Nachhaltigkeitserwartungen von Versicherungskunden an den Schweizer Versicherungsmarkt
Privatkund:innen fällt es schwer, beim Abschluss einer Versicherungspolice zu verstehen, wie nachhaltig diese ist. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie eine Studie der ZHAW in Zusammenarbeit mit EY und BearingPoint zeigt. Befragt wurden 1'461 erwachsene Personen mit Wohnsitz in der Schweiz.
In den letzten Jahren hat die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit bei Schweizer Versicherungsgesellschaften spürbar zugenommen. Der Handlungsdruck kam dabei vor allem seitens der Investoren, zum Teil auch seitens der Mitarbeitenden und einer kritischen Öffentlichkeit – zum Beispiel in Form von Nichtregierungsorganisationen oder Klimaaktivist:innen. In der jüngeren Vergangenheit haben auch Klagen gegen internationale Konzerne bzw. gegen Mitglieder ihrer Verwaltungsorgane dafür gesorgt, dass Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Thema auf Stufe des Verwaltungsrats und Geschäftsleitung geworden ist. Bei Firmenkund:innen sehen sich die Versicherungsgesellschaften ebenfalls zunehmend der Forderung gegenüber, nachhaltigkeitsbezogene Risiken in das gesamte Risikomanagement einzubeziehen. Aus der aktuellen Literatur geht jedoch nicht hervor, welche Bedürfnisse und Erwartungen Kund:innen an Versicherungsgesellschaften in Hinblick auf deren Corporate-Responsibility-Engagement stellen, was die Versicherungskund:innen wollen bzw. was ihnen zum Thema Nachhaltigkeit bei Schweizer Versicherungsunternehmen wichtig ist. Diese wichtigen Aspekte wurden bisher nicht branchenspezifisch untersucht.
Diese bestehende Lücke nimmt diese Studie auf, indem sie den Versicherungskunden und seine Nachhaltigkeitserwartungen in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt. Daher stellen sich die Fragen, welche Corporate Social Responsibility (CSR)-Themen und -Kriterien sind für die Kund:innen von Versicherungsgesellschaften relevant und welche Erwartungen stellen Kund:innen an ihre Versicherungsgesellschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Aus den Antworten dieser übergeordneten Fragen abgeleitet stellen sich für Versicherungsgesellschaften Fragen wie:
- Besteht die Gefahr, Privatkund:innen zu verlieren, wenn man sich als Versicherungsgesellschaft nicht klar zum Thema Nachhaltigkeit bekennt und entsprechend handelt? Bei welchen Kundensegmenten wäre die Gefahr am grössten?
- Kann sich eine Versicherungsgesellschaft mit dem Thema Nachhaltigkeit in den Augen der Privatkund:innen differenzieren und so Neukund:innen gewinnen? Wenn ja, welche Themen aus dem sehr breiten Spektrum an möglichen Engagements würde sich dafür am besten eignen?
- Kann man für nachhaltige Versicherungen höhere Prämien verlangen? Oder wird im Gegenteil erwartet, dass nachhaltiges Verhalten seitens der Kundschaft durch günstigere Prämien belohnt wird?
Die angesprochene Themenvielfalt zeigt sich allein schon an der Agenda 2030 der UN, bei der 17 miteinander verflochtene Nachhaltigkeitsziele bis 2030 erreicht werden sollen. Versicherungen spielen von ihrem Geschäftsmodell her nicht bei allen durch die Agenda definierten Nachhaltigkeitszielen eine gleichbedeutende Rolle. Gleichzeitig gewichtet auch die Öffentlichkeit nicht alle Nachhaltigkeitsziele gleich, wobei diese Einschätzung teilweise von aktuellen Ereignissen geprägt und somit über die Zeit veränderlich ist. Obwohl der Klimawandel in den Medien stark thematisiert wird, werden in der Schweiz soziale Themen höher gewichtet als ökologische.
Die Ergebnisse der Umfrage bei 1'461 Privatkund:innen mehrheitlich aus der Deutschschweiz zeigen sehr klar, dass derzeit generell das Thema Nachhaltigkeit zu keiner Differenzierung im Versicherungsmarkt für Privatkund;innen führt. Insgesamt fällt es Privatkund:innen schwer, Nachhaltigkeit und Versicherung in einen klaren Wirkungszusammenhang zu stellen. Die aktuellen Bemühungen der Versicherungsgesellschaften werden oft nicht wahrgenommen und haben kaum Einfluss auf Kaufentscheide. Es gelingt den einzelnen Versicherungsgesellschaften auch nicht, sich mit dem Thema voneinander zu unterscheiden. Insofern ist die Wirkung im Privatkundenmarkt auf die Dimensionen Kundenbindung, Neukundengewinnung oder Preisprämie noch vernachlässigbar.
Die Studie zeigt aber auch, dass auf Ebene einzelner Nachhaltigkeitsmassnahmen durchaus die Möglichkeit besteht, als nachhaltiger wahrgenommen und so auch beim nächsten Kaufentscheid bevorzugt zu werden. Insbesondere im Bereich Schadenabwicklung aber auch bei Präventionsangeboten ist vielversprechendes Potenzial zu erkennen. Versicherungsgesellschaften werden sich in Zukunft stärker bemühen müssen, die oft abstrakten Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit ihren Privatkund:innen besser erklären zu können.