Crowdworking - Selbstständig oder angestellt?
Uber, Airbnb und Co., die via Internet Aufträge vermitteln, schaffen neuartige Arbeitsverhältnisse, die nicht unumstritten sind.
Uber stösst weltweit auf Widerstand. Das Unternehmen, das über eine App Fahrdienste vermittelt, versteht sich nicht als Arbeitgeber. Es weigert sich folglich, Sozialabgaben zu leisten und arbeitsrechtliche Schutzvorgaben zu akzeptieren. Die Chauffeure geniessen beispielsweise keinen Anspruch auf Ruhezeiten und können von einem Moment auf den anderen ausgeschlossen werden. Taxiunternehmen ist dies ein Dorn im Auge. «Die Digitalisierung der Wirtschaft führt zu neuen Arbeitsformen», sagt Philipp Egli, Leiter des ZHAW-Zentrums für Sozialrecht (ZSR). Diese bewegten sich häufig an der Grenze zwischen selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit. Daraus ergebe sich Klärungsbedarf.
Aufträge werden online vergeben
Mit seinem Team arbeitet Egli an einem Ratgeber zum Thema Crowdworking. Darunter fallen vielerlei Tätigkeiten, die übers Internet vermittelt werden und teilweise nur minimal entschädigt werden. «Die EU geht von einem starken Wachstum solcher Arbeitsverhältnisse aus», sagt Egli. Für die Schweiz gebe es bislang kaum Erhebungen. Zusammen mit Christoph Hauser, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Luzern, ist er daher daran, ein Forschungsprojekt aufzugleisen (siehe Box). Dieses soll aufzeigen, wie stark Crowdworking hierzulande verbreitet ist, welche Risiken sich daraus ergeben und wie der Gesetzgeber reagieren könnte. Entscheidungsträger und Betroffene wollen sie damit gleichermassen erreichen.
Uber bestimmt derzeit die Schlagzeilen. Doch auch bei Pflegerinnen, Reinigungskräften oder Mikrojobbern, die online zu ihren Aufträgen gelangen, stellt sich die Frage, ob sie selbstständig oder unselbstständig tätig sind. Die Gesetzgebung gibt zwar gewisse Kriterien vor. Gemäss Arbeitsrecht gilt als selbstständig, wer nicht in einen Betrieb eingegliedert ist und keine Weisungen entgegennehmen muss. Das Sozialversicherungsrecht qualifiziert als selbstständig, wer ein unternehmerisches Risiko trägt und seine Arbeit frei organisieren kann. Viele Beschäftigungsverhältnisse bewegen sich aber irgendwo dazwischen.
Das Bundesgericht hat sich bereits mit Dutzenden Konstellationen befasst, so etwa mit dem Fall von Franchisenehmern. Sie stünden faktisch in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis vom Franchisegeber wie ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber, urteilte es. Daher sei es gerechtfertigt, dass sie von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften profitierten und zum Beispiel vor einer missbräuchlichen Kündigung geschützt seien. Wegweisende Entscheide fällten die Lausanner Richter des Weiteren in Bezug auf freie Journalisten. Diese sind arbeitsorganisatorisch zwar nicht in einen Verlag oder in eine Redaktion eingebunden. Arbeiten sie jedoch regelmässig für einen Arbeitgeber, sind sie von diesem wirtschaftlich abhängig. Versicherungstechnisch werden sie daher meist als unselbstständig eingestuft. Dasselbe gilt für Dolmetscher, Telefonmarketing-Angestellte sowie gewisse EDV-Spezialisten.
Komplexe Konstrukte
Entscheidend sei das jeweilige Arbeitsverhältnis, sagt ZHAW-Vertreter und Anwalt Egli. Dieses gelte es genau unter die Lupe zu nehmen. «Die Rechtsprechung hat die Tendenz, Arbeitsformen bei wirtschaftlicher Abhängigkeit einer Partei zumindest als arbeitnehmerähnlich zu qualifizieren.» Dahinter stehe die Absicht, Erwerbstätige möglichst abzusichern. Mit der Digitalisierung müsse man das Rad nicht neu erfinden, sagt er. Allerdings ergäben sich neue Schwierigkeiten. Dazu zählten etwa die Rolle der Plattformen oder die internationale Vernetzung.
