Future-State-Diagram
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Robin Schmidt, Florian Liberatore (V01)
Zusammenfassung
Mit Hilfe des Future-State-Diagram werden definierte Prozessabschnitte, welche im Rahmen einer Wertstromanalyse (vgl. Wertstromdiagramm) visualisiert wurden, optimiert. Während das Wertstromdiagramm den Ist-Prozess beschreibt und Verschwendungen (Muda) von Zeit und Material sichtbar macht, befasst sich das Future-State-Diagram mit dem zukünftigen optimierten Prozess, bei welchem die Verschwendung weitestgehend eliminiert wurde. Beim Future-State-Diagram wird im Lean-Team (bestehend aus bis zu fünf Personen) diskutiert, wie man diese Verschwendung am besten verhindern und Aufgaben, die unnötig oder unökonomisch organisiert sind, vermeiden kann. Bei gleichartigen Aufgaben wird untersucht, ob man diese kombinieren bzw. vereinfachen kann.
Zielsetzung / Leitfragen für die Praxis
Die Zielsetzungen eines Future-State-Diagrams sind komplementär zu denen des Wertstromdiagramms. Im Spital wird die Wertstrommethode bzw. die Future-State-Methode zur Analyse definierter Prozessabschnitte (Wertströme) angewendet. Der Wertstrom setzt sich aus allen Tätigkeiten zusammen, die erforderlich sind, um ein Produkt oder eine Dienstleistung anbieten zu können. Dabei werden drei verschiedene Tätigkeitstypen unterschieden: Eindeutig wertschöpfende Tätigkeiten, Tätigkeiten, die keinen Wert generieren, aber trotzdem notwendig sind und Tätigkeiten, die keinen Wert generieren, aber vermeidbar wären. Wertschöpfende Aktivitäten sind solche, bei denen das Produkt einen Mehrwert erhält. Nicht-wertschöpfende Aktivitäten sind Tätigkeiten, die zu keinem Wertzuwachs führen (siehe auch Muda).
Mit Hilfe des Future-State-Diagrams werden sowohl Behandlungs- als auch Informationsprozesse aufgezeigt (inklusive der Dauer) und in einem gemeinsamen Bild dargestellt. Anschliessend werden im Future-State-Diagram die vermeidbaren Prozessschritte eliminiert, damit die vorhandenen Ressourcen (Personal, Material und Kapital) dort eingesetzt werden können, wo für die Patientinnen und Patienten ein Wert generiert wird. Zusätzlich hilft die Eliminierung von Verschwendung, Durchlaufzeiten zu reduzieren.
Diese Optimierungen führen gemäss Matt et al. (2014) zu:
- Geringeren Wartezeiten
- Kürzeren Verweildauern
- Weniger Stress und Fehlern
- Höherem Patientendurchsatz
- Effizienteren Prozessen
- Besserer Ressourcennutzung
Ziele
Das Ziel des Future-State-Diagrams ist es, einen spezifischen Prozess zu visualisieren, um ein Gesamtverständnis für diesen zu erzeugen und daraus einen verbesserten Lean-Prozess abzuleiten.
- Schaffen eines umfassenden (stationsübergreifenden) Prozessüberblicks
- Verschwendung in den Prozessen identifizieren (durch die Darstellung der Material-, Behandlungs- und Informationsflüsse)
- Identifikation von Optimierungspotenzialen
- Eliminieren der Verschwendung
Leitfragen für die Praxis
- Wo liegt Verschwendung vor?
- Können wertschöpfende Tätigkeiten verdichtet bzw. kombiniert werden?
- Konkret: Reduzierung der Durchlaufzeit im Notfall am Beispiel des Wertstromdiagramms eines Patienten
Voraussetzungen / Notwendige Ressourcen
Für die erfolgreiche Erstellung eines Future-State-Diagrams sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Lean-Team (bis zu fünf Personen), das den Prozess gut kennt und gemeinsam ein Future-State-Diagram (überarbeitetes Wertstromdiagramm) entwerfen kann
- Der Einsatz von interdisziplinären Teams ist anzuraten, wenn der analysierte Prozesse mehrere Berufsgruppen betrifft (Skeldon et al., 2014)
- Visualisierungsmöglichkeit (White Board, Brown Paper, o.Ä.)
- Optional: Visualisierungssoftware (z.B. Microsoft Visio) zur grafischen Darstellung des Soll-Prozesses
Detailbeschreibung des Tools
Das Future-State-Diagram benötigt als Grundlage ein Wertstromdiagramm (Soll-Diagramm) eines bestimmten Prozesses, der verbessert und dessen Verschwendung eliminiert werden soll. Liegt dieses vor, diskutiert das Lean-Team darüber, welche Prozessschritte eliminiert, kombiniert oder vereinfacht werden können.
Hierbei können die 5 Ws hilfreich sein:
Zur Veranschaulichung dient folgende Fallstudie:
Beim IST-Prozess (links) mussten nach dem Eintreffen der Patientinnen und Patienten mehrere Anrufe über mehrere Instanzen getätigt werden. Beim Soll-Prozess wurde die interne Kommunikation dahingehend verbessert, dass erst nach dem dritten Prozessschritt mit anderen Instanzen kommuniziert werden muss.
Stärken und Schwächen
Die Stärken und Schwächen des Future-State-Diagram sind in Prinzip identisch mit denen des Wertstromdiagramms.
