Wartezeiten
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Robin Schmidt, Katja Rüegg (V01)
Einleitung
Wartezeiten sind für Patientinnen und Patienten ein elementarer Bestandteil eines Spitalbesuches. Dabei kann zwischen zwei Arten von Wartezeiten unterschieden werden. Es gibt einerseits Wartezeiten, die lediglich als störend und langweilig empfunden werden und dadurch die Patientenzufriedenheit mindern. Andererseits können Wartezeiten, beispielsweise bei Notfalleintritten, auch medizinisch relevante Risiken bergen. Somit sollte die Reduktion von Wartezeiten sowohl hinsichtlich Patientenzufriedenheit, aber vor allem auch hinsichtlich Sicherheit und Qualität ein relevantes Ziel eines jeden Spitals sein.
Aus Effizienzsicht ist zudem die Reduktion der Wartezeiten für Mitarbeitende ein relevantes Thema. Eine hohe Auslastung der Mitarbeitenden führt oftmals zu längeren Wartezeiten der Patientinnen und Patienten (Graban & Swartz, 2012). In der Praxis sollte deshalb ein Optimum aus Ressourcen und Patientensicht angestrebt werden.
Leitfragen für die Praxis
Beispiele für Praxisfragen wären:
- Wie können mit gleichbleibenden Ressourcen die Wartezeiten reduziert werden?
- Welche Wartezeiten können eliminiert werden?
- Wie können nicht-eliminierbare Wartezeiten sinnvoll genutzt oder möglichst angenehm gestaltet werden?
Detailbeschreibung des Konzepts
Die Eliminierung von Wartezeiten, die nicht wertschöpfend sind, ist ein breites Thema, welches in vielen Bereichen im Spital zum Tragen kommt. Je nach Vorhaben wird mit verschiedenen Lean-Tools gearbeitet.
Notfallstationen können ihre Eintritte weder planen noch steuern und sind starken Schwankungen ausgesetzt. Aus diesem Grund kommt es oftmals zu langen Wartezeiten. Diese zu reduzieren, haben sich zahlreiche Spitäler zum Ziel gesetzt (in der Schweiz zum Beispiel das Kantonsspital Luzern oder das Universitätsspital Basel). Kern dieser Optimierungen ist, den Prozess zu takten und anstatt mit einer administrativen Tätigkeit (Registration) mit einer kompetenten Triage zu starten, um möglichst rasch nach dem Eintritt den Aufenthalt planen zu können. Bei diesem Konzept kommen oftmals sogenannte „Quick Look Nurses“ und „MTE - Medizinische Team Evaluation“ (Tandem aus Arzt und Pflege) zum Einsatz, welche durch eine schnelle Triage und Aufenthaltsplanung die Wartezeiten drastisch verkürzen sowie die Patientensicherheit erhöhen können (Walker, 2013).
Im Bereich von ambulanten Untersuchungen liegt der Fokus meist nicht auf der unmittelbaren Patientensicherheit, sondern auf der Reduktion unnötiger Wartezeiten für Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitende. Hier spielen sowohl Abläufe als auch physisch zurückgelegte Wege eine grosse Rolle. Nicht selten müssen Patientinnen und Patienten bei ambulanten Vorabklärungen Gebäude wechseln und grosse Distanzen zurücklegen. Hier kommen klassischerweise Tools wie das Spaghetti-DiagrammSpaghetti-Diagramm, 5S, Wertstromdiagramme und Just-in-Time-Produktion zum Einsatz.
Klassische Messgrössen, um den Erfolg zu beurteilen, sind unter anderem folgende:
- Zeit vom Eintritt bis zur ersten Konsultation durch einen Arzt
- Aufenthaltsdauer in der Notfallstation
- Patientenzahl, die die Notfallstation verlassen, ohne eine Konsultation durch einen Arzt erhalten zu haben
- Patientenzufriedenheitsbefragungen
In einigen Fällen ist eine vollständige Eliminierung von Wartezeiten nicht möglich. In diesen Fällen kann versucht werden, die Wartezeit produktiv zu nutzen oder sie zumindest so angenehm wie möglich zu gestalten. Eine produktive Nutzung von Wartezeit wäre beispielsweise, wenn auf der Notfallstation die Personalien während der Wartezeit und nicht bei Eintritt aufgenommen werden. Ist keine produktive Nutzung möglich, kann versucht werden, die subjektiv empfundene Wartezeit zu verringern. Tabelle 1 zeigt Beispiele, wie Wartezeiten wahrgenommen werden. Aufgrund dieser Erkenntnisse können nicht-eliminierbare Wartezeiten zumindest in der Wahrnehmung verkürzt werden.
Ausgehend von den acht Prinzipien des Wartens von Hopp und Lovejoy (2013) können Optimierungen spezifisch vorgenommen werden.
- „Occupied time feels shorter than unoccupied time“: Eine Wartezeit mit einer Ablenkung wird als kürzer empfunden als die Wartezeit ohne Beschäftigung. Solche Beschäftigungen können von ausliegenden Zeitschriften bis zu Erklärungen von medizinischen Krankheitsbildern auf dem IPad sehr individuell ausgestaltet sein.
- „People want to get started“: Der Arztbesuch wird oft als unangenehm empfunden und die Patientinnen und Patienten sind froh, wenn die Untersuchung oder Behandlung möglichst bald stattfindet. Das Warten vor Prozessbeginn wird als deutlich länger empfunden als das Warten zwischen einzelnen Prozessschritten. Es ist sinnvoll, den ersten Schritt vorzuziehen, zum Beispiel den Bogen für die Aufnahme auszuteilen oder die Triage vorzuziehen (wie im obigen Beispiel beschrieben). Befragungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten dies als eine Reduktion der Wartezeit empfanden, obwohl die Durchlaufzeit nicht signifikant gekürzt wurde (Hopp & Lovejoy, 2013).
- „Anxiety makes waits seem longer“: Vor allem im Notfall kann die Sorge auftreten, vergessen zu werden. Diese Besorgnis steigert sich mit jeder Minute Wartezeit. Solchen Gefühlen kann entgegengewirkt werden, indem man beispielsweise ankündigt, wann der Arzt verfügbar ist oder wenn regelmässig eine Pflegefachperson nach dem Patienten schaut.
- „Uncertain waits are longer than known, finite waits“: Die grösste Sorge beim Warten ist oft der Gedanke daran, wie lange die Wartezeit noch beträgt. Eine mögliche Lösung dafür ist das Einblenden der ungefähren Wartezeit über eine Anzeige im Warteraum.
- „Unexplained waits are longer than explained waits“: Wenn beispielsweise die Patientin/der Patient bei Ankunft in der Arztpraxis darüber informiert wird, dass ein Notfall eingetroffen ist und er deshalb etwas länger warten muss, wird dies vom Wartenden häufig akzeptiert, ohne Begründung dagegen nicht. Warten löst ein Gefühl des Kontrollverlustes aus und ist frustrierend. Eine nachvollziehbare Begründung hebt zwar das Warten nicht auf, kann aber der Frustration entgegenwirken.
- „Unfair waits are longer than equitable waits“: Nicht überall gibt es eine klare Ordnung in der Warteschlange. Menschen fühlen sich übergangen, wenn beispielsweise später eingetroffene Personen zuerst aufgerufen werden und ihnen damit höhere Priorität zugewiesen wird. Viele Geschäfte nutzen deshalb Automaten, wo die Kunden Nummern ziehen. Dies ist nicht überall umsetzbar. Gerade in Arztpraxen oder Walk-in-Kliniken ist es wichtig, durch klare Kommunikation ein Gefühl der Fairness zu erreichen.
- „The more valuable the service, the longer the customer will wait“: Supermärkte haben Express-Kassen eingeführt, um Kunden mit einer geringen Anzahl an Waren nicht lange warten zu lassen. Dies zeigt, dass die Toleranz des Wartens vom assoziierten Wert abhängig ist.
- „Solo waits feel longer than group waits“: Das Warten in Gruppen ist angenehmer als das Warten in einem isolierten Raum. Das zeigt sich daran, dass die Wartenden häufig ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln.
Praxisempfehlungen
- Vor dem Start der eigentlichen Optimierung beginnt der Change-Management-Prozess (kraftvolle Vision schaffen, Führungsebene und Personal aktiv beteiligen etc.).
- Zu Beginn sollte definiert werden, welche Zeiten wertschöpfend und welche Verschwendung (Muda) sind.
- Darauf folgt eine Ist-Analyse, welche mittels Wertstromdiagramm, Spaghetti-Diagramm, Gemba, 5S etc. durchgeführt werden kann.
- Auf die Ist-Analyse folgt die Problem-Analyse. Auch hier stehen wiederum diverse Tools aus dem Lean-Management zur Verfügung (Fishbone-DiagramFishbone-Diagram, Root-Cause-Analyse etc.).
- Die Lösungsentwicklung sollte unter Einbezug des beteiligten Mitarbeitenden erfolgen und die Führung miteinbeziehen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die entwickelten Lösungen auch von den Mitarbeitenden unterstützt werden. Eine Möglichkeit zur Entwicklung von Lösungen ist die Schaffung einer Simulationszone. Der Einbezug von Patientinnen und Patienten ist essentiell, um auch die richtigen Bedürfnisse zu adressieren.
- Bei vielen Ideen bzw. Lösungsansätzen ist es sinnvoll, wenn sie vor der Implementierung in einem möglichst realitätsnahen Umfeld getestet werden. Dazu kann ebenfalls eine Simulationszone dienen. Wenn die Optimierungsansätze feststehen, werden geeignete KPIs (Key Performance Indicators) definiert und Baseline-Messungen durchgeführt. Nur so kann im Nachhinein der Erfolg quantitativ gemessen werden.
- Die Umsetzung kann entweder als Big-Bang oder schrittweise erfolgen. Eine schrittweise Implementierung bietet den Vorteil von Quick-Wins (rasche Erfolge). Handelt es sich jedoch um vernetzte Systeme, ist meist ein Big-Bang zu empfehlen (Walker, 2013).
- Nach der Implementierung wird der Erfolg laufend mittels der vorab definierten KPIs gemessen und kommuniziert. Nebst der Erfolgskontrolle sollte auch ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess initialisiert und institutionalisiert werden. Dieser kann beispielsweise mittels Kaizen erfolgen.
Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:
Schmidt, R. & Rüegg, K. (2016). Wartezeiten. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK – Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge, Version 1.0. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch
Literatur
Graban, M. & Swartz, J. E. (2012). Healthcare Kaizen: Engaging Front-Line Staff in Sustainable Continuous Improvements. Boca Raton: Productivity Press.
Hopp, W. J. & Lovejoy, W. S. (2013). Hospital operations: principles of high efficiency health care. Upper Saddle River, New Jersey: FT Press.
Slack, N., Brandon-Jones, A. & Johnston, R. (2013). Operations management. 7. Auflage. Boston: Pearson.
Walker, D. (2013). Jetzt kommt der Patient: das Notfall-Flusskonzept. Zürich: Walkerproject.
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