Die Erbrechtsrevision und ihre Bedeutung für das Nachlassfundraising im Überblick
Per 1. Januar 2023 ist das neue Erbrecht in Kraft getreten. Das Zentrum für Kulturmanagement hat die Neuerungen zusammengefasst und Expert:innen im Bereich Erbrecht und Nachlassfundraising dazu befragt.
Anfang Jahr ist in der Schweiz das revidierte Erbrecht in Kraft getreten. Die Erbrechtsrevision beinhaltet unter anderem eine Reduzierung der Pflichtteile. Erblasser:innen können somit freier über Ihren Nachlass verfügen. Das Zentrum für Kulturmanagement (ZKM) hat bei Dr. iur. Philip Laternser, Fachanwalt für Erbrecht bei Kellerhals Carrard, nachgefragt, welche Bedeutung das neue Erbrecht für Nonprofit-Organisationen (NPO) hat: «Für NPO birgt das neue Erbrecht Chancen: Die Abschaffung bzw. Reduktion von Pflichtteilen hat zur Folge, dass Erblasser:innen über einen grösseren Anteil ihres Vermögens frei verfügen können, wenn sie Eltern oder Nachkommen hinterlassen. Davon werden auch NPO profitieren.»
Änderung der Pflichtteile
Im neuen Erbrecht wurde der Pflichtteil der Eltern ersatzlos gestrichen. Der Pflichtteil der Nachkommen wurde von drei Viertel auf die Hälfte der gesetzlichen Erbquote herabgesetzt. Bei Ehegatt:innen und eingetragenen Partner:innen bleibt der Pflichtteil unverändert und beläuft sich weiterhin auf die Hälfte der gesetzlichen Erbquote.
Testamente, die unter altem Erbrecht verfasst wurden, bleiben weiterhin gültig. Personen, die bereits ein Testament verfasst haben, sollten im Zuge der Erbrechtsrevision daher überprüfen, ob die darin formulierte Quote – sofern eine erwähnt wird – an Nachkommen und Eltern weiterhin ihrem Willen entspricht oder ob eine Anpassung gemäss dem neuen Pflichtteilsrechts gewünscht ist. Liegt kein Testament vor, fällt auch die freie Quote an die gesetzlichen Erben. Laut Familien- und Erbrechtsexpertin Dr. Gisela Kilde ist es für NPO aber von Vorteil, nicht als Erbe eingesetzt zu werden, da die NPO als Gesamtnachfolger des Erblassers alle Rechte und Pflichten übernimmt und somit auch für Erbschaftsschulden haftet. Vorteilhafter für NPO ist es, als Legatar eingesetzt zu werden. Bei einem Legat wird ein festgelegter Geldbetrag oder Wertgegenstand vermacht.
Begriffserläuterung Nachlassfundraising
Abgeleitet vom englischen Begriff Legacy-Fundraising (Legacy = Erbe) spricht man in der Schweiz häufig vom Legate-Marketing oder Legate-Fundraising. Da ein Legat (= Vermächtnis) in der Schweiz erbrechtlich eine besondere Form der testamentarischen Zuwendung beschreibt, wird Nachlassfundraising als übergeordneter Begriff verwendet. Der Begriff Nachlassmarketing beschreibt neben dem Einwerben von Nachlassspenden auch die Sensibilisierungsarbeit zum Thema gemeinnütziges Vererben.
Exkurs Nachlassfundraising in der Schweiz
Während bei einem Legat ein festgelegter Geldbetrag oder eine Wertsache an eine NPO vermacht wird, erhält die NPO bei einer Erbschaft einen prozentualen Anteil des Nachlasses, sofern dies entsprechend im Testament verankert ist. Gemäss dem Spendenreport von Swissfundraising und der Stiftung Zewo berücksichtigte im Jahr 2021 jedes 14 Testament eine NPO. Da nur jede fünfte Person in der Schweiz ein Testament verfasst, handelt es sich dabei um einen kleinen Teil der Bevölkerung, der gemeinwohlorientiert vererbt. Bei Legaten belief sich die gespendete Summe im Jahr 2021 auf 220 Millionen Franken. Das entspricht gemäss dem Spendenreport 17 Prozent aller Spenden. In der Tendenz ist bei den Spenden aus Legaten über die letzten zehn Jahre eine deutliche Erhöhung erkennbar. Die gesellschaftliche Enttabuisierung des Themas Tod sowie Werbekampagnen von grösseren NPO wie Greenpeace und dem inzwischen inaktiven Verein My Happy End dürften dazu beigetragen haben.
Rechtsexpert:innen zur Bedeutung der Erbrechtsrevision für das Nachlassfundraising
Das ZKM hat die beiden Rechtsexpert:innen gefragt, welches Vorgehen sie NPO im Zuge der Erbrechtsrevision beim Nachlassfundraising raten:
«Die Erbrechtsrevision kann als wichtiger Ankerpunkt der Kommunikation genutzt werden – Webseiten und Broschüren sollten entsprechend angepasst werden. Gönner:innen können darauf aufmerksam gemacht werden, dass durch die Erbrechtsrevision die freie Quote erhöht wurde und sich entsprechend das erstmalige Errichten eines Testaments oder eine Anpassung des Testaments ermöglicht NPO zu begünstigen. Für die NPO kann es eventuell auch interessant sein, für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen oder auf der Webseite konkret ihren Bedarf zu nennen, um damit allenfalls ein zielgerichtetes Legat zu erhalten.»
