Kennzahlen
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Eva Hollenstein, Robin Schmidt (V01)
Einleitung
Durch visuelles Management wird sichergestellt, dass relevante Informationen offen für alle betroffenen Personen dargestellt werden. Dabei sollen auch komplexe Informationen eindeutig und unmissverständlich vermittelt werden können.
Dieses Prinzip gilt auch im Prozessmanagement für die Visualisierung von Performance-Messungen. Die dabei erhobenen Kennzahlen erfüllen die Funktion einer Orientierungshilfe und stellen Ist-Zustände, Fortschritte sowie Verbesserungspotentiale visuell dar.
Im Artikel Erfolgsmessung wird beschrieben, warum die Auswirkungen von Lean-Initiativen gemessen werden sollen, wie der Erfolg und Fortschritt von Weiterbildungsmassnahmen untersucht werden kann und welche Besonderheiten es dabei zu beachten gilt. Dieser Artikel stellt nach einer kurzen Einführung zum Thema Kennzahlen die wichtigsten Inhalte zur Kennzahlenmessung im Lean Hospital vor.
Leitfragen für die Praxis
Anhand dieses Konzepts können folgende Praxisfragen beantwortet werden:
- Warum sollten Kennzahlen erhoben und ausgewertet werden?
- Welche Kennzahlen sollten wie gemessen werden?
- In welcher Form können Kennzahlen visualisiert werden?
Detailbeschreibung des Konzepts
Was sind Kennzahlen?
Kennzahlen dienen dazu, quantitativ fassbare Sachverhalte in konzentrierter Form darzustellen. Sie erfüllen primär die Funktion der Operationalisierung von Sachverhalten. Isoliert betrachtet besitzen Kennzahlen nur eine begrenzte Aussagekraft. Daher wird meist mit Kennzahlensystemen gearbeitet (Schlüchtermann, 2015).
Kennzahlensysteme erfüllen eine Diagnose- bzw. Anregungsfunktion. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise eine Reihe von Kennzahlen für Zeitvergleiche oder zwischenbetriebliche Vergleiche erhoben wird. Kennzahlensysteme ermöglichen die sachgerechte Beurteilung der Effektivität und Effizienz von Leistungen bzw. Leistungspotentiale diverser Einheiten (zum Beispiel Bereiche, Abteilungen, Prozesse). Dieser Grundrichtung folgen verschiedene Konzepte, wie beispielsweise die Balanced-Scorecard (BSC), Performance-Measurement oder Key-Performance-Indicators (KPIs) (Bender, Denz, & Baumgart, 2015).
Auf diesem Niveau können Kennzahlen auch eine Vorgabe- und Steuerungsfunktion erfüllen. Sie fungieren dann als Instrument zur Delegation und Koordination von Führungsaufgaben. Für Steuerungszwecke sollten immer mehrdimensionale Kennzahlensysteme entwickelt werden. Diese Dimensionen umfassen im Idealfall die Parameter „Qualität“, „Kosten“ und „Zeit“ (Schlüchtermann, 2015) (vgl. Anwendungsbeispiel OP-Management).
Welche Kennzahlen können gemessen werden?
Wie einleitend erwähnt, müssen Kennzahlen bestimmte Ansprüche erfüllen, um die untersuchten Bereiche adäquat abbilden zu können.
Prinzipiell hat die Messung präzise und zeitgemäss zu erfolgen. Ausserdem sollte das Aufwand-Nutzen-Verhältnis positiv sein. Die in Tabelle 1 dargestellten Kennzahlen beziehen sich auf die Kennzahlen-Messung in einer Notfallstation und können exemplarisch erhoben werden:
Welchen Stellenwert haben Kennzahlen im Lean-Hospital?
Prozessdokumentationen und gängige Kennzahlen aus der Kosten-und Leistungsrechnung liefern im Regelfall nur begrenzte Einblicke in Problemursachen und fehlerhafte Standards. Im Lean-Management wird daher empfohlen, sich im Rahmen von „vor Ort“ erstellten Analysen (zum Beispiel Wertstromanalysen oder Gembas) intensiver mit den Arbeitsabläufen zu beschäftigen (Bornewasser, Kriegesmann, & Zülch, 2014).
Das mittlere Management (Stations- und Assistenzärzte, Pflegekräfte, Stationsleitungen, Techniker, etc.) ist in Lean-Hospitals besonders als „Controller“ gefordert: Im sogenannten „Kaizen-Controlling“ geht es vor allem um tagesaktuelle bzw. in kürzeren Zeiträumen aktualisierte Kennzahlen. Sie beziehen sich weniger auf der Ebene strategischer Entwicklungen, sondern auf Ebene des praktizierten Qualitätsmanagements am „Ort der Wertschöpfung“, also da, wo Patienten und Angehörige versorgt werden (Schlüchtermann, 2015). Damit ist das Kaizen-Controlling auf die Steuerung von Wertschöpfungsbeiträgen ausgerichtet. Controlling heisst in diesem Kontext also primär Kernfragen gezielt zu stellen. Dieses Aufgabe kann von der Führungskraft nicht delegiert werden.
Diese Denkweise des „richtigen Fragens“ ist Grundlage für die Anwendung des so genannten Kaizen-Controllings (Diemer, Abri, & Berufsverband der Deutschen Chirurgen, 2015). In diesem Zusammenhang bietet bspw. die 5-Why-Methode eine wertvolle Hilfestellung.
Welche Kennzahlen erhoben werden, ist auch eng mit dem Konzept Strategy-Deployment verknüpft. Dabei wird die Strategie des Spitals für alle Beteiligten so übersetzt, dass für diese eine Handlungsrelevanz entsteht. Kennzeichnend für dieses Konzept ist die Tatsache, dass die Mitarbeitenden selbst auf jeder Stufe definieren, wie und was sie konkret zur Zielerreichung beitragen möchten. Dies bezieht sich auch auf die Frage, welche Kennzahlen zur Überprüfung des Zielerreichungsgrades erhoben werden.
Wie können Kennzahlen dargestellt werden?
Die Visualisierung von Kennzahlen sollte drei zentrale Voraussetzungen erfüllen: Sie sollten sichtbar, visuell ansprechend gestaltet und statistisch relevant sein. Diagramme und Grafiken sollten gut sichtbar platziert werden, am besten dort, wo die Mitarbeitenden direkt ihre Arbeit verrichten. Da im Arbeitsalltag häufig die Zeit fehlt, die Auswertungen im Detail zu betrachten, sollte die Performance einer Abteilung auf einen Blick ersichtlich werden.
Lean-Kennzahlen werden dazu häufig mit Holfe von Trend-Charts oder Farbcodes visualisiert. Trend Charts besitzen den Vorteil, dass sie Muster aufzeigen und somit erkannt wird, ob eine Kennzahl lediglich einer leichten Schwankung unterliegt oder ob sie sich tatsächlich statistisch signifikant verändert. Farbcodes weisen darauf hin, in welchem Bereich sich eine Kennzahl im Verglich zum Optimum bewegt (vgl. Ampelsystem, s. Tab. 2).
Die wichtigsten Kennzahlen können so in Form eines Kennzahlen-Cockpits visualisiert werden. Dieses kann zum Beispiel in das Huddle-Board integriert werden.
Anwendungsbeispiele
Nachfolgendes Beispiel zeigt auf, wie Kennzahlen im OP-Management als Steuerungsinstrument eingesetzt werden können.
- Kennzahlen im Zentral OP
Tab 3. Zeigt die Kennzahllogik und Beispiele eines OPs.
- Kennzahlen im Labor/Apotheke
Tabelle 4 dient als Beispiel für die bei der Implementierung von Lean eingeführte Kennzahlenmessung in einem Labor sowie einer Apotheke.
- Patient Journey: Prozessübergreifende Kennzahlen
Auch auf prozessübergreifender Ebene wurden bereits Versuche gestartet, Kennzahlensysteme zu entwickeln. So wird zum Beispiel in einer Studie von Kollberg, Dahlgaard, & Brehmer (2006) anhand des „Flow-Modells“ ein individueller Patientenpfad anhand von acht Messgrössen kontinuierlich gemessen. Diese Grössen sind mit einzelnen Stationen der Patientinnen und Patienten zu vergleichen (vgl. Patient Journey), die dieser während seiner Behandlung entlang des Gesundheitssystems durchläuft. Sie beziehen sich jeweils auf einen bestimmten Zeitpunkt bzw. einen Teilprozess des Patientenpfads.
Mit dem Flow-Modell (siehe Abbildung 1) soll die Verkürzung von langen Wartezeiten und Verzögerungen erreicht werden. Zudem ermöglichen Zeitvergleiche Performancegegenüberstellungen unterschiedlicher klinischer Departemente.
Der Behandlungsprozess beginnt mit der Nachfrage nach einer Betreuungsleistung auf Seiten des Patienten (M1), zum Beispiel bei einer Überweisung vom Hausarzt zum Behandlungszentrum. Im Anschluss wird die Überweisung überprüft und ein Termin vereinbart (M2). Der Zeitpunkt des Erstkontakts wird erfasst, wenn die Patientin/ der Patient zum ersten Mal mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin in Kontakt kommt (M3a und M3b). Es wird dabei jeweils die vereinbarte Zeit (M3a), sowie die tatsächliche Zeit (M3b) gemessen.
Nachdem die Diagnose gestellt wurde (M4), wird über eine Behandlung entschieden (M5). Die Behandlung beginnt, wenn die Patientin/ der Patient für die Behandlung bzw. Intervention eingetragen wird (M6a und M6b). Auch hier wird wieder die Zeitdifferenz zwischen vereinbarter bzw. erwarteter (M6a) und tatsächlicher Zeit (M6b) gemessen. Die Zeit für die Kontrolluntersuchung (M7) wird ebenfalls gemessen. Sobald die Patientin/ der Patient rekonvaleszent ist, bzw. das Pflegeziel erreicht wurde, ist der Pfad und somit der Fall abgeschlosse
Tabelle 5 gibt einen Überblick über KPIs, die im Rahmen des Flow-Modells berücksichtigt werden sollten. Sie stellen eine Verbindung zu den zentralen Lean-Prinzipien (hier angelehnt an Womack & Jones, 2004) her und fungieren als kritische Erfolgsfaktoren in Bereich quantitativer Messgrössen.
Praxisempfehlungen
Das Messen von Kennzahlen ist ein wesentlicher Bestandteil für die erfolgreiche Implementierung von Lean-Ansätzen (Andersen et al., 2014). Um nachvollziehen zu können, was ein System leistet, muss das Messen und die Analyse von Kennzahlen integraler Bestandteil eines Lean-Projekts sein.
Die Messungen ermöglichen die datenbasierte Auswahl und Priorisierung weiterer Verbesserungsvorschläge. Zudem kann nur durch die Erhebung von Kennzahlen objektiv nachvollzogen werden, ob bestimmte Lean-Projekte auch zu den gewünschten Verbesserungen geführt haben.
Allerdings ist beim Erheben von Kennzahlen sorgfältig vorzugehen. Häufig wird diese Massnahme von Mitarbeitenden als ein Kontrollmechanismus verstanden und führt dementsprechend zu Misstrauen. Auch wird häufig angegeben, dass die Prioritäten der medizinischen Behandlung durch Kennzahlenmessungen gestört werden. Medizinisches Fachpersonal muss sich vielfach erst mit dem Gedanken vertraut machen, dass es unternehmerisch gefordert ist und die medizinisch-pflegerische bzw. ärztliche Ethik um die Dimension der Ökonomie erweitert wird (Schlüchtermann, 2015). Ist die Performance-Messung eng an das Strategy Deployment geknüpft, kann diesen Umständen entgegengewirkt werden. Auch der Grad des Verantwortungsgefühls seitens der Mitarbeitenden kann dadurch erhöht werden. Es ist auch darauf zu achten, die Frequenz und der Umfang der Erhebungen genau zu hinterfragen. Zu häufige oder aufwändige Messungen können als störend empfunden werden. Zu seltene Messungen können dazu führen, dass Probleme erst zu spät erkannt werden.
Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:
Hollenstein, E. & Schmidt, R. (2016). Kennzahlen. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK – Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge, Version 1.0. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch
Literatur
Al-Balushi, S., Sohal, A. S., Singh, P. J., Al Hajri, A., Al Farsi, Y. M. & Al Abri, R. (2014). Readiness factors for lean implementation in healthcare settings – a literature review. Journal of Health Organization and Management, 28(2), 135–153.
Andersen, H., Røvik, K. A. & Ingebrigtsen, T. (2014). Lean thinking in hospitals: is there a cure for the absence of evidence? A systematic review of reviews. BMJ Open, 4(1), e003873.
Bender, H.-J., Denz, C. & Baumgart, A. (2015). Perioperative Organisation - Optimierung der Abläufe. In M. Diemer, C. Taube, J. Ansorg, J. Heberer & W. von Eiff (Hrsg.), Handbuch OP-Management: Strategien, Konzepte, Methoden (S. 503–572). Berlin: Med. Wiss. Verl.-Ges.
Bornewasser, M., Kriegesmann, B. & Zülch, J. (2014). Dienstleistungen im Gesundheitssektor: Produktivität, Arbeit und Management. Springer-Verlag.
Diemer, M., Abri, O. & Berufsverband der Deutschen Chirurgen (Hrsg.). (2015). Handbuch OP-Management: Strategien, Konzepte, Methoden. Berlin: Med. Wiss. Verl.-Ges.
Graban, M. (2012). Lean Hospitals - Improving Quality, Patient Safety, and Employee Satisfaction (2. Aufl.). New York: Productivity Press.
Kollberg, B., Dahlgaard, J. J. & Brehmer, P.-O. (2006). Measuring lean initiatives in health care services: issues and findings. International Journal of Productivity and Performance Management, 56(1), 7–24.
Schlüchtermann, J. (2015). Kennzahlen zur Leistungsmessung. In M. Diemer, C. Taube, J. Ansorg, J. Heberer & W. von Eiff (Hrsg.), Handbuch OP-Management: Strategien, Konzepte, Methoden. Berlin: Med. Wiss. Verl.-Ges.
Walker, D. (2013). Jetzt kommt der Patient: das Notfall-Flusskonzept. Zürich: Walkerproject.
Walker, D. (Hrsg.). (2015). Lean Hospital: das Krankenhaus der Zukunft. Berlin: MWV, Medizinisch Wiss. Verl.-Ges.
Womack, J. P. & Jones, D. T. (2004). Lean thinking: Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern. Frankfurt am Main; New York: Campus-Verl.
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