Crowdworking-Plattformen wie Amazon Mechanical Turk, die Kleinstaufträge vergeben, haben ihren Hauptserver oft in den USA. Die Mikrojobber arbeiten ortsungebunden und sind typischerweise in Niedriglohnländern wie Indien, China oder Russland zu finden. Sie sozialrechtlich besser abzusichern, ist entsprechend schwierig. Eine Möglichkeit wäre, dass sich die Staaten auf griffige internationale Mindeststandards einigten. «Doch dieser Weg ist noch weit», sagt Egli. Immerhin sei das Thema auf die Agenda internationaler Akteure wie der Europäischen Union und der Internationalen Arbeitsorganisation gerückt. Zudem gebe es Initiativen der Zivilgesellschaft für eine faire digitale Wirtschaft.
Auch Uber ist international vernetzt. Der Fahrdienstvermittler ist in San Francisco gegründet worden, Uber Schweiz untersteht einer Holding in Amsterdam. Geht es nach der Schweizerischen Unfallversicherung (Suva) soll das Unternehmen hierzulande künftig Sozialabgaben leisten. Sie spricht von einem klaren Abhängigkeitsverhältnis: «Will der Fahrer keine schwerwiegenden negativen Konsequenzen tragen, müssen sämtliche Weisungen, Vorgaben, Hinweise und Empfehlungen von Uber beachtet werden.»
«Die Rechtsentwicklungen in anderen Staaten werden von der Justiz wahrgenommen. Doch der rechtliche oder regulatorische Kontext kann sehr unterschiedlich sein.»
Philipp Egli
«Umfassende Kontrolle»
Nicht ein einzelnes Kriterium führe zu einer solchen Beurteilung, sagt ZSR-Leiter Egli. Ausschlaggebend sei vielmehr, wie stark der Betroffene insgesamt eingebunden sei. Tatsächlich haben sich Uber-Fahrer an vielerlei Vorgaben zu halten. Diese betreffen nicht nur die Preisgestaltung und die Abrechnungsart, sondern auch das Fahrzeug und ihr Verhalten. Die Suva kommt zum Schluss, dass Uber eine umfassende Kontrolle über die Fahrer ausübe und diese daher nicht als selbstständig qualifiziert werden könnten. Im Kanton Zürich, wo über 1000 Uber-Chauffeure im Einsatz stehen, soll die Firma folglich Beiträge für die AHV, die Arbeitslosenkasse und die Unfallversicherung zahlen. Die Sozialversicherungsanstalt (SVA) verlangt eine Nachdeklaration.
Bundesgericht dürfte letztes Wort haben
Uber hat kürzlich mit einem eigenen Gutachten reagiert. Wie das Unternehmen betont die Lausanner Professorin Bettina Kahil-Wolff darin die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit. Die Fahrer könnten selbst entscheiden, ob, wann, wie oft und wo sie Einsätze übernähmen, schreibt sie in dem Auftragsgutachten. Sie seien zudem frei, für Konkurrenten zu arbeiten, und trügen ein gewisses unternehmerisches Risiko.
Der Fall beschäftigt die Juristen – nicht nur in der Schweiz, wo sich letztlich das Bundesgericht damit befassen dürfte. In Spanien und Holland ist der Dienst verboten, in Frankreich ist er nur noch eingeschränkt zugelassen. «Die Rechtsentwicklungen in anderen Staaten werden von der Justiz durchaus wahrgenommen», sagt Egli. Einzelne Urteile würden in der Schweizer Lehre thematisiert. Allerdings könne der rechtliche beziehungsweise regulatorische Kontext je nach Land doch sehr unterschiedlich sein. Egli spricht daher von einer «Inspirationsquelle, die mit Vorsicht zu geniessen ist».
«Projekt Faireconomy »
Forschende der ZHAW und der Hochschule Luzern sind von der Gebert-Rüf-Stiftung zu einer Kooperation angeregt worden, da sie unabängig voneinander Projekte zu Themen wie Verbreitung, Risiken und Reglementierung von Crowdworking eingereicht hatten. Nun bewerben sie sich gemeinsam um eine Finanzierung. Sie hoffen zudem, dass sie verschiedene Praxispartner ins Boot holen können. Sie wollen das Projekt von 2018 bis 2020 realisieren und die Resultate dereinst auf der geplanten Website faireconomy.ch veröffentlichen.