Dr. Gisela Kilde, Familien- und Erbrechtsdozentin, ZHAW
«Es ist zu prüfen, ob NPO im Rahmen ihres Nachlass- und Legatefundraising Hand bieten, bisherige Testamente und Erbverträge im Lichte des neuen Pflichtteilsrechts zu überprüfen und – gegebenenfalls unter Beizug eines Notars – anzupassen.»
Dr. iur. Philip Laternser, Fachanwalt für Erbrecht bei Kellerhals Carrard
Fundraisingexpert:innen zur Bedeutung der Erbrechtsrevision für das Nachlassfundraising
Im Interview haben wir mit Thomas Witte, Präsident Allianz für das Allgemeinwohl und Leiter Marketing & Kommunikation Pusch, und Muriel Bonnardin, Major Donor & Foundations vormals Greenpeace Schweiz, neu Zürcher Tierschutz, über die Erbrechtsrevision gesprochen. Sie beide dozieren im CAS Fundraising Strategies zum Thema Nachlassmarketing.
Wie schätzen Sie die Auswirkung der Erbrechtsrevision auf das Nachlassmarketing ein?
An der quantitativen Situation ändert sich eigentlich nichts: Noch immer machen nur wenige Menschen ein Testament und noch viel weniger berücksichtigen darin das Gemeinwohl. Ob und wie viele Menschen nun den grösseren Spielraum ausserhalb der gesetzlichen Erbfolge in der gewachsenen freien Quote nutzen, wissen wir (noch) nicht. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir aus Umfragen und Hochrechnungen Anhaltspunkte dafür haben, ob die Erbrechtsrevision etwas im Markt ändert. Die Erbrechtsrevision bietet jedoch ein sehr guter Anlass, darüber zu kommunizieren, dass Testamente eine gute Möglichkeit sind, um Organisationen über das Lebensende hinaus zu unterstützten. Zudem können Sie darauf hinweisen, dass der Handlungsspielraum für eine Unterstützung grösser geworden ist. Menschen, die mit ihren testamentarischen Widmungen an die Grenze des bisher Möglichen gegangen sind, sind vielleicht bereit, auch den neuen, grösseren Spielraum auszuschöpfen. Das führt zwar nicht zu mehr gemeinnützigen Testamenten, aber zu einem grösseren Erbschaftsvolumen für NPO in der Schweiz.
Welche neuen Herausforderungen stellen sich im Bereich des Nachlassmarketings durch das neue Erbrecht?
Wer Informationen in Erbschaftsbroschüren oder auf der eigenen Website bereitstellt, sollte diese dringend den neuen rechtlichen Gegebenheiten anpassen. Die Gelegenheit, über die Revision aktiv zu kommunizieren, sollte man nicht ungenutzt verstreichen lassen. Handkehrum kann durch die unkoordinierte Erbschaftskommunikation vieler verschiedener NPO die Gefahr entstehen, dass Spender:innen von allen Seiten auf neue Erbrecht aufmerksam gemacht werden und sich dadurch gedrängt fühlen. Auf den Entscheid, eine oder mehrere NPO im Testament zu berücksichtigen, könnte sich das negativ oder neutral auswirken. Die Herausforderung fürs Nachlassmarketing ist die diplomatische Formulierung und die Diversität der Kommunikation zum Thema neues Erbrecht. Es lohnt sich zu prüfen, wie andere Organisationen – insbesondere diejenigen, die im gleichen Feld arbeiten und möglicherweise die gleichen Spender:innen haben – zum Thema kommunizieren, um dann für sich zu entscheiden, wie und mit welchen Massnahmen man das Thema kommunizieren könnte, um eventuell anders in Dialog zu treten.
Was ändert sich konkret im Arbeitsalltag der Fundraiser:innen?
Eigentlich nichts. Eine Strategie, Ressourcen und Kreativität in der Kommunikation zu diesem besonderen Thema brauchte man auch vor der Revision. Sensibilisierung ist weiter ein wichtiges Thema. Mit anderen zusammenzuspannen war und ist eine gute Idee. Ein Tabu ist das Reden über das Sterben und Vererben schon lange nicht mehr, nicht zuletzt, weil die Branche es schafft, gemeinsam zu kommunizieren.
Was raten Sie Fundraiser:innen angesichts der Erbrechtsrevision?
Ich rate dringend, den Anschluss nicht zu verpassen. Es ist sogar erlaubt, auf den bereits fahrenden Zug aufzuspringen. Wer noch nicht in das Nachlassmarketing investiert: Selten war die Gelegenheit besser als jetzt.
Das ZKM-Team bedankt sich bei den Expert:innen für die Auskünfte.
WBK Nachlassfundraising
Möchten Sie sich vertieft mit Nachlassfundraising und -marketing befassen? Der Weiterbildungskurs (WBK) Nachlassfundraising greift die wichtigsten Neuerungen rund um die Erbrechtsrevision auf und die Dozierenden vermitteln einen Einblick ins Nachlassfundraising und -marketing sowie in die Grundlagen des Erbrechts inkl. Erbstiftung.
Weitere Angebot im Fundraising Management
Informieren Sie sich über unsere Weiterbildungen im Bereich Fundraising. Im CAS Fundraising Strategies liegt der Fokus auf den strategischen Aspekten des Fundraising sowie auf Major Donor Fundraising. Für Akteuer:innen der Kulturbranche bieten wir den WBK Kulturfundraising an. Dieser vermittelt die wichtigsten Fundraising- und Sponsoring-Instrumente sowie deren praktische Umsetzung im Kulturbereich.
Wir beraten Sie gerne und unterstützen Sie in Ihrer individuellen Studienplanung. Kontaktieren Sie uns über das Beratungsformular und wir melden uns gerne bei Ihnen.