass in einer ersten Phase die Beobachtungen idealerweise durch ein Gemba-Team durchgeführt werden sollte, das aus internen und externen Experten zusammengesetzt ist. Die sorgfältige Auswahl von Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten und weiteren Angestellten des Spitals stellt einer der ersten Erfolgsfaktoren dar. Das Heranziehen externer Experten erhöht die Dynamik und hilft dem Team, den nötigen Abstand zur Innensicht zu gewährleisten. Langfristig sollen Gembas ein Teil des alltäglichen Führungsinstrumentariums werden. Aus kurzfristiger Perspektive muss das durchführende Team aus dem Tagesgeschäft herausgenommen werden. Für die zwischen- oder nachgelagerten Transfer-Sessions, in denen Eindrücke geteilt, Fragen und Lösungen diskutiert werden, hilft ein separater Raum, bestenfalls in der Nähe der Gembazone (Walker & Betz, 2012). Der Fokus der Verbesserung kann über die Länge eines Gemba entscheiden. Falls eine kontinuierliche Verbesserung im Alltagsgeschäft erreicht werden soll, genügt aus Sicht der Praxis eine kürzere regelmässige Sequenz. Wird eine tiefergreifende Weiterentwicklung angestrebt, kann der Gemba auch über längere Zeit, zum Beispiel drei Tage, stattfinden (zum Beispiel zu Beginn eines (Teil-)Projekts).
Es lohnt sich, für die Gemba-Teams ein vorgefertigtes Gemba-Paket zusammenzustellen.
Detailbeschreibung des Tools
Taichi Ohno, der Geschäftsführer von Toyota, führte das Konzept des Gemba ein. Dieser hat das Ziel, Mitarbeitenden und vor allem auch dem Management die Möglichkeit zu geben, Aktivitäten „von aussen“ zu betrachten und Verbesserungspotenziale zu ermitteln (Ohno & Bodek, 1988).
Elemente eines Gemba:
Methodisches Vorgehen nach Walker & Betz (2013):
1 / Analysieren der Aktivitäten durch Beaobachten vor Ort
In dieser ersten Phase wird der IST-Prozess aufgenommen. Man unterscheidet dabei zwischen fixen und mobilen Beobachtungen. Ein Teil des Teams konzentriert sich auf die Situation vor Ort und das Zusammenspiel der Flüsse. Der andere Teil verfolgt die Wege eines Flusses oder einer Rolle. Dabei geht man einer Person hinterher, notiert beobachtete Aktivitäten, stoppt die Zeiten für die Tätigkeiten und zeichnet die unterschiedlichen Wege von Patientinnen und Patienten, Mitarbeitenden oder Material auf dem Grundriss ein (vgl. Spaghetti-Diagramm). Es wird jedoch nicht ausschliesslich beobachtet. Zum Gemba gehört auch das Gespräch mit den Mitarbeitenden. Die Beobachtung dient dazu, Abläufe zu erkennen. Im Gespräch können die Art und Weise einer Tätigkeit erläutert werden. Im Plenum werden die Erkenntnisse gesammelt, diskutiert und auf Plakaten festgehalten.
Mithilfe des vorbereiteten Gemba-Pakets können die unterschiedlichen Beobachtungsresultate strukturiert erfasst werden.
Eine zentrale Brille für einen Gemba ist die Patientenerlebnissicht. Sich „in die Schuhe des Patienten“ zu begeben, hilft die Bedürfnisse und Probleme von Patientinnen und Patienten fokussiert zu erfassen. Dieser spezifische Blickwinkel erhöht den Fokus der Mitarbeitenden noch zusätzlich, um kontinuierliche Verbesserungen zu realisieren (Jenkins & Gisler, 2012).
2 / Identifikation der Brennpunkte
In einer zweiten Phase werden die wichtigsten Brennpunkte identifiziert. In Kleingruppen verfolgt das Gemba-Team nochmals spezifische Brennpunkte, welche sich aus den zusammengetragenen Erkenntnissen ergaben. Sie versuchen im Austausch mit den Mitarbeitenden das Problem anzusprechen und so viele Informationen wie möglich zu diesem Ablauf zu erhalten.
3 / Erkennen von Verschwendungen – Muda
Als Drittes fokussiert sich das Gemba-Team auf die sieben Arten der Verschwendung (die 7 Mudas). Sie werden auf den Beobachtungsgängen festgehalten und schliesslich im Plenum konsolidiert. Daraus lassen sich dann Verbesserungspotenziale ableiten.
4 / Entwicklung von Verbesserungsmöglichkeiten
In der letzten Phase werden bei der Transfer-Session Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert und erste Ansätze zur Optimierung getestet.
Stärken und Schwächen
Herausforderungen
Für das Projektteam ist es nicht immer einfach, objektiv zu bleiben und sich gänzlich aus den Abläufen herauszuhalten. Es besteht die Versuchung, die Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen bei Fragen und Problemen während der Durchführung des Gemba zu unterstützen. Ausserdem ist es schwierig, so viel Abstand zu gewinnen, dass die Prozesse und Aktivitäten kritisch reflektiert werden, ohne sich selbst damit zu stark zu identifizieren.
Eine weitere Herausforderung ist, dass die Mitarbeitenden ihr natürliches Verhalten allein durch die Tatsache ändern, dass sie beobachtet werden. Dies ist besonders in Institutionen zu beobachten, die noch ganz am Beginn ihrer Gemba-Entwicklung sind.
Stärken
Die Vorteile des Gemba bestehen in einer praxisbezogenen Umsetzung, welche einigen Freiraum ermöglicht. Sie zwingt das Führungspersonal dazu, sich mit den effektiven Prozessen vor Ort zu beschäftigen und so konkrete Verbesserungspotentiale zu erkennen.
Schwächen
Es gibt aber auch negative Seiten: Zum einen besteht die Gefahr einer Fehlinterpretation durch die Beobachtungspersonen, zum anderen ist die Wahrnehmung als stets subjektiv zu bewerten. Zudem können Führungspersonen in der Beobachtungsrolle oft auch voreingenommen sein. Darum lohnt es sich immer, im Team einen Gemba durchzuführen.
Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:
Rüegg, K. & Vetterli, C. (2016). Gemba. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK – Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge, Version 1.0. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch
Literatur
“Get into Gemba. American Society for Quality.” kellyallan.com. Am 25. April 2017 abgerufen von:http://asq.org/qic/display-item/?item=19520
Jenkins, J. & Gisler, P. (2012). Let my patients flow. Industrial Engineer. 44(5), S. 39-44.
Mann, D. (2009). The missing link: Lean leadership. Frontiers of Health Services Management, 26(1), S. 15-26.
Ohno, T. (1988). Toyota Production System: Beyond Large-Scale Production. Cambridge, MA: Productivity Press.
Toussaint, J. & Berry, L. (2013). The Promise of Lean in Health Care. Mayo Clinic Foundation for Medical Education and Research. 88 (1). S. 74-82.
Walker, D. & Betz, P. (2012). Jetzt kommt der Patient. Das Notfall-Flusskonzept. Zürich: walkerproject ag.
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