Herausforderungen
Die Verwendung des Lean-Fachbegriffs „Verschwendung“ kann bei den betroffenen Personen negative Assoziation hervorrufen. Hier sollte betont werden, dass es sich dabei nicht um die Geringschätzung der Arbeit der Mitarbeitenden handelt, sondern dass das Aufzeigen von Schwachstellen im System (also im Prozessablauf) im Fokus steht. Die beteiligten Personen sind darüber hinaus mit Abläufen und Zeitaufwand vertraut zu machen, da ansonsten der Aufwand im Verhältnis zum Nutzen zu gross erscheinen kann. Ausserdem müssen alle Beteiligten für die Erstellung der Analyse von ihrer täglichen Arbeit freigestellt werden. Dies bedeutet kurzfristig einen erhöhten Koordinationsaufwand. Zudem muss das Tool vorher definierte qualitative und quantitative Aufwand-Nutzen-Kriterien erfüllen, was wiederum Zeit der Mitarbeitenden in Anspruch nimmt.
Stärken
- Relativ schnell und einfach durchzuführen.
- Kann sowohl für medizinische Prozesse als auch administrative Prozesse verwendet werden, wie in zahlreichen Fallstudien aufgezeigt wurde (Chadha, Singh, & Kalra, 2012; Grove, Meredith, Macintyre, Angelis, & Neailey, 2010)
- Günstig, da keine Software oder spezielle Fähigkeiten nötig sind.
- Einfach zu lernen und zu verstehen.
- Eignet sich gut als Diskussionsgrundlage und für Entscheidungsfindung (bspw. für Implementierung weiterer Lean-Methoden und -Massnahmen gegen Verschwendung).
- Erhöht das Prozessverständnis der beteiligten Personen (Patientenfluss, Kommunikationsfluss, Verschwendung).
- Kenntnis über Patientenfluss und Patientenbedürfnisse trägt zur Erhöhung der Patientenorientierung bei.
- Durch verbesserte Prozesse werden die Mitarbeitenden entlastet und die Patientinnen und Patienten sind zufriedener.
Schwächen
- Das Tool bildet in der Industrie den Weg eines Produktes oder einer Produktgruppe ab. Kommt das Tool bei einer personenbezogenen Dienstleistung zum Einsatz, kann die Frage nach der Übertragbarkeit des Tools aufkommen.
- Weniger standardisierte Prozesse im Spital liefern – im Vergleich zur Industrie – ein gröberes Bild, d.h. es muss häufiger auf Durchschnittszeiten und Schätzwerte zurückgegriffen werden.
- Das Future-State-Diagram gibt nur einen „Schnappschuss“ des Status Quo wieder.
- Die Visualisierung ist trotz Detailtreue lediglich eine Vereinfachung der realen Situation.
- Es ist nicht immer sicher, ob das Future-State-Diagram zukünftige Prozesse wirklich verbessert (Zeit, Material und Kosten spart), da es bei der Einführung in die Praxis zu Umsetzungsschwierigkeiten kommen kann.
- Kritiker (z.B. Sawhney & Chason, 2005) bemängeln, dass Tools wie das Future-State-Diagram nur die Bedürfnisse des Systems berücksichtigen und zu wenig auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen.
Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:
Schmidt, R. & Liberatore, F. (2016). Future-State-Diagram. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK – Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge, Version 1.0. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch
Literatur
Alkalay, M., Angerer, A., Drews, T., Jäggi, C., Kämpfer, M., Lenherr, I., Valentin, J., Vetterli, C. & Walker, D. (2015). Lean Hospital – Das Krankenhaus der Zukunft. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Chadha, R., Singh, A. & Kalra, J. (2012). Lean and queuing integration for the transformation of health care processes. Clinical Governance, 17(3), 191–199.
Graban, M. (2012). Lean Hospitals - Improving Quality, Patient Safety, and Employee Satisfaction. 2. Auflage. New York: Productivity Press.
Grove, A. L., Meredith, J. O., Macintyre, M., Angelis, J. & Neailey, K. (2010). Lean implementation in primary care health visiting services in National Health Service UK. Quality and Safety in Health Care, 19(5), 1–5.
Matt, D., Franzellin, V. & Rauch, E. (2014). Lean Hospital - Mit Motivation und Methode zum schlanken Krankenhausbetrieb. Das Krankenhaus, 106(6), 538-542.
Sawhney, R. & Chason, S. (2005). Human Behavior Based Exploratory Model for Successful Implementation of Lean Enterprise in Industry. Performance Improvement Quarterly, 18(2), 76–96.
Scholz, A. (2014). Die Lean-Methode im Krankenhaus: Die eigenen Reserven erkennen und heben. Wiesbaden: Springer-Verlag.
Skeldon, S. C., Simmons, A., Hersey, K., Finelli, A., Jewett, M. A., Zlotta, A. R. & Fleshner, N. E. (2014). Lean methodology improves efficiency in outpatient academic uro-oncology clinics. Urology, 83(5), 992–997.
Strategos Consulting (2011). The Future State Process Chart (Map). Abgerufen von www.strategosinc.com/process_chart_future_state.htm.
Toussaint, John & Roger A. Gerard. (2010). On the mend: revolutionizing healthcare to save lives and transform the industry. Cambridge, MA, USA: Lean Enterprise Institute.
Womack, J. P. & Jones, D. T. (2004). Lean thinking: Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern. Frankfurt am Main: Campus-Verlag.
Worth, Judy, Tom Shuker, Beau Keyte, Karl Ohaus, Jim Luckman, David Verble, Kirk Paluska, Todd Nickel & Lean Enterprise Institute (2012). Perfecting Patient Journeys: Improving Patient Safety, Quality, and Satisfaction While Building Problem-Solving Skills. Cambridge: Lean Enterprise Institute, Inc.
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