Female Leadership und Unternehmertum im Kulturbereich: Interview #3 mit Sarah Wendle
Das dritte Interview im Rahmen unserer «Female Leadership und Unternehmertum im Kulturbereich»-Reihe haben wir mit Sarah Wendle, kaufmännische Leiterin des Zürcher Theater Spektakels, geführt. Wir erhalten spannende Einblicke, wie ihre Lust nach Veränderung zum Sprung ins kalte Wasser führte, warum sie die Arbeit im Führungsteam schätzt, mit welchen Herausforderungen sie als Führungsperson konfrontiert ist und welche Rolle für sie Diversität in der Erweiterung neuer Denkräume spielt.
Sarah Wendle, 38, geboren in Lahr, Süddeutschland, ist seit Oktober 2020 kaufmännische Leiterin des Zürcher Theater Spektakels. Sie studierte an den Universitäten Köln und Buenos Aires u.a. Geschichte und Politikwissenschaften und schloss 2011 mit dem Diplom als Regionalwissenschaftlerin ab. Im selben Jahr verschlug es sie eher zufällig für ein Praktikum nach Zürich. Ab 2013 arbeitete sie beim Rotpunktverlag als Lektorin, Programmleiterin Sachbuch und zuletzt als kaufmännische Leiterin. Von 2016 bis 2018 absolvierte sie an der School of Management and Law der ZHAW in Winterthur berufsbegleitend die Ausbildung zum MAS Arts Management.
(Foto Copyright: Kira Barlach / Zürcher Theater Spektakel)
Seit Herbst 2020 sind Sie die kaufmännische Leiterin des Zürcher Theater Spektakels. Zuvor waren Sie lange Zeit im Verlagswesen tätig. Was hat Sie zum Branchenwechsel bewogen?
Ich habe meine berufliche Laufbahn im Verlagswesen begonnen, war im Zürcher Rotpunktverlag zunächst Lektorin, dann Programmleiterin und habe schliesslich relativ früh, mit Mitte Dreissig, die Möglichkeit erhalten, in die Geschäftsleitung einzusteigen. Für diese Chance bin ich rückblickend enorm dankbar, und wir haben mit dem Verlag in dieser Zeit des Generationenwechsels ein schwieriges Stück Weg geschafft. Die Ausschreibung für die Stelle der kaufmännischen Leiterin des Zürcher Theater Spektakels flog mir buchstäblich über Nacht zu, genau zur Zeit des ersten Lockdowns. Da lag für mich auf einmal Lust auf Veränderung in der Luft. Festivalerfahrung? Hatte ich keine. Ich bin ins kalte Wasser gesprungen. Meine Motivation speist sich aus einer langjährigen persönlichen Begeisterung für das Theater Spektakel und die Inhalte, die es transportiert, sowie dem Reiz, das Wirkungsfeld zu erweitern, sprich innerhalb eines grösseren, städtischen Kontexts agieren zu können. Die Zürcherinnen und die Zürcher lieben diesen kulturellen Sommerausklang auf der Landiwiese – das gilt auch für mich als Neuzürcherin, und es erfüllt mich durchaus mit Stolz, ein Teil davon sein zu dürfen.
Was macht für Sie persönlich eine gute «Leaderin», einen guten «Leader» aus?
Ich habe viele Jahre in einem kleinen Team mit flachen Hierarchien gearbeitet, das hat mich geprägt. Für mich gehört es zu den wesentlichen Qualitäten einer guten Führungsperson, wenn sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Augenhöhe begegnet. Gleichzeitig sollte man – gerade als vergleichsweise junger Mensch in einer Führungsposition – auch keine Angst haben, sich zu exponieren. Man muss mit Verantwortung umgehen können, und ich würde sogar behaupten, das gelingt besser, je kritikfähiger man ist. Daneben ist Teamplay für mich ganz wichtig. Konkret in meiner jetzigen Position, in der ich mit Menschen zusammenarbeite, die zum Teil seit Jahren oder sogar Jahrzehnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Festivals sind, ist diese Fähigkeit vermutlich matchentscheidend. Um eine «Kiste» wie das Theater Spektakel zu stemmen, müssen alle anpacken. Leidenschaft und ein echter innerer Antrieb sind für mich zentral. Das überträgt sich hoffentlich auch auf die Menschen um mich herum.
Die Festivalleitung des Theater Spektakels setzt sich aus Matthias von Hartz, künstlerischer Leiter, Veit Kälin, technischer Leiter, sowie Ihnen als kaufmännische Leiterin zusammen. Nicht nur in der Kultur, sondern auch in anderen Branchen trifft man immer häufiger auf «Führungsteams». Wie erleben Sie die Führung im «Dreiergespann»? Welche Besonderheiten bringt die Arbeit in Führungsteams mit sich?
Ich habe bereits in meiner letzten Position in einer Co-Leitung gearbeitet und schätze die Arbeit im Führungsteam sehr. Idealerweise kommen dabei unterschiedliche Charaktere und Denkweisen zusammen, was durchaus ein bisschen interne Übersetzungsarbeit erfordern kann, aber darin findet ja immer auch schon ein erster Realitätscheck der eigenen Ideen statt. Ich bin der festen Auffassung, dass man auf diese Weise zu besseren Entscheidungen kommt. Allerdings würde ich Führungsteams immer zu einer Begleitung, etwa in Form einer Supervision, raten – und zwar prophylaktisch; es muss dafür gar nicht erst ein Konflikt auf dem Tisch oder unter dem Teppich liegen! Die Dynamik ist immer komplex, auch wenn die Chemie stimmt.
Obwohl in der Kultur viele Frauen tätig sind – auch bei uns ist die Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen weiblich –, sind die Führungspositionen dennoch häufig überwiegend von Männern besetzt. Wie erklären Sie sich das?
Das hat in meinen Augen mit einem überholten Verständnis von Führung zu tun und mit einem Bewahrungsdenken, das dazu führt, dass bei Stellenbesetzungen noch allzu gern auf die bewährten Zirkel und Mechanismen zurückgegriffen wird. Man muss das aktiv aufbrechen und Einfallstore schaffen, durch die neue Leute eintreten können. Für Diversität in jeder Hinsicht – nicht nur im Hinblick auf Frauen, sondern auch auf gesellschaftliche Minderheiten – braucht es Vorbilder auf diesen Positionen. Glücklicherweise wandelt beziehungsweise erweitert sich derzeit in vielen Institutionen das Verständnis von Führung. Das muss es auch, denn nur so können wir unsere Denkräume dahingehend erweitern, dass auch eine vierzigjährige Frau mit Familie und «ohne Regierungserfahrung», wie derzeit überall betont wird, deutsche Bundeskanzlerin werden kann! Wenn ich das mit den politischen Vorbildern meiner Jugend vergleiche, dann beflügelt mich die Vorstellung, dass junge Frauen – und im Übrigen auch junge Männer – heute einen anderen Führungsstil vorgelebt bekommen. Das beeinflusst mich jetzt mit Ende Dreissig, und die nächste Generation wird da noch mal mit einem ganz anderen Selbstverständnis auftreten, da bin ich mir sicher, sei es in der Politik, in der Kultur oder in der Wirtschaft.
Sie haben bei uns erfolgreich den MAS Arts Management absolviert. Mit welchen Herausforderungen ist man als Führungsperson konfrontiert, auf die man sich schwer in der «Theorie» vorbereiten kann?
Tatsächlich tauchen viele übergeordnete Fragestellungen aus der Weiterbildung in meiner täglichen Arbeit immer wieder auf – insofern hat die Theorie die Realität gar nicht so schlecht eingefangen. Das hat in meinem konkreten Fall sicherlich damit zu tun, dass meine Aufgabe als Co-Leiterin des Theater Spektakels in der Kulturabteilung der Stadt Zürich angesiedelt ist, sodass die kulturpolitische und die Verwaltungs-Ebene, aber auch rechtliche Fragen eine grosse Rolle spielen. Eine zentrale Herausforderung besteht sicher darin, den Bedürfnissen sehr vieler Anspruchsgruppen gerecht zu werden, die bei einem Festival dieser Grössenordnung zusammenkommen – Publikum, Künstlerinnen und Künstler, rund zweihundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Sponsoren, Stiftungen, Fachleute, potenzielle neue Zielgruppen, usw. Zwischen all dem einen Weg zu finden, um das Festival inhaltlich und strategisch weiterzuentwickeln und dabei möglichst viele dieser Gruppen mitzunehmen, erachte ich als äusserst komplex, und darauf kann die Theorie nur bedingt vorbereiten. Auch in diesem Punkt empfinde ich die Struktur der Co-Leitung als Bereicherung. Als Resonanzraum für die Frage: «Wohin wollen wir? Und wie kommen wir dort hin?»
Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, was würden Sie Ihrem «jüngeren Ich» heute raten?
Ich habe mein geisteswissenschaftliches Studium voll ausgekostet und ehrlich gesagt auch nicht das fünfzehnte Praktikum gemacht, sondern meine Semesterferien eher in Nebenjobs und auf Reisen verbracht. Diese Jahre des Suchens und Findens waren für mich extrem wichtig. Insofern würde ich meinem «jüngeren Ich» wohl vor allem wieder dazu raten, sich Zeit zu nehmen und so viel wie möglich auszuprobieren. Zwanzigjährige, die genau wissen, was sie wollen, sind mir oft ein bisschen unheimlich. Das sage ich ein wenig im Spass, denn das kann ja auch eine enorme Stärke sein: Meine Cousine ist Anfang Zwanzig und weiss seit vielen Jahren, dass sie Kinderärztin werden will; und während sie hartnäckig auf ihren Studienplatz wartet, macht sie jetzt erst mal eine Ausbildung in einer Praxis. Davor habe ich höchsten Respekt, gerade weil ich in dem Alter weit von dieser Zielstrebigkeit entfernt war. Auch das schätze ich am Kulturbereich: dass die Branche vergleichsweise durchlässig ist für unterschiedliche, nicht immer total geradlinige Lebenswege.
Welche Frauen inspirieren Sie?
Da kommen mir auf Anhieb vor allem schreibende Frauen in den Sinn: Autorinnen und Kolumnistinnen, die in den letzten Jahren den öffentlichen Diskurs über Fragen von Macht und Gender geprägt haben, Carolin Emcke beispielsweise, oder Margarete Stokowski. Die beeindruckendste Frau, die ich in der letzten Zeit kennenlernen durfte, ist sicherlich die italienische Rechtsmedizinerin Cristina Cattaneo, die sich mit einer unglaublichen Energie dafür einsetzt, die Opfer der Schiffskatastrophen im Mittelmeer zu identifizieren, gegen alle Trägheit und Widerstände von Politik und Behörden. Engagement finde ich sehr inspirierend. Daneben habe ich so viele tolle Frauen in meinem persönlichen Umfeld, die ihre Ziele verfolgen, sei es als Buchhändlerin, Journalistin, Sexualtherapeutin oder Fussballtrainerin – einer Herrenmannschaft, wohlgemerkt … Mich inspirieren auch Männer, die keine Angst vor Frauen in Führungspositionen haben.
Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